Warum jedes Unternehmen ein Innovation-Portfolio benötigt

Nicolas Kittner
Silicon Pauli
Published in
5 min readApr 2, 2019

„Wir machen einen Inkubator!“ „Wir investieren in Startups!“ „Wir entwickeln eigene Produkte!“ Wenn es um die Innovation in Unternehmen geht, gibt es meist viele tolle Ideen. Aber welche ist die beste? Welchen Ansatz soll man verfolgen?

Die Antwort ist: alle. Denn eine gute Innovationsstrategie ist wie ein gutes Investment-Portfolio. Jeder gute Vermögensverwalter (und jeder vernünftige Privatanleger) macht eine Asset-Allocation. Das bedeutet, er oder sie verteilt das Investmentrisiko auf unterschiedliche Anlageklassen. Verallgemeinert gilt: Je höher das Einkommenspotenzial der Klasse, desto höher das Risiko. Staatsanleihen: niedrige Zinsen, niedriges Ausfallrisiko. Aktien: bessere Zinsen, höheres Ausfallrisiko. Crypto-Währungen: Extrem hoher potenzieller Wertzuwachs, extremes Risiko. Die Wahrung des Vermögens ist schon schwer genug, weil ständige Inflation das Geld unentwegt entwerten. Aber die Vermehrung des Vermögens ist die eigentliche Aufgabe — und dafür ist ein ausgewogenes Portfolio unerlässlich. Wer sein ganzes Geld in Staatsanleihen anlegt, der hat es zwar sicher, aber er vermehrt es auch nur minimal. Wer sein ganzes Geld in Bitcoins angelegt hat, war zwar zwischenzeitlich Multi-Millionär, hat aber jetzt ein gewaltiges Problem.

So funktioniert die Risikoverteilung eines der erfolgreichsten Fonds

Das richtige Maß ist also entscheidend. Und das ist sehr individuell: Wieviel kann ich anlegen? Was muss ich später herausbekommen, um gut zu leben, z.B. für die eigene Rente? Und wie groß ist meine Risikobereitschaft? Diese Fragen muss sich jeder Anleger stellen, wenn er sein Geld anlegen möchte.

Und genau diese Fragen muss sich jeder Vorstand stellen, wenn es um die Entwicklung des eigenen Innovation-Portfolios geht. Genauso wenig, wie irgendjemand mit Sicherheit sagen kann, wie sich der Immobilienmarkt in 10 Jahren in Hamburg entwickelt oder was mit der Tesla Aktie in 2021 passiert, weiß niemand, welche Auswirkungen zum Beispiel Machine Learning, Quantum Computing oder ein harter Brexit auf das Geschäft eines Unternehmens haben. Klar, wir haben Annahmen. Aber sie sind im besten Fall „Educated Guesses“ und keine Fakten. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie hoch die Risiken und wie hoch die Chancen sind. Es kann noch nicht einmal jemand mit Sicherheit sagen, ob bestimmte Ereignisse eintreten. Virtual Reality beispielsweise wird seit den Neunzigern in regelmäßigen Abständen der Durchbruch im Massenmarkt vorausgesagt. Passiert ist in Wirklichkeit sehr wenig.

Wie also reagiert ein Unternehmen strategisch auf diese maximale Unsicherheit? Die Antwort: Mit einem ausgewogenen innovation-Portfolio, das Chancen und Risiken verteilt. Ein gutes Innovation-Portfolio hat zwei primäre Dimensionen.

  1. Moonshot-Level: Moonshots sind große, riskante Initiativen, die das Potenzial haben, alles zu verändern (so wie die Mondlandung 1969). Das Moonshot-Level beschreibt dementsprechend das Maß der Ambitionen (und die Höhe des Risikos) der Initiative.
  2. Distance from Core Org: Einige Projekte werden in der Kernorganisation umgesetzt, andere nicht. Gerade bei Innovationen ist diese Frage immer wieder kritisch. Grundsätzlich gilt: je weiter die Distanz, desto größter der Freiheitsgrad der Projektbeteiligten — aber desto kleiner auch der direkte Einfluss auf die Kernorganisation. Beide Dimensionen sind voneinander abhängig: Je größer mein Moonshot-Level ist, desto größer muss die Distanz von meiner Kernorganisation sein. Wenn ich als Mittelständler im Rheinland Silikondichtungen herstelle, aber ein strategisches KI-Projekt starte, das mein gesamtes Unternehmen verändern könnte, benötige ich dafür andere Leute, andere Prozesse, andere Orte, andere Geschäftsmodelle, andere Mindsets.

