4-Tage-Woche — Ein Insight

Tim Glatthard
seerow
Published in
5 min readMar 8, 2022

Seit bald fünf Monaten arbeiten wir bei seerow im Rahmen eines Pilotprojektes nach dem Modell der 4-Tage-Woche. Zeit für einen kleinen Insight & Zwischenfazit, wie das aus meiner Arbeitnehmer-Sicht funktioniert.

Um bereits mögliche Unklarheiten aus dem Weg zu räumen, zu Beginn einige Erläuterungen, was die 4-Tage-Woche bei uns heisst und nicht heisst:

❌ 4-Tage-Woche heisst nicht: Alle arbeiten nun automatisch 80%.

✅ 4-Tage-Woche heisst: Alle arbeiten 100% (35 Arbeitsstunden pro Woche) auf vier Tage verteilt.

❌ 4-Tage-Woche heisst nicht: Wir sind faule Bürogummis und wollen einfach weniger arbeiten.

✅ 4-Tage-Woche heisst: Fortschrittliche Arbeitsbedingungen und Prozessoptimierungen führen zu gesteigerter Effizient und besserer Work-Life-Balance führt zu höherer Motivation und Produktivität.

❌ 4-Tage-Woche heisst nicht: Der Kunde muss sich uns anpassen und einplanen, dass wir nur an 4 Tagen in der Woche erreichbar sind.

✅ 4-Tage-Woche heisst: Durch Teamsplitting (die einen arbeiten von Montag bis Donnerstag und die anderen von Dienstag bis Freitag) sind wir weiterhin mit dem kompletten Know-how an fünf Tagen pro Woche erreichbar.

Starten wir beim Start

Es ist Oktober 2021. Ich stehe vor meinem ersten Arbeitstag. Nicht nur innerhalb der 4-Tage-Woche (folgend als 4TW abgekürzt; gesteigerte Effizienz eben 😉), sondern generell bei seerow. Im Stelleninserat habe ich das erste Mal mitbekommen, dass seerow als Pilotprojekt für sechs Monate die 4TW einführen wird. Für mich als damaligen Bewerber klang das äusserst attraktiv. «Woah, vier Tage arbeiten und trotzdem 100% Lohn erhalten», waren hauptsächlich meine Gedanken zu diesem Arbeitsmodell. Unterdessen, mit fünf Monaten Erfahrung in Sachen 4TW, ist mir klar geworden, dass da natürlich noch mehr dahintersteckt.

Win-Win-Situation

Die 4TW ist nicht nur ein Arbeitsmodell, sondern ist auch eine Einstellungssache. Die 4TW steht für moderne und zukunftsorientierte Arbeitsbedingungen in einer Arbeitswelt, in der die Work-Life-Balance immer wichtiger wird. Solche Arbeitsmodelle helfen dabei, beiden Seiten (Arbeitnehmende & -gebende) gerecht zu werden. Für mich als Arbeitnehmer steigert sich die Motivation, da ich weiss, ich habe jede Woche einen zusätzlichen arbeitsfreien Tag. Ein Tag mehr Zeit für mich und meine nebenberuflichen Interessen = ein Tag mehr Zeit zur Erholung und Ausgleich zum Berufsalltag. Der Arbeitgebende seinerseits profitiert von besser erholten Angestellten, welche zudem durch Prozessoptimierungen effizienter arbeiten können. Win-win also.

