Werkzeug- und Maschinen-Abonnements

Blockchain/DLT-basierte Geschäftsmodelle für die Produktionstechnik in NRW

Daniel Trauth
senseering
6 min readApr 17, 2020

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Header. Bild: © senseering | Semjon Becker

Co-Authors: A Beckers, Johannes Mayer, T. Grünebaum, T. Bergs

This article is also available in English.

Präambel

Dieser Use Case ist innerhalb des vom Ministerium für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen geförderten Projekts Blockchain Reallabor für das Rheinische Revier entstanden, mit dem Ziel eine themabezogene Interessengemeinschaft zu bilden. Wenn Sie sich angesprochen fühlen, wenden Sie sich bitte an uns (mail@senseering.de) oder direkt an das Projekt (kontakt_realllabor@fit.fraunhofer.de).

Der Use Case wurde auch auf https://blockchain-reallabor.de/publikationen/ hinter diesem Direct Link publiziert.

Ausgangssituation und Problemstellung

Das Wettbewerbsumfeld produzierender Unternehmen ist von hoher Dynamik und Unsicherheit geprägt, wodurch die Investitionsbereitschaft in neue Produktionsmaschinen gehemmt wird. Gleichzeitig führen vielseitige Kundenanforderungen zu einer hohen Diversität der Produkte und immer kürzeren Produktlebenszyklen. Die Notwendigkeit, kontinuierlich neue Produkte zu entwickeln bzw. bestehende weiterzuentwickeln, um damit wettbewerbsfähig zu bleiben, kann die Anpassung bestehender Fertigungsprozesse aber auch den Einsatz neuer Maschinen erfordern. Bereits an dieser Stelle wird das Dilemma ersichtlich: Einerseits hemmen die Marktunsicherheit, die erwarteten kurzen Produktlebenszyklen sowie das Risiko, einzelne Maschinen aufgrund vielseitiger Kundenanforderungen nicht auslasten zu können, die Investitionsbereitschaft in neue Produktionsmaschinen. Andererseits ist der Einsatz dieser neuen Maschinen notwendig, um die vielseitigen Kundenanforderungen zu erfüllen und dabei eine wirtschaftlich optimierte und somit wettbewerbsfähige Fertigung zu gewährleisten. Hinzu kommt, dass insbesondere in und nach Krisen, die eine oder mehrere Branchen betreffen (z. B. die Corona-Krise), Unternehmen ihre Produktionskapazitäten aufgrund schnell ansteigender bzw. fallender Nachfrage kurzfristig und flexibel anpassen müssen.

Unabhängig von den oben beschriebenen Entwicklungen stehen Hersteller von Maschinenwerkzeugen wie Bohrer, Fräser und Schleifscheiben aktuell von einer weiteren Herausforderung. Im Rahmen des Leistungsumfangs verkaufter Werkzeuge werden derzeit Lebensdauern festgelegt, welche die Werkzeuge erreichen müssen. So wird bspw. definiert, welches Volumen mit einer Schleifscheibe mindestens zerspant werden kann, bevor die Scheibe nicht weiter einsatzfähig ist. Werden die entsprechenden Lebensdauern nicht erreicht, wird der vereinbarte Preis für das Werkzeug reduziert. Eine höhere erreichte Lebensdauer des Werkzeugs führt i. d. R. jedoch nicht dazu, dass ein höherer Preis gezahlt wird. Gleichzeitig kann der Werkzeughersteller die Ursache für das Werkzeugversagen (bspw. einer Schleifscheibe) nur unzureichend nachvollziehen, sodass Versagensursachen bspw. durch fehlerhafte Werkzeuganwendung (z. B. Nutzung von zu wenig Kühlschmierstoff) vielfach nicht identifiziert werden.

Lösungsansatz

Tool- bzw. Machine-Subscription-Geschäftsmodelle im Sinne von Pay-per-Use oder Abo-Konzepten stellen in der Kombination mit Distributed-Ledger-Technologien (DLT) wie bspw. der Blockchain-Technologie einen vielversprechenden Lösungsansatz für die beschriebenen Herausforderungen dar. Bei diesen Modellen verkaufen Maschinen- und Werkzeughersteller ihre Produkte nicht, sondern ermöglichen eine temporäre und leistungsbezogene Nutzung der Produkte. Der Ansatz bietet das Potenzial für produzierende Unternehmen, über Abonnement-Modelle Maschinen einzusetzen, um wirtschaftliche Fertigungsketten für die Herstellung neuer Produkte ohne hohe Investitionskosten aufzubauen bzw. um kapazitative Engpässe bei schwankenden Nachfragen (z. B. in und nach Krisen in einzelnen Branchen) auszugleichen. Es wird erwartet, dass die Auslastung von Produktionsmaschinen durch die auftragsbezogene Nutzung (Abonnements) mehrerer Unternehmen gesteigert wird. Die vorhandenen Ressourcen können effizienter genutzt werden, da die Hersteller nur entsprechend des prognostizierten Bedarfs Maschinen fertigen und für Subscription-Modelle zur Verfügung stellen.

Bei Tool-Subscription-Modellen liegt der Fokus weniger auf der Vermeidung hoher Investitionskosten oder der Nutzung eines Werkzeugs durch mehrere Unternehmen, sondern in der leistungsbezogenen Vergütung im Sinne eines Pay-per-Use-Abonnements. Hierbei erfolgt die Bezahlung der Werkzeughersteller entsprechend der Leistungsfähigkeit (z. B. Lebensdauer) von Werkzeugen. Dieses Modell gewährleistet eine faire Vergütung der erbrachten Leistung für Anwender sowie Hersteller.

Wie am Beispiel der Schleifscheibe beschrieben, liegt eine Herausforderung der Subscription-Modelle in der Nachvollziehbarkeit der Nutzung des Werkzeugs oder der Maschine, um Ursachen für z. B. erzielte Lebensdauern (z. B. fehlerhaftes Werkzeug oder falsche Anwendung) zu ermitteln. Bislang müssen Werkzeug- und Maschinenhersteller den Anwendern vertrauen, dass ihre Werkzeuge bzw. Maschinen innerhalb der vereinbarten Leistungsbereiche (Belastungsintervalle) verwendet werden und die Nutzungsdaten korrekt übermittelt werden. Um diese Nachvollziehbarkeit der Nutzung von Werkzeugen und Maschinen zu verbessern, kann die Blockchain angewandt werden, um Transparenz bezüglich der vorgabenentsprechenden Nutzung von Werkzeugen bzw. Maschinen zu schaffen. Über integrierte Sensorik und Maschinenschnittstellen können bspw. Kraft-, Leistungs-, Steuerungs- oder weitere Maschinendaten erhoben und in der Blockchain fälschungssicher gespeichert werden, vgl. Abbildung 1. Anschließend werden diese Daten genutzt, um die Kosten der Nutzung zu ermitteln.

Abbildung 1: Tool- und Machine-Subscription-Modelle mittels Blockchain/DLT. Bild: © WZL | Alexander Beckers & Johannes Mayer

Dabei ermöglicht die Blockchain-Technologien die direkte, automatische Bezahlung für den Einsatz eines Werkzeugs oder die Nutzung einer Maschine via Smart Contracts. Über hinterlegte Kostenmodelle kann in Echtzeit die Höhe der Bezahlung auf Grundlage der erhobenen Daten (z. B. durchschnittliche Werkzeugbelastung über die Maschinenleistung sowie Lebensdauer) ermittelt und die Transaktion abgeschlossen werden. Perspektivisch können die erhobenen Daten nicht nur für die Abrechnung verwendet werden, sondern bieten vielfältige weitere Potenziale z. B. hinsichtlich belastungsabhängiger Wartungszyklen von Maschinen oder Quality-Tracking für einzelne Fertigungsprozesse.

Wie Abbildung 1 zeigt, liegt der Fokus von Machine-Subscription-Modellen nicht auf der leistungsbezogenen Nutzung einer Maschine von einem Unternehmen, sondern auf einem Netzwerk. Darin agieren verschiedene Maschinenhersteller sowie produzierende Unternehmen und nutzen gemeinsame Produktionskapazitäten. Die Daten in der Blockchain werden dazu genutzt, um aktuelle Maschinenzustände (u. a. Auslastungen) sowie vorhandene und geplante Bedarfe zu koordinieren. Hierzu stellen Tool-Subscription-Modelle die Vorentwicklungsstufe für Machine-Subscription-Modelle dar, um die Abonnement-Ansätze in der Industrie zu etablieren und somit die Grundlagen für das dezentrale Maschinennetzwerk zu schaffen.

Herausforderungen für die Umsetzung

Zur Umsetzung von Tool- und Machine-Subscription-Modellen müssen zunächst verschiedene Herausforderungen gelöst werden, die auf unterschiedlichen Ebenen (u. a. Finanzierungsstruktur, fertigungstechnologische Modelle, Datensicherheit oder Recht) vorliegen. Im Folgenden werden ausgewählte Herausforderungen beschrieben.

Wirtschaftlich überzeugende Geschäftsmodelle für alle Beteiligten: Bislang fehlen wirtschaftliche Bewertungsmodelle sowie Finanzierungsstrukturen für die Umsetzung der beschriebenen Subscription-Modelle. Zwar werden für produzierende Unternehmen, die Machine-Subscription-Modelle nutzen, die Investitionskosten reduziert, jedoch fallen diese dann vermehrt z. B. beim Maschinenhersteller oder einem Finanzintermediär an. Für diesen Fall können neue Finanzierungskonzepte notwendig werden. Außerdem sind geeignete Kostenmodelle zu entwickeln, mit denen Preise für eine bestimmte Maschinen- oder Werkzeugnutzungen in Smart Contracts festgelegt werden.

Ermittlung relevanter Technologiedaten: Im direkten Zusammenhang mit den geeigneten Kostenmodellen stehen die Technologiedaten, welche zur Kostenberechnung genutzt werden. Hierzu sind technologische Modelle zu entwickeln bzw. weiterzuentwickeln, mit denen die Auswirkungen der Nutzung auf das Werkzeug bzw. die Maschine prognostiziert werden können. Beispielsweise könnten Informationen zu Spindelleistungen als Indikator genutzt werden, um die Lebensdauer von Schleifscheiben zu prognostizieren. In diesem Fall bezahlt der Anwender des Werkzeugs bei hohen Spindellasten einen höheren Stundensatz, da eine geringere Lebensdauer der Schleifscheibe als bei niedrigen Spindellasten erwartet wird. Nach aktuellem Stand der Forschung liegen erste Ansätze zur Vorhersage von Lebensdauern in Abhängigkeit von Prozessgrößen vor. Aus diesem Grund werden Tool-Subscription-Geschäftsmodelle als kurzfristig umsetzbar bewertet. Machine-Subscription-Modelle werden als mittelfristig umsetzbar eingestuft.

Sicherheit: Für die Umsetzung der Subscription-Modelle auf Basis Blockchain ist zudem zu ermitteln, welche quantifizierbaren Sicherheitsvorteile gegenüber bspw. zentralisierten Client-Server-Architekturen liegen, um eine abschließende Technologieauswahl zu treffen. Recht: In Bezug zu der beschriebenen Abrechnung über Smart Contracts ist zu prüfen, welche rechtlichen Bedeutungen Smart Contracts zukommen und wie diese rechtlich sicher automatisiert werden können.

Stakeholder

Zu den potenziellen Stakeholdern der Tool- und Machine-Subscription-Modelle zählen grundsätzlich alle produzierenden Unternehmen. Insbesondere sind Unternehmen betroffen, die einen hohen Werkzeugverbrauch haben sowie kleine und mittlere Unternehmen, für die hohe Investitionskosten eine große Hürde darstellen. Weitere Stakeholder sind die Werkzeug- sowie Maschinenhersteller, welche ihre Produkte für die Nutzung in Subscription-Modellen einbringen. Wie im Kapitel zu den Herausforderungen beschrieben, werden für die Implementierung der vorgestellten Lösungen Finanzierungsstrukturen benötigt, in welchen Finanzinstitute eine zentrale Rolle einnehmen können. Ebenso ist die Einbeziehung von Versicherungsunternehmen zur Absicherung von Schadensfällen bei der Maschinennutzung in Machine-Subscription-Modellen möglich. Für die Implementierung der Blockchain-Lösung bzw. den Aufbau ist die Expertise von auf die Blockchain-Technologie spezialisierten IT-Unternehmen erforderlich.

Footer. Bild: © senseering | Semjon Becker

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Daniel Trauth
senseering

danieltrauth.com works in digital transformation (senseering), tokenization of CO2 emissions (BlackFourier), & stands up for human rights (BraveBrew).