Moonshots machen Spaß, aber sie sind eben auch teuer und sehr risikoreich. Die richtige Allokation von Moonshots außerhalb der Organisation und kurzfristigen Veränderungen innerhalb des Kerngeschäfts ist die Aufgabe.

Wir müssen also die unterschiedlichen Assets im Innovation-Portfolio richtig verteilen. Grob können wir von drei Asset-Klassen ausgehen.

1. Disruption: Völlig neue Produkte und Geschäftsmodelle, die alles bestehende infrage stellen

High Moonshot-Level, High Distance.

Maßnahme: Aufbau oder Investition in einen VC-Fond oder Accelerator außerhalb der eigenen Organisation

Wir investieren über einen Fond in ambitionierte Startups. So kommen wir inhaltlich nah an die spannenden Innovationen, die unter Umständen nur sehr wenig mit unserem bisherigen Geschäft zu tun haben. Wir können Erfahrungen sammeln, relevantes Wissen aufbauen, Talent und Technologie akquirieren und profitieren finanziell bei einem möglichen Exit. Aber ein Return on Investment entsteht erst nach Jahren — wenn überhaupt.

2. Transformation: Innovationen, die das bestehende Geschäftsmodell radikal neu denken

Medium Moonshot-Level, Medium Distance

Maßnahme: Aufbau eines eigenen Inkubations- oder Lab-Programms außerhalb des Tagesgeschäfts

Wir entwickeln in einem Lab oder Inkubator eigene (digitale) Innovationen, die zwar eine Verbindung zum Kerngeschäft haben, aber organisatorisch bewusst aus dem Arbeitsalltag des Unternehmens herausgeholt werden. Auf der viel zitierten grünen Wiese können Spezialisten mit klaren Prozessen Produktkonzepte und Prototypen entwickeln, diese testen und die vielversprechendsten umsetzen. Erfolgreiche Produkte können in die Kernorganisation re-integriert werden. Aber auch hier reden wir meist von Jahren bevor echte finanzielle Returns entstehen. Diese Zeit braucht es, um genug Wetten einzugehen, diese Wetten umzusetzen und mögliche Erträge zu sehen.

Optimization: Weiterentwicklung bestehender Produkte und Geschäftsmodelle

Low Moonshot-Level, Low Distance

Maßnahme: Entwicklung kurzfristiger Produktoptimierungen oder - erweiterung im Tagesgeschäft

Im Tagesgeschäft gibt es meistens dutzende gute Ideen für Produktoptimierungen oder Erweiterungen des Angebots. Das Problem: diese Ideen werden entweder gar nicht oder ohne klaren Prozess umgesetzt. Aber hier liegen massive Potenziale für vor allem kurzfristige Verbesserungen. Motivierte Mitarbeiter haben eine hohe Domain-Expertise. Gepaart mit dem eigenen Anspruch, Dinge zu verbessern, entstehen starke Potenziale, die wir umsetzten müssen. Eine klare Prozessualisierung und Messbarkeit dieser Umsetzungen sind Voraussetzungen dafür, dass diese Maßnahmen einen relevanten Anteil an unserem Portfolio ausmachen.

Verallgemeinert gilt: Je näher die Nähe zur Kernorganisation ist, desto größer das Volumen der Maßnahmen. Das erklärt sich alleine durch reine Quantitäten. Das Tagesgeschäft wird vielleicht von 10.000 Mitarbeitern gestemmt, während für das Management eines Fonds eine Handvoll Personen ausreicht.

Aber auch hier gibt es Ausnahmen. Unternehmen, deren bisherige Geschäftsmodelle unter massivem Druck stehen, tuen gut daran, ihre Ressourcen in Richtung Transformation und Disruption zu verschieben.

Am Ende muss jedes Unternehmen individuell entscheiden, wie das Portfolio am besten aufgestellt ist. Was will ich? Was kann ich leisten? Und womit fühle ich mich wohl?

So entsteht ein Innovation-Portfolio, das wie bei der Geldanlage aus unterschiedlichen Assetklassen besteht und dadurch erfolgreich wird. Wir investieren in Moonshots, die uns langfristig neue Chance bieten und in einem Raum maximaler Unsicherheit und Unwissenheit agieren. Wir entwickeln eigene Geschäftsmodelle und Produkte, die unser Kerngeschäft neu denken. Und wir haben kurzfristige Produktoptimierungen und -erweiterungen, die im Tagesgeschäft stattfinden.

Erfolgreiche Investment-Portfolios sind relativ langweilig, ausgewogen und sehr langfristig. Hypes und Aktionismus sind die Tools der Amateure. Das ist gilt sowohl für Geldanlagen als auch für die Sicherung der Unternehmenszukunft.

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