(M)ein ganz normaler Dienstag

Kim (sblog)
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4 min readMay 9, 2017

Dienstag ist der einzige Tag in der Woche, an dem ich keine Vorlesungen habe.
Wenn ich sonst jeden Morgen um 8:15 Uhr (frühestens) im Hörsaal sitze und Dozierenden verschlafen zuhöre, sitze ich dienstags zur gleichen Uhrzeit im Seminarraum 2 und versuche meinem ExPhy-Tutor (und gleichzeitig gutem Freund) nicht weniger verschlafen zu folgen.
Da aber dienstags weniger Leute um mich herum sitzen, hinter denen ich mich gähnend verstecken könnte, und ich meinen Tutor persönlich kenne, versuche ich im Allgemeinen einen aufgeweckteren Eindruck zu machen.

Das Gute daran, dass ich meinen Tutor kenne, ist, dass ihm immer mein Name einfällt wenn er Fragen an den Kurs stellt. Das Schlechte daran, dass ich meinen Tutor kenne, ist, dass ihm immer mein Name einfällt wenn er Fragen an den Kurs stellt.

Letztes Mal durfte ich zum Beispiel das elektrische Feld einer homogen geladenen Kugel mithilfe des Gaußschen Gesetzes be- und vorrechnen (das Ergebnis ist übrigens E= k/ε (R³/r) in r-Richtung**.)

Ein Balance-Akt während der ExPhy-Übung

90 Minuten geht diese -und damit jede- Übung und nachdem alle komplizierten Übungsaufgaben von letzter Woche durchgearbeitet und Vorlesungsinhalte wiederholt wurden, habe ich erstmal frei.

Also “frei” in dem Sinne, dass ich Zeit habe Zettel zu rechnen, versteht sich.

So setze ich mich mit zwei Freunden in den Gruppenarbeitsbereich und krame alle Zettel hervor, die noch erledigt werden müssen: MaPhy, ExPhy und AnaMech (-zum Glück müssen wir erst in zwei Wochen mit den Protokollen beginnen!)

Dass MaPhy eigentlich “Mathematik für Studierende der Physik” heißt, ExPhy für Experimentalphysik steht und sich hinter AnaMech “Analytische Mechanik” verbirgt, ist hoffentlich bekannt. Wenn noch nicht, dann doch spätestens jetzt. Ich werde in Zukunft der Einfachheit halber nur noch die Abkürzungen benutzen.

Meistens diskutieren wir erstmal 5min darüber, mit welchem Zettel wir anfangen und meistens läuft es zu dieser Zeit in der Woche auf ExPhy hinaus.

In den folgenden anderthalb Stunden gucken wir uns also Vorlesungsaufzeichnungen an, verstehen nicht immer, was der Professor zum Kuckuck letzte Sitzung gerechnet hat, schlagen Buchseiten um Buchseiten um, fertigen Skizzen an und führen Diskussionen zu all möglichen Themen bis mehrere Glühbirnen in unseren Köpfen aufleuchten und die Aufgaben ihren Schrecken verlieren.

Sobald sich unser Diskussionsthema nur noch darum dreht, was man gleich in der Mensa essen sollte und ob man dieses Mal vielleicht doch den Pfirsichquark zum Menü nimmt, schlägt der Appetit den Tatendrang und mir nichts dir nichts haben wir unsere Sachen eingepackt und sind auf dem Weg in die Mensa.

Es ist jetzt ca 12 Uhr.

Nach einer ausgedehnten Mittagspause mit Pfirsichquark als Dessert geht es wieder zurück in die Physik.

Und dreimal, nein eigentlich nur einmal, darfst du raten, was wir da machen.

Na?

Wir rechnen. Überraschung.

Aber wenn wir keine Lust mehr auf den ExPhy-Zettel haben, gibt es ja genug Alternativen. Dann wird einfach AnaMech gemacht. Und wenn das keinen Spaß mehr macht, ist der MaPhy-Zettel ja auch schon druckfrisch in der Tasche.

Wir kommen aber tatsächlich relativ weit mit dem Zettel und sobald die Uhr halb 4 schlägt, lege ich den Bleistift aus der Hand und mache mich mal wieder auf den Weg. Dieses Mal zum Z-Campus.

Am besagten Zentral-Campus gehe ich schnurstracks an der schönen Universitätsbibliothek vorbei und über die vielen Treppenstufen in den vierten Stock des VGs (die Fahrstühle des “Verfügungsgebäudes” meide nicht nur ich freiwillig.)

In dem dortigen Seminar erwartet mich eine ganz andere Art des Arbeitens und Lernens und ich genieße es die nächsten anderthalb Stunden wirklich alles zu verstehen, das Gefühl zu haben, genug vorbereitet zu sein, indem ich den langen Text gelesen, bearbeitet und bunt markiert habe und bei Fragen sogar die Antworten auf Anhieb zu wissen.

Es handelt sich um mein Geschichtsseminar, was ich sehr zu schätzen gelernt habe - trotz des relativ großen Zeitaufwands. Auch wenn es dieses Mal Wörter anstatt Formeln sind, muss man sich mit ihnen auseinandersetzen, sie verstehen und in einen geeigneten Kontext setzen können.

Leider kann ich nicht immer bis zum Schluss bleiben, da dienstags um 18 Uhr oft das jDPG Treffen stattfindet. Oder ein FSR-Spieleabend, für den ich verantwortlich bin. Oder ein Bier&Brezel-Vortrag, den ich zum Teil mitorganisiere (ich kümmere mich um die Brezeln im “Bier&Brezel”.)

So fahre ich wieder zur Physik, die mittlerweile mein zweites Zuhause geworden ist.

Solange noch keine Leute da sind, setze ich mich schonmal an den AnaMech-Zettel, aber meistens muss ich nicht lange warten.

Den restlichen Abend verbringe ich zuhörend/diskutierend/ Bier trinkend oder spielend, je nach Veranstaltung und Lust und Laune.

Und wenn ich dann spätestens um 23 Uhr endlich Zuhause bin, falle ich nur noch ins Bett und stelle meinen Wecker schonmal vorsorglich auf 6:36.
Für einen aufgeweckten Eindruck in der morgigen Vorlesung verlasse ich mich hierbei ganz auf den Weckton.

** ε= 8.85 * 1/10¹² [A s/ V m]; k:= Ladungsdichte ρ in Abhängigkeit von Radius r; R:= Radius der Gaußschen Sphäre; r:= Radius der homogen geladenen Kugel

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Kim (sblog)
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Hi, mein Name ist Kim. Ich schreibe über das Physikstudium an der Uni Göttingen.