Warum Reifegradmodelle die Einführung von Industrie 4.0 unterstützen können

Sebastian Berg
Selfbits
Published in
7 min readMar 21, 2018

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Industrie 4.0 als postulierte Zukunft der Produktionstechnik stellt Unternehmen vor zahlreiche Herausforderungen. Es werden in Politik, Industrieverbänden und Wissenschaft zahlreiche Konzepte ausgearbeitet, wie die zukünftige Produktion aussehen kann. Konzerne und große Unternehmen gestalten bereits mit strategischen Entscheidungen und Investments die Produktion von morgen. Kleinen und mittelständischen Unternehmen fehlen gleichzeitig meist die Ressourcen den Themenkomplex aktiv zu bearbeiten. An diesem Punkt können Reifegradmodelle ansetzen.

Reifegradmodelle

Reifegradmodelle dienen meist dazu Prozesse, Entwicklungen oder spezifische Objekte besser zu verstehen und bewerten zu können. In ihnen werden komplexe Entwicklungen in spezifische Dimensionen aufgeschlüsselt und ihren Ausprägungen Reifestufen zugeordnet. Anhand dieser kann dann eine Einschätzung vorgenommen werden.

Gerade im Kontext von Industrie 4.0 sind zahlreiche Reifegradmodelle von verschiedenen Institutionen und Unternehmen entwickelt worden. Allein auf dem deutschen Markt sind 11 Reifegradmodelle öffentlich verfügbar. Fünf davon bieten einen Selbstcheck an.

Die Selbstchecks dienen als Einstieg, um eine erste Bewertung des eigenen Reifegrads zu ermitteln. Mit ihnen werden Unternehmen und Entscheider dabei unterstützt, Verbesserungspotentiale zu erkennen und erste Maßnahmen ableiten zu können.

Um beispielhaft zu zeigen, wie ein Reifegradmodell die Einführung von Industrie 4.0 unterstützen kann, möchte ich das Industrie 4.0-Readiness Modell auszugsweise vorstellen.

Das Industrie 4.0-Readiness Modell des VDMA

Das Modell wurde von der IMPULS-Stiftung des VDMA in Auftrag gegeben und von dem Institut der deutschen Wirtschaft Köln Consult GmbH (IW Consult) und dem Forschungsinstitut für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen durchgeführt.

Die Dimensionen

Das Reifegradmodell unterteilt sich in sechs Dimensionen auf Strategie und Organisation, Smart Factory, Smart Operations, Smart Products, Data-driven Services und Mitarbeiter auf. Innerhalb der Dimensionen werden verschiedene Aspekte untergliedert, und geprüft ob diese bereits eingeführt worden sind. So fallen zum Beispiel unter Smart Operations die Themen Cloud-Nutzung, IT-Sicherheit, Autonome Prozesse und Informationsaustausch.

Die Reifegradstufen

Das Modell unterscheidet zwischen sechs Stufen:

Außenstehende: Unternehmen, für die Industrie 4.0 unbekannt oder nicht relevant ist

Anfänger: Unternehmen, die bereits einige Pilotinitiativen zur Industrie 4.0 gestartet haben

Fortgeschrittene: Unternehmen, die Industrie 4.0 strategisch miteinplanen, Kennzahlen zur Messung des Umsetzungsstands erheben und bereits teilweise Informations- und Kommunikationstechnologie (IKT) in der Produktion einsetzen

Erfahrene: Unternehmen, die eine formulierte Industrie 4.0 Strategie verfolgen und in der Produktion IKT umfangreich einsetzen. Sie bieten auch bereits erste datenbasierte Dienstleistungen für ihre Kunden an.

Experten: Unternehmen, deren Industrie 4.0 Strategie ist bereits in der Umsetzung und wird mit einem Kennzahlensystem überwacht. Es werden umfangreich Daten in der Produktion erhoben und Produkte besitzen IT-basierte Zusatzfunktionen

Exzellenz: Unternehmen, die ihre Industrie 4.0 Strategie bereits umgesetzt haben und ein organisationsweites Innovationsmanagement etabliert haben. IKT werden umfassend in der Produktion eingesetzt und alle relevanten Daten automatisch erhoben. Cloud Lösungen bieten die Basis für eine flexible IT-Architektur und -Sicherheit.

Aufteilung nach Stufen im Jahr 2015:

Angaben für Readiness-Stufen 0 bis 5; Angabe für durchschnittliche Readiness: Skala 0 bis 5; n= 234 (Maschinen- und Anlagenbau); n = 602 (Verarbeitendes Gewerbe). Berücksichtigt sind nur Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten. Quellen: VDMA-Mitgliederbefragung, 2015; IW-Zukunftspanel 2015, 26. Befragungswelle

Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass Unternehmen in Deutschland noch viele Fortschritte in der Umsetzung von Industrie 4.0 Methoden zu erzielen sind.

Dazu identifiziert die zum Reifegradmodell zugehörige Studie zu jeder Dimension Haupthürden, die Unternehmen überwinden müssen, um ihre Umsetzung von Industrie 4.0 weiter umzusetzen. Daraus lassen sich schnell konkrete Maßnahmen ableiten. Im Folgenden möchte ich die identifizierten Hürden im Bereich der Smart Factory vorstellen, da sie zentrale Elemente für die Produktion und Umsetzung von Industrie 4.0 sind.

Die drei Haupthürden auf dem Weg zur Smart Factory

Vollständige Erfassung von Maschinen- und Prozessdaten (in Echtzeit)

Die Erfassung der in der Produktion entstehenden Daten ist eine zentrale Vorrausetzung das Potential der Industrie 4.0 zu erschließen. Nur wenn die relevanten Artikel-, Prozess und Maschinendaten erhoben werden, können Analysen Verbesserungspotentiale aufdecken. Bereits zwei Drittel der Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau, sowie verarbeitenden Gewerbe erheben zumindest teilweise Daten aus der Produktion. Jedes fünfte Unternehmen erfasst keine Daten. Hier zeigt sich auch das große Gefälle zwischen den großen Unternehmen (>500MA), bei denen nur 3,6% keine Daten erheben und den kleinen und mittelständischen (<500MA), bei denen 20,8% keine Daten erheben.

Um hier zu den Branchenvorreitern aufzuholen, eignen sich Lösungen, die auf bereits vorhandene Infrastruktur aufbauen oder neue Elemente effizient in die bisherige integrieren.
Prozess- und Meldedaten können zum Beispiel über Internet-of-Things Geräte erfasst und zentral verwaltet werden. Eine weitere Möglichkeit bietet die breite und günstige Verfügbarkeit von Smartphones. Mit diesen ausgestattet können Mitarbeiter leicht Rückmeldedaten wie Rüstzeiten und Produktionsmengen erfassen.
Die zentrale Speicherung der Daten kann eine Cloud Lösung übernehmen, die auch gleichzeitig an die bisherigen Systeme wie ERP-, CRM und weitere angeschlossen ist. Dies bietet den Vorteil auf einen langwierigen und kapitalintensiven Aufbau neuer Serverinfrastruktur zu verzichten. So kann eine sichere und nach ersten Pilotprojekten einfach skalierende Infrastruktur aufgebaut werden, die die Integrität der bisherigen nicht berührt.

n= 200; Berücksichtigt sind nur Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten. Quellen: VDMA-Mitgliederbefragung, 2015; IW-Zukunftspanel 2015, 26. Befragungswelle

Keine Anbindung der Maschinen und Anlagen an übergreifende IT-Systeme

Die Optimierung im Logistikprozess, Qualitätsmanagement und Transparenz im Produktionsprozess sind die drei wichtigsten Nutzungsfelder von den in der Produktion erhobenen Daten.

Die reine Erhebung der Daten ermöglicht allerdings noch keine Produktivitätsgewinne. Die Daten müssen verarbeitet, aggregiert und analysiert werden. Das heißt aus den Datenpunkten wird zusammen mit ihren Metadaten ein digitales Abbild der Fertigung geschaffen, auch digitaler Schatten genannt.

Zusammen mit in Echtzeit erhobenen Daten und historischen Daten lässt sich so eine Transparenz in der Produktion schaffen. Der Produktionsplanung wird es so ermöglicht, die Planungsgenauigkeit und Anpassungsfähigkeit deutlich zu erhöhen. In einem weiteren Schritt können dann auch valide Prognosen erstellt und unternehmerische Entscheidungen getroffen werden.

“Einen digitalen Schatten zu erzeugen, ist jetzt die erste Bürgerpflicht, die wir haben, um mit den Instrumenten von Lean noch wirksamer umgehen zu können […] Das ist der fulminante Nutzen von Industrie 4.0 auf der Basis des Gedankenguts von Lean”

Professor Günther Schuh, Direktor des WZL der RWTH Aachen

Grundlage dafür ist die breite Informationsverfügbarkeit und intensive Nutzung von Daten. Diese werden in der Produktion erhoben und müssen dann so aufbereitet werden, dass auch andere Stellen darauf zugreifen können. Sonst bleiben Potentiale ungenutzt.

n= 270; Berücksichtigt sind nur Unternehmen mit mehr als 20 Beschäftigten. Quellen: VDMA-Mitgliederbefragung, 2015; IW-Zukunftspanel 2015, 26. Befragungswelle

Fehlende Kommunikation unter den Maschinen (M2M)

Informations- und Kommunikationstechnologie bilden zusammen mit dem Internet der Dinge und Cloud Computing die technologische Grundlage für cyber-physische Systeme. Damit daraus cyber-physische Produktionssysteme werden, müssen auch die Maschine-zu-Maschine-Kommuninkation und die Mensch-Maschine-Interaktion (MMI) gemeistert werden. Erst dann können intelligente Maschinen, intelligente Produkte und der Mensch als Entscheider zusammen wirken, um Industrie 4.0 zu realisieren.

In der Studie wurde die Maschine-zu-Maschinen Kommunikation als eine der Haupthürden zur Erreichung der nächsten Industrie 4.0 Stufe identifiziert. Das heißt Maschinen müssen in der Lage sein, ihre Funktionalitäten, ihren Standort, verbrauchte Ressourcen, Betriebskosten oder die aktuelle Auslastung an andere Systeme im Unternehmen zu kommunizieren.

In einem weiteren Entwicklungsschritt der Industrie 4.0 werden auch Kunden und Lieferanten eingebunden, so dass die erhobenen Daten über die Unternehmensgrenzen hinaus individuell verfügbar gemacht werden. Daraus entsteht das Potential auch auf Unregelmäßigkeiten und Veränderungen beim Lieferanten oder beim Kunden schnell und flexibel zu reagieren.

Die Erfassung der Daten erfolgt häufig über dedizierte IoT-Hardware, die analoge und digitale Signale erfasst. Alternativ können die Daten auch von Rechnern erfasst werden, die ohnehin an die Maschinen angeschlossen sind. Von dort wird über spezielle Software der Datenstrom bestehend aus Steuer- und Messsignalen der Maschine über eine verschlüsselte Verbindung an ein zentrales Cloud-basiertes Datenbanksystem übertragen. Die zentrale Infrastruktur in der Cloud ermöglicht es im Anschluss mittels einer geeigneten Plattform die Daten einfach zu analysieren und zu visualisieren. Über APIs (Application Programming Interfaces), also Schnittstellen, können die Daten außerdem für andere Anwendungen (z.B. ERP Systeme, Mobil-Apps, Dashboards) oder Anwender (z.B: Kunden oder Lieferanten) bereitgestellt werden.

Die hier vorgestellten Hürden zur Umsetzung einer Smart Factory dienen natürlich nur als Beispiel. Das Reifegradmodell bietet einen tieferen Einblick und auch spezifisch auf das Unternehmen passende Empfehlungen. Dafür bietet sich der erwähnt Selbstcheck an, den ich unten verlinkt habe.

Ich hoffe, Sie konnten einen spannenden Einblick gewinnen, wie Reifegradmodelle auch komplexe Themen wie die Industrie 4.0 in greifbare Elemente zerlegt und einen Entwicklungsweg aufzeigen können.

Ich wünsche viel Erfolg bei der Umsetzung!

Der Selbstcheck steht hier zur Verfügung

Die gesamte Studie steht unter folgendem Link zur Verfügung

Über Selfbits
Selfbits begann als Spin-off am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) und wurde vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie durch das EXIST Gründerstipendium gefördert. Die Selfbits GmbH wurde von den KIT-Absolventen Klaus Welle und Oliver Kuppler im Februar 2016 gegründet.

Unser Ziel ist die Vereinfachung Entwicklung von Industrie 4.0 Anwendungen. In einem digitalen Zeitalter mit steigender Zahl verteilter Datenquellen sollten datengetriebene Anwendungen in kürzester Zeit entwickelt werden können. Selbstverständlich mit der Einbindung von bestehender Legacy-IT.

Erfahren Sie mehr darüber wie Hürden bei der Umsetzung von Industrie 4.0 überwunden werden können:

Selfbits und unsere Cloud Plattform auf unserer Internetseite:

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