Erleuchtende Momente

Kim (sblog)
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4 min readSep 21, 2017

Was ich besonders an der Physik mag, sind diese Aha!-Momente: wenn du etwas auf einmal verstehst, was dir vorher wochenlang unklar war.

Diese Momente, wo du dir auf einmal vorstellen kannst, worüber deine Kommilitonen seit Tagen reden.

So ungefähr kann man sich diese Aha-Momente vorstellen. Eigentlich genau so.

So habe ich erst zwei Wochen vor der MaPhy-Klausur richtig verstanden, dass Topologien eigentlich einfach nur definieren, welche Mengen offen sind (und welche nicht.) Das ist eigentlich das Grundlegendste der Topologien und im Nachhinein ärgere ich mich, dass ich das nicht vorher gesehen habe.
Das hätte die Übungszettel vornerein einfacher gemacht und so hätte ich auch schneller verstanden, warum alle Punkte und somit auch alle Mengen in der 0–1-Metrik offen und gleichzeitig abgeschlossen sind. **

Dann habe ich noch in der gleichen Woche, nachts um kurz vor zwölf, eine Erleuchtung gehabt, dass der Transformationssatz nichts anderes ist, als eine Substitution bei Integralen im mehrdimensionalen Raum. Bevor mir diese Erkenntnis kam, konnte der sogenannte Trafosatz mir den Buckel runterrutschen. Aber seitdem ich verstanden habe, was er eigentlich sagt und ich das auf schon bekannte Verfahren zurückführen kann, ist er mir schon fast sympathisch geworden.

Diese Momente, die KLICK im zweitrichtigen Moment machen, seien das, wofür wir studieren, so am Montag eine Freundin und Kommilitonin von mir. Wenn du paukst und paukst und sich auf einmal alles in deinem Kopf zusammensetzt und du merkst, dass es nicht umsonst war sich all die Definitionen und Herleitungen zu merken.

Was mir außerdem völlig neu war, war etwas sehr Elementares: Matrizenmultiplikation. Damit tue ich mich sowieso schon seit Anfang des Studiums schwer, unter anderem weil ich mich nicht an meinen Abistoff zu dem Thema erinnern kann und jedes Mal “Zeile zuerst, Spalte später” vor mich hinflüstere, wenn ich es irgendwie mit Matrizen zu tun bekomme.
Auf jeden Fall habe ich erst viel zu spät bemerkt, wie man innerhalb von zwei Sekunden sehen kann, wieviele Zeilen und Spalten das Matrizenprodukt zweier Matrizen haben muss.

So müssen die “inneren” Zahlen identisch sein, damit eine Multiplikation überhaupt funktioniert und die “äußeren” Zahlen bilden die Dimension meiner neuen Matrix in der Reihenfolge, wie sie da im Beispiel stehen:
(3x4)*(4x5)=(3x5).

Eigentlich total einfach. Aber das macht es ja so schön. So kann ich mir es gut merken, so bleibt diese Eselsbrücke länger in meinem Gedächtnis. Jetzt denke ich immer daran, wie mir so etwas Banales Ewigkeiten verborgen blieb und wie ich dazu kam, es am Ende doch zu sehen.

Und eigentlich ist es auch viel schöner bestimmte Zusammenhänge zuerst nicht zu verstehen und dann im Nachhinein zurückzublicken. Ich habe schon so viel gelernt, denk ich dann.
Schöner wäre es noch, wenn ich anderen auch diese Aha-Momente bescheren könnte. Dafür könnte ich mich vielleicht als Tutorin versuchen.
Oder vielleicht klappt es ja schon mit diesem Blogeintrag:

** Achtung, hier erkläre ich einen mathematischen Zusammenhang, den ich persönlich toll finde und versuche ihn etwas verständlicher zu machen. Wenn du aber nur Bahnhof verstehst, ist das nicht schlimm. Vor einem Jahr wäre ich vielleicht schon bei dem Begriff “Metrik” ausgestiegen. **

Also: Diese 0–1-Metrik, von der ich schreibe, definiert mir einfach nur den Abstand neu, und zwar so, dass alle Punkte nur 1 voneinander entfernt sind. Du kannst es dir so vorstellen, dass du drei Punkte hast, die jeweils im Abstand von 1cm entfernt sind. Das macht dann ein gleichschenkliges Dreieck. Bei vier Punkten kann ich noch ein Quadrat malen, bei fünf Punkten wird es aber schon schwierig, die Punkte so anzuordnen, dass alle jeweils 1cm voneinander entfernt sind.

Hier zwei Beispiele, bei denen man sich die 0–1-Metrik tatsächlich vorstellen kann. Die Einsen stehen da, um zu verdeutlichen, dass alle Verbindungslinien immer 1cm lang sind.

Naja, auf jeden Fall tun wir so, als könnten wir das mit unendlich vielen Punkten machen (schalte hier deine Vorstellungskraft vorsichtshalber ab) und gucken, was mathematisch herauskommt wenn wir damit ein wenig rumspielen. So finden wir zum Beispiel, dass der “Inhalt” einer Umgebung (im Dreieck-Beispiel könntest du einen Kreis um einen der Punkte malen), die wir um einen beliebigen Punkt B legen, nur eben dieser Punkt ist, wenn der Radius meiner Umgebung kleiner 1 ist, weil alle anderen Punkte ja 1 von B entfernt liegen. Das bedeutet, nachdem mehrere (hier zu aufwendige) Definitionen gecheckt wurden, dass jeder Punkt eine offene Menge ist. Das ist schon ziemlich cool.

Jetzt heißt es aber auch, dass das Komplement (etwas nicht Enthaltendes) einer offenen Menge abgeschlossen sein muss. Nehmen wir z.B. einen Punkt A aus unserem Dreieck raus, ändert das nichts an dem Abstand, nur habe ich einen Punkt weniger, der sowieso nicht in einer Umgebung liegt, die einen Radius kleiner 1 hat. Aber B ist immer noch eine offene Menge und C auch. Beide zusammen sind immer noch eine offene Menge, auch ohne A. Das macht A zum Komplement einer offenen Menge und somit abgeschlossen. Aber da A genauso gut an der Stelle von B stehen könnte, ist A auch offen.

Somit sind alle Punkte in der 0–1-Metrik offen und abgeschlossen zugleich.

Und klar, da fehlen noch Definitionen und mehr Erklärungen, aber wenn ich das in einem Blogeintrag einfach so erklären könnte und ihr das sofort verstehen würdet, müsstet ihr ja kein Physik studieren ;-)

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Kim (sblog)
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Hi, mein Name ist Kim. Ich schreibe über das Physikstudium an der Uni Göttingen.