Maschinendatenmarktplatz.NRW

Wie eine Datenökonomie die Industrie in NRW transformieren kann

Daniel Trauth
senseering
8 min readMay 29, 2020

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Header. Bild: © senseering | Semjon Becker

Co-Authors: T. Bergs, Johannes Mayer, A Beckers

This article is also available in English.

Präambel

Dieser Use Case ist innerhalb des vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Projekts Blockchain Reallabor für das Rheinische Revier entstanden, mit dem Ziel eine themenbezogene Interessengemeinschaft zu bilden. Wenn Sie sich angesprochen fühlen, wenden Sie sich bitte an uns (mail@senseering.de) oder direkt an das Projekt (kontakt_realllabor@fit.fraunhofer.de oder https://blockchain-reallabor.de/). Die ursprüngliche Publikation des Blockchain Reallabors findet sich hier.

Problemstellung

Informationen aus Daten und Modellen gelten als Treiber des digitalen Fortschritts. Der Trend von Industrieunternehmen, aus einzigartigen Daten, die sie besitzen oder erheben, einen Geldwert zu ziehen, wird als notwendig für das Überleben im Wettbewerb eingestuft, da die Daten anderer Unternehmen zur Optimierung der eigenen Produktion und Realisierung von Netzwerkeffekten benötigt werden [1].

Die installierte Sensorik an Produktionsmaschinen sammelt während jedes Fertigungsschrittes große Datenmengen. Aktuell generiert jedoch nur der Betreiber solcher Maschinen einen Mehrwert aus den erfassten Sensordaten. Elementare Produktionsdaten (Rohdaten) lassen sich mithilfe von Technologien der Künstlichen Intelligenz zu smarten Daten verdichten, welche Zusammenhänge u. a. über Materialien, Maschinenzuständen, Zwischenprodukte, Qualitäten, Verbrauchsmaterialien und Umgebungsparameter abbilden. Eine robuste Vorhersage zur Prozessoptimierung mittels datengetriebener Modelle erfordert jedoch Daten unvorhersehbarer und unerwarteter Maschinenausfälle [2]. Solche Daten fehlen meist, vor allem kleinen Unternehmen. Neue Datensätze sind auch bei veränderten Prozessrahmenbedingungen (Qualitätsmerkmale wie bspw. die Bearbeitungsgeschwindigkeit oder Qualitätsmerkmale) von Signifikanz, da die eigenen Daten für eine Optimierung des Ablaufs und der Steuerung des Bearbeitungsprozesses nicht ausreichend sind [3]. Hersteller bzw. Lieferanten von Materialien, Werkzeugen oder Maschinen probieren in solchen Fällen über Testläufe und Versuche Daten zu generieren, mithilfe derer die eigenen Produkte verbessert oder Fehler aufgedeckt werden können. Derartige Daten stammen meist aus einem Versuchsumfeld fernab vom Regelbetrieb.

Ein B2B-Datenhandel scheitert meist an dem bestehenden Misstrauen sowohl hinsichtlich der Herkunft, Integrität, Qualität und Validität von Produktionsdaten als auch bzgl. der zu Grunde liegenden Absicht des Unternehmens [4]. Netzwerkeffekte zwischen Unternehmen, wie die Verbesserung der eigenen Produkte, Maschinen, Prozesse oder Dienstleistungen durch Informationen der vor- bzw. nachgelagerten Lieferkette oder durch erworbene Technologiedaten bleiben daher infolge des nicht stattfindenden Datentauschs unberücksichtigt. Würden sie ausgetauscht werden, erfordern eine Datenanalyse und anschließende Musterableitung für Lerneffekte zur Prozessoptimierung das Fachwissen im Bereich „Künstliche Intelligenz (KI)“ von sogenannten Data Scientists. Diese Fachkräfte sind jedoch rar [5].

