Zu viele Consultants, zu wenig Macher
Wenn alle nur die Strategie machen, wer macht dann die Arbeit?
Ich bin Consultant. Ich berate Unternehmen dabei, digitale Produkte zu entwickeln.
Ich präsentiere keine Powerpoints. Ich habe auch keine Whitepapers, nach denen ein Geschäftsführer mich vor kurzem fragte. Ich habe nicht mal Visitenkarten.
Stattdessen arbeite