Kein Selbstläufer

Mir ist aber auch klar, dass dieses Arbeitsmodell bei vielen Seiten auf Unmut und Ablehnung stösst. Nicht in jeder Firma und schon gar nicht in jeder Branche wäre die Umstellung der 4TW von heute auf morgen umsetzbar. Auch bei uns war es kein Selbstläufer: Prozesse und Workflows wurden überarbeitet und für die 4TW optimiert. Der Fokus wurde noch stärker auf die team-interne Kommunikation gesetzt und vor allem über Kanäle, welche für alle einsehbar sind. Wir schreiben keine Mails an einzelne Mitarbeitenden, sondern kommunizieren wann immer möglich in Slack-Channels, wo das ganze Projekt-Team mitlesen kann. Wir versuchen all unsere Informationen (Notizen, Kundenfeedbacks, Meeting-Protokolle, usw.) in Wissensdokus oder Wiki-Ablagen zu hinterlegen, damit alle zu jeder Zeit Zugang darauf haben. Da wir unser Team in zwei «Crews» unterteilt haben und es natürlich, trotz bestmöglicher Dokumentation, immer noch zu offenen Fragen kommt, ist für jeden Mitarbeitenden die Selbstverantwortung für gute Planung und Priorisierung ebenfalls ein sehr wichtiger Teil. Nach Halbzeit des Pilotprojektes haben wir zudem einen internen Workshop durchgeführt, um eine kleine Standortbestimmung aufzustellen. Von einem externen Firmen-Coach geführt, diskutierten wir untereinander, was unsere bisherigen Erfahrungen sind und was wir noch besser machen können. Als Fazit konnten wir festhalten, dass wir durchaus auf einem guten Weg sind und die 4TW bei uns intern eigentlich ausnahmslos auf positives Feedback stösst. Hie und da haben wir sicher noch leichte Optimierungsmöglichkeiten, wie z. B. besseres Refinement von grösseren Tasks oder mehr daran denken, saubere Dokumentationen zu führen.

Fehlende Informiertheit

Innerhalb des Workshops kamen wir auch auf einen Punkt zu sprechen, welchen wir alle durch und durch innerhalb der ersten drei Monate erlebt haben: die Kontroverse rund um die 4TW. Die vielen Medien- und Interview-Anfragen haben uns rasch gezeigt, dass die 4TW ein Thema ist, welches die Gesellschaft interessiert, aber gleichzeitig auch polarisiert. Man lese nur mal die Kommentarspalte einer dieser Medienartikel zur 4TW und man sieht schnell, dass das Verständnis und die Akzeptanz für ein solches Arbeitsmodell noch lange nicht überall vorhanden ist. Für mich persönlich fühlt es sich manchmal sogar fast so an, als müssten wir uns rechtfertigen, die 4TW eingeführt zu haben, bei all den vorwurfsvollen Fragen, Aussagen und Kommentaren, denen man direkt oder auch indirekt gegenübergestellt wird.

Oft findet man aber sehr schnell die Ursache für diese negative Haltung: fehlende Informiertheit. Verständlicherweise wirft ein solches Arbeitsmodell für unbeteiligte viele Fragen auf. So zum Beispiel wurde ich des Öfteren gefragt, ob ich dann nur drei Tage arbeite, wenn ich 80% arbeite oder ob ich dann 120% Lohn erhalten würde, wenn ich trotzdem fünf Tage pro Woche arbeiten möchte. Beides kann ich in unserem Fall mit nein beantworten. Bei uns gibt es innerhalb des Pilotprojektes nur ein 100% Pensum, keine Teilzeitpensen und schon gar kein 120% Pensum. Die Gleichung bei seerow ist ganz simpel: 4-Tage-Woche = 100% Pensum = 35 Arbeitsstunden pro Woche = 100% Lohn; und das für alle.

Positive Aspekte überwiegen

Trotz dieser negativen Konfrontationen überwiegen für mich aber durchaus die positiven Aspekte und Erfahrungen. Man fühlt sich fast etwas stolz, in dieser «Vorreiterrolle» zu sein und gegen aussen zeigen zu können, dass die 4TW definitiv funktionieren kann. Und desto mehr Aufmerksamkeit dieses Arbeitsmodell erhält, desto mehr können wir der fehlenden Informiertheit entgegenwirken und unsere Erfahrungen teilen. Denn für mich ist klar:

Das ist ein Arbeitsmodell mit Zukunft!

Enden wir beim Ende?

Gestartet bin ich beim Start, enden wir nun beim Ende? Das Pilotprojekt endet zwar Ende März, allerdings stehen alle Anzeichen auf «Weitermachen». Die durchaus positiven Veränderungen innerhalb unserer Firma sowie die positive Haltung der Mitarbeitenden öffnen alle Türen und Tore, um weiterhin an diesem Arbeitsmodell festzuhalten.

Hier steht meine eigene Meinung und Erfahrung bzgl. 4-Tage-Woche und wird sicher nicht von allen so geteilt. Was aber auch völlig ok ist. 🌈

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