Lösungsansatz

Die Blockchain/DL-Lösung ermöglicht allen Marktakteuren (produzierende Unternehmen, Lieferanten und Data Scientists) das unternehmensübergreifende Handeln von Datengütern transparent und nachvollziehbar zu gestalten, um Daten im Sinne eines wirtschaftlichen Guts nutzbar zu machen. Im Unterschied zu edge-basierten Datenspeicherungsmöglichkeiten, die zentral von einer Entität verwaltet werden, gilt die Blockchain/DL-Technologie als geographisch verteilte, praktisch fälschungs- und manipulationssichere Datenbank.

Aus der Dokumentation der Datenverwertung entwickelt sich eine Datenökonomie, in der Daten als digitale Ware fungieren. Prozess-/Produktdaten bzw. bereits existierende technologische Modelle werden verschlüsselt in die Blockchain/DLT-Plattform transferiert und können jederzeit gegen Bezahlung (z. B. Pay-per-Use oder Subskriptionsmodelle) für die Optimierung der eigenen Produktion oder für KI-basiertes Mustererkennen, Lernen, Schlussfolgern und abgeleitete Selbstkorrekturen (Trainingseffekt) genutzt werden. Über die Data Scientists können die Risiken wertloser Daten und die Bindung wichtiger Kapazitäten durch Datenanalyse ausgelagert werden. Das Vertrauen in die gehandelten Daten wird sowohl über das lückenlose, rückverfolgbare und unveränderliche Speichern von Transaktionen inklusive Zeit- und Ortsstempel als auch über den Vergleichsprozess innerhalb des Netzwerks erzeugt, bei dem ausgewählte Teilnehmer die Richtigkeit von Transaktionen bestätigen. Die Garantie für eine Datensouveränität liefert die Dezentralität des Marktplatzes. Alle sensiblen Informationen bleiben vorerst beim Datenanbieter. Erst bei einem erfolgreichen Kauf gehen die Daten an den Käufer über. Der Datenmarktplatz verfügt lediglich über die Datenbeschreibungen (Metadaten) und hat zu keiner Zeit Zugriff auf Rohdaten.

Abbildung 1: Vision eines Datenmarktplatzes.NRW. Bild: © WZL & Senseering GmbH

Die Vision des Maschinendatenmarktplatz.NRW bietet eine anwenderfreundliche Plattform, die zwei rare Komponenten (unternehmensfremde Daten, Data Scientists) vereint, um Mehrwerte für datenbereitstellende und -analysierende Unternehmen zu schaffen. Die eigene Produktion und die gefertigten Produkte können durch die Verknüpfung eigener und gekaufter Daten auf ein neues Level (Smarte Produktion) angehoben werden.

Die Potenziale beziehen sich auf

  • die Anlagenoptimierung,
  • das Produkt-/Prozesstracking,
  • den Austausch von Produkteigenschaften und
  • die Verifikation der Herkunft von Erzeugnissen [2].

Daten desselben Maschinentyps von unterschiedlichen Produzenten ermöglichen die Verbesserung von Instandhaltungsmaßnahmen im Sinne einer vorausschauenden Instandhaltung durch datengetriebene Prädiktionsmodelle, sodass die Maschinenlaufzeit und Produktqualität gesteigert werden können (Anlagenoptimierung). Der Austausch von produkt- bzw. prozessrelevanten Daten wie bspw. über den Standort von Produkten oder den Status von Prozessen ermöglicht eine unmittelbare Reaktion auf Fehler. Die digitale Abbildung der Prozesskette dient zur Klärung der Haftung, der vorausschauenden Instandhaltung und der Steigerung der Effizienz durch die Automatisierung von End-to-End-Prozessen (Produkt-/Prozesstracking). Der Austausch eines digitalen Zwillings (Erweiterung der Datenbasis eines CAD-Modells um die tatsächlichen Dimensionen und Qualitäten eines Bauteils) ermöglicht die individuelle Synchronisation und Optimierung von Produktionsprozessen. Durchgängige Qualitätskontrollen bei Wareneingang werden durch die Zurückverfolgbarkeit obsolet (Produkteigenschaften). Daten bzgl. der Herkunft ausgewählter Güter dienen als Beweisgrundlage bei Haftungsfragen (Verifikation der Herkunft).

