Man muss ja nicht in jeden sauren Apfel beißen!

Leonie (sblog)
sblog
Published in
6 min readJul 27, 2017

Wie sich die Prüfungszeit erträglicher gestalten lässt

Am Ende jedes Semesters kommt jedes Mal ein kleiner Marathon auf einen zu: die Klausurenphase. Gewöhnlich sind diese zwei bis drei Wochen leider alles andere als gewöhnlich und enden in den verschiedensten persönlichen Ausnahmezuständen. Gestern um zwölf Uhr mittags hat mein erstes Studienjahr schließlich ein Ende gefunden und ich starte in — man mag es kaum glauben — richtig lange Semesterferien! Ich bin schon ganz traurig, länger als zwei Wochen nicht mehr in Göttingen zu sein, so viel freie Zeit bin ich nicht gewohnt … Aber zurück zum Thema: Ich möchte in diesem Artikel meine Eindrücke der Klausurenphase teilen.

Wie schon in früheren Artikeln erwähnt, hat man in den ersten beiden Semestern in der Regel drei Fächer (außer bei der Mathe-Option im ersten Semester). In jedem dieser Fächer wird am Ende des Semesters das Wissen noch einmal in einer Prüfung abgefragt, je nach Wochenstunden und Credits dauert die Klausur zwei oder drei Stunden. Im Vergleich zu den Zetteln bergen die Klausuren eine ganz eigene Schwierigkeit. Statt gemeinsam stundenlang zu knobeln und anhand von Vorlesungsmaterialien immer mehr in das aktuelle Thema einzusteigen, muss man sich auf einmal Schnelligkeit antrainieren und bei einer Vielzahl an unterschiedlichen Aufgaben den Lösungsansatz kennen.

In der letzten Vorlesungswoche gibt es keine Übungszettel mehr, damit man schon mit der Klausurvorbereitungen beginnen kann. Die Prüfungen beginnen dann in der darauffolgenden Woche. Dieses Semester war die erste Prüfung in Exphy (= Experimentalphysik) gleich am Montag nach Vorlesungsende, am Freitag in derselben Woche die Maphy (= Mathe für PhysikerInnen) oder Diff (= Differential- und Integralrechnung, das Modul der Mathe Fakultät) Prüfung und am Mittwoch danach das Modul der theoretischen Physik Anamech (= Analytische Mechanik). Es gibt noch einen zweiten Termin für die Prüfung und anders als von vielen vermutet wird dieser nicht nur von Durchfallern oder Leuten, die bei der ersten Prüfung keine Zeit hatten oder krank geworden sind, wahrgenommen, sondern oft einfach, weil es sonst zu viele Prüfungen auf einmal sind, um diese gründlich zu schreiben. Es ist also absolut nicht selbstverständlich, jede Klausur beim ersten Mal mitzuschreiben, auf den ersten Versuch zu bestehen oder, selbst wenn man sehr viel gelernt hat, eine gute Note zu schreiben. Stattdessen sieht der ganze leicht frustrierende Prozess in etwa so aus:

Die letzte Vorlesungswoche

Schon ein paar Wochen zuvor habe ich mich dafür entschieden, Exphy auf den zweiten Termin im September zu schreiben. Dadurch fällt leider der geplante Wanderurlaub in Schweden ins Wasser. Dafür gibt’s andere Vorteile: die letzten Zettel bearbeite ich nicht mehr ordentlich oder gar nicht und sich die Vorlesung um 8 zu sparen ist mit viel weniger schlechtem Gewissen verbunden als es sonst der Fall wäre. Leider muss ich diese Woche mein letztes Protokoll schreiben, das ist mal wieder eine Heidenarbeit und ich würde mich gerne schon auf Diff und Anamech konzentrieren. Das beschreibt auch schon ganz gut das Gefühl, auf das ich mich die nächsten drei Wochen einstellen kann: Man kann sich nur noch auf die nahenden Prüfungen konzentrieren und alles andere ist zweitrangig. Ziel der Woche ist, am Freitag mit den Zusammenfassungen beider Fächer fertig zu werden, um mit einem Grundverständnis dann eine Woche lang auf die Diff Prüfung und vier Tage lang auf die Anamech Prüfung lernen zu können. Zusammenfassen finde ich ganz schön, man versucht den Stoff nochmal im groben Überblick zu verstehen und viele Fragen, die unter dem Semester kamen und von neuen Fragen verdrängt wurden, werden geklärt.

So sahen meine letzten zwei Wochen aus: Ein Haufen Zettel, ständig Mateflaschen und Kaffee (am Wochenende zu lernen ohne Kaffee kaufen zu können, ist immer die Hölle) und viele fragende Blicke.

Lernen für die Diff Prüfung

Samstag Nachmittag fange ich an, Diff zu lernen. Anders als in der Schule besteht in der Uni und speziell für eine Matheprüfung das Lernen hauptsächlich daraus, ständig Aufgaben zu bearbeiten und die Lösung nachzuvollziehen. Stück für Stück kriegt man ein Gefühl dafür, wie die Sätze aus der Vorlesung angewandt werden können und versteht nochmal ein paar Zusammenhänge besser. Das Problem: Es dauert lange, bis man einen Fortschritt sieht und es schlaucht! Jeden Tag versuchen, vor halb 10 in der Uni zu sein und zwar nicht nur körperlich sondern auch geistig anwesend heißt vor allem: früh ins Bett gehen und Selbstdisziplin. Meine spektakulärsten Abendbeschäftigungen waren dieses Jahr Spazieren gehen, Yoga machen, mit Freunden zusammensitzen oder zusammen einen Film gucken, um mal an etwas anderes zu denken. Vor allem am Tag vor der Prüfung ist das wichtig, ich höre immer ca. 15 Stunden vor der Prüfung auf zu lernen, um am nächsten Tag einen kühlen Kopf zu haben. Am letzten Abend ist das stundenlange Lernen unter Zeitdruck auch schon vorbei. Für mich ist die Klausur nur noch eine Leistungsabfrage und Glücksspiel bei der Konzentration. Nach der Diff Prüfung musste ich dann erstmal bis Samstag Mittag Pause machen, abends mit Leuten ein bis vier Bier trinken, um Kraft zu schöpfen für den nächsten Marathon …

Lernen für die Anamech Prüfung

Endspurt! Leider ist durch die kleine Pause am Vortag die Luft ein bisschen raus, ich bin körperlich super erschöpft. Nach der Woche Mathe lernen habe ich ganz schön Effektivität eingebüßt und selbst am letzten Tag vor der Prüfung fühle ich mich absolut nicht gut vorbereitet und habe auch noch super schlecht geschlafen. Langsam steigt die immense Vorfreude darauf, wenn es einfach alles rum ist. Ich würde gerne mal wieder mein Zimmer aufräumen, den Müll rausbringen, ein paar Gläser Wein trinken und dann am nächsten Morgen um 12 Uhr aufstehen können, ohne dass dann gleich die Arbeit der letzten paar Wochen für die Katz ist. Leider sinken durch diese Vorfreude die Ansprüche täglich, wer am Anfang noch eine gute Note haben wollte, ist oft während des Lernens nur noch bei „Hauptsache ich besteh’ das Ding und muss nicht nochmal lernen!“ und kurz vor der Klausur dann bei der Einstellung „Egal ob ich besteh’ oder nicht, ich will endlich wieder ein Leben haben. Dann schreibe ich es halt nochmal, wenigstens versteh’ ich’s dann besser.“ angelangt.

Das Loch

Nach einer Prüfung ist erstmal alles total toll, die Euphorie steigt einem zu Kopf! Und dann? Was macht man auf einmal mit der ganzen Zeit? Erstmal klärt man viel zu lange aufgeschobene Gespräche mit FreundInnen und Familie, versucht zu organisieren, wie man jetzt nach Hause kommt und — oh Scheiße — das Zimmer muss unbedingt geputzt werden, sonst komme ich im September in das Schlachtfeld der Klausurenphase zurück. Die letzten beiden Semester sind wir am Tag der letzten Prüfung abends in großer Runde essen gegangen und haben den Abend dann gemütlich (oder weniger gemütlich) ausklingen lassen, um nochmal mit jedem ein bisschen Zeit zu verbringen, bevor alle abhauen. Diese Abende waren eine der schönsten, an die ich mich in Göttingen erinnern kann.

Das erste Mittagessen nach der Prüfung: In der Mate ist jetzt Havanna drin, mein Mitbewohner verdreht die Wörter aus der Zeitung und es gibt endlich Wein, selbstgekochtes Gemüse und vor allem: Zeit und Ausgelassenheit!

So, ganz schöne emotionale Belastung diese Klausurenphase und dann muss da auch noch was Gutes bei rauskommen? Das ist mir ehrlich gesagt eine Anforderung zu viel. Der Stress lässt sich meistern, an den Stunden in der Bib kann man Freude haben, wenn man am Ende den Stoff wirklich verstanden hat. Dass dann noch immer etwas im Mittelmaß rauskommt, ist — ich sage es ganz ehrlich — einfach nur frustrierend. Das Ziel sollte also sein: Den Stoff verstehen und nicht ganz zum Zombie werden, sondern immer noch zwei schöne Wochen als normaler Mensch haben. Die Note vergesse ich sowieso im Urlaub, der auch nur existiert, wenn man überhaupt besteht, das wäre also das dritte Ziel.

Check, check und zumindest für die Mathe Prüfung schonmal check!
Ich wünsche euch wunderschöne Ferien!
Eure Leonie

--

--

Leonie (sblog)
sblog
Writer for

Hallo, mein Name ist Leonie. Ich schreibe über das Physikstudium an der Uni Göttingen.