Auf Basis dieses Anwendungsfall der Blockchain/DLT entstehen neuartige Geschäftsmodelle rund um handelbare Datenprodukte aus smarten Daten. Beispielsweise können Daten, die im Rahmen eines Produktionsprozesses anfallen, nun von „Datenmüll“ in ein wertvolles Asset verwandelt und am Markt profitabel gehandelt werden. Der Datenhandel kann als neue Einnahmequellen auf Basis häufig ohnehin vorhandener oder leicht zu gewinnender Daten betrachtet werden. Werkstücke und deren Eigenschaften (bspw. Bauteilgeometrien) werden als digitaler Zwilling abgebildet und können erworben werden. Der Marktplatz ermöglicht einen direkten Informationsaustausch, Verhandlungen und automatisierte Bezahlvorgänge zwischen Maschinen. Er ist offen und leicht zugänglich sowie ausfall- und manipulationssicher.

Herausforderungen

Fundament dieses Use Cases sind, neben dem Vorhandensein verwertbarer Daten, das Vertrauen in die Mechanismen des Datenhandels, einschließlich der Integrität und Validität der gehandelten Daten, sowie eine Möglichkeit zur ökonomischen Bewertung der Daten am Markt.

Die Verfügbarkeit von Daten zur Anlagenoptimierung erfordert ein Mindestmaß an sensorischer Ausstattung [2]. Dabei ist eine Interoperabilität dieser Messausstattung von Bedeutung, um eine zuverlässige Datenerfassung sicherzustellen. Die reine Existenz von Daten ist jedoch nicht ausreichend. Ihr unveredelter Ausgangszustand ohne zugeordneten Kontext macht eine Wertzuweisung unmöglich, da eine Transformation der Daten in Informationen mithilfe analytischer Modelle einen Kontext wie bspw. den Bezug zum Analysezeitraum erforderlich macht. Daten müssen vor einem Handel zunächst bereinigt werden. Es kommt erschwerend hinzu, dass häufig das Vertrauen in die Daten im industriellen Umfeld fehlt. Ein möglicher Ansatz zur Lösung dieser Problematik ist die kostenlose Bereitstellung von unternehmenseigenen Daten. Die Partizipation an den Monetarisierungsmehrwerten erfolgt durch ein Beteiligungsmodell in Abhängigkeit des Potenzials der Daten.

Die vollständige Abbildung eines digitalen Zwillings erfordert eine intensive Zusammenarbeit zwischen den verschiedensten Partnern der Wertschöpfungskette. Bei der Vielzahl der Stakeholder des beschriebenen Maschinendatenmarktplatzes ist zu berücksichtigen, wie Entscheidungen bei unterschiedlichen Arten von Blockchain-Technologien zwischen den verschiedenen Akteuren getroffen werden.

Eine weitere Herausforderung in einem Netzwerk aus verschiedensten Partnern ist das Risiko falscher Datensätze zur Erzielung von Wettbewerbsvorteilen [6]. Die Bereitstellung inkorrekter Daten verhindert einen ungestörten Ablauf der Produktion und führt zu falsch eingestellten Prozessen (z. B: Prozesskräfte). Gegenwärtig sind Unternehmen dazu verpflichtet, die verfügbaren Informationen gelegentlich zu überprüfen. Dies ist jedoch nicht immer ohne eine Zerstörung des Werkstoffs möglich. Die Gefahr für den Produzenten ist die Wahl einer, durch manipulierte Kundeninformationen entstandene, falsche Produktentwicklungsstrategie.

Für Kunden und Mitarbeiter besteht das Risiko des Trackings und Überwachens auf Grundlage der bereitgestellten Informationen. Ohne Anonymisierung oder Aggregation der Daten können Entitäten entlang der Supply Chain potenzielle Kunden identifizieren, deren persönliche Wünsche/Charaktereigenschaften einsehen und das Handeln der Mitarbeiter zurückverfolgen. Auf Grundlage des Datenschutzgesetzes (DSGVO) müssen spezielle Anforderungen an die Plattform zum Schutz der personenbezogenen Daten gestellt werden.

Stakeholder

Es existieren sechs Gruppen an potenziellen Stakeholdern für diesen Anwendungsfall: Data Scientists, Hersteller, Lieferanten, Kollaborateure (Endpunkt der Lieferkette, interorganisatorischer Datenaustausch), Kunden und Wartungsdienstleister. Unabhängig von der Art der Zusammenarbeit tauschen die Entitäten verschiedene Daten aus, mit denen ein unterschiedlicher Zweck verfolgt wird und diverse Sicherheitsrisiken auftreten [6]. Bei einem Datenaustausch zwischen Produzent, Werkzeuglieferant, Instandhalter und Kollaborateur ist zu beachten, dass keine umfassenden und direkten Daten der Produktion ausgetauscht werden. Der Verlust von intellektuellem Eigentum durch Rückschlüsse auf den laufenden Prozess und den Nutzen der hergestellten Produkte kann durch einen lesbaren Datenzugang herbeigeführt werden und ist insbesondere in dynamischen Zeiten, in denen partnerschaftliche Beziehungen kurzlebig sind, kritisch. So könnten Lieferanten und Instandhalter unter Umständen als Dienstleister auch bei Wettbewerbern Dienste verrichten und einen Anreiz besitzen, Daten zu teilen. Die Datenströme zum Kunden enthalten wenig sensible Informationen. Sie dienen der Befriedigung der Kundenerwartungen und ermöglichen zielgerichtete Support-Dienstleistungen.

Das Industrial IOTA Lab Aachen eröffnete einen Datenmarktplatz für die Prozessdaten einer Feinschneidanlage, welcher vom Werkzeugmaschinenlabor der RWTH Aachen University betrieben wird.

Das Softwareentwicklungsunternehmen senseering GmbH (Sitz in Köln) bietet eine DLT-Datenplattform MyDataEconomy an, welche einen freien Datenhandel und Edge-Computing ermöglicht. Daten werden gehandelt und gestreamt, ohne die Datenhoheit der Besitzer zu verletzen oder die Informationen zu missbrauchen. Die Datenplattform ermöglicht dies durch die Schlüsseltechnologien 5G, IOTA und Cloud-/Edge-AI.

Quellen

[1] https://www.computerweekly.com/de/meinung/Digital-Trust-Digitales-Vertrauen-in-einer-Welt-voller-Daten

[2] World Economic Forum in collaboration with Boston Consulting Group: Share to gain: Unlocking Data Value in Manufacturing; 2020

[3] https://www.it-production.com/hardware-und-infrastruktur/forschungsprojekt-iuno/

[4] Fraunhofer-Institut für Software- und Systemtechnik ISST: Datenmarktplätze — Plattfor-men für Datenaustausch und Datenmonetarisierung in der Data Economy

[5] https://www.vdi-nachrichten.com/karriere/datenanalysten-sind-rar/

[6] Pannekamp, J., Henze, M., Schmidt, S., Niemietz, P., Fey, M, Trauth, D., Bergs, T., Brecher, C., Wehrle, K.: Dataflow Challenges in an Internet of Production: A Security and Privacy Perspektive; 2019; Association for Computing Machinery

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senseering GmbH

Die senseering GmbH ist ein mit dem RWTH Aachen University Spin-Off-Award ausgezeichnetes und im September 2018 gegründetes Unternehmen. Kernkompetenz der senseering GmbH ist die Entwicklung und Implementierung von Systemen zur Digitalisierung und Vernetzung von Industrie- und Produktionsanlagen. Gleichermaßen berät die senseering GmbH bei strategischen Unternehmensfragestellungen, insbesondere bei der digitalen Transformation, bei Distributed-Leger-Technologies, bei Edge vs. Cloud-Computing-Architekturen zur KI-basierten Echtzeitregelung industrieller Prozesse, bei der Digital Business Model Innovation und bei der Einführung digitaler Geschäftsprozesse wie Home Office, Azure oder Microsoft365. Senseering gehört zu den Gewinnern des ersten und größten KI-Innovationswettbewerbs des BMWi mit dem Projekt www.spaicer.de.

Daniel Trauth (CEO) | www.senseering.de | E-Mail: mail@senseering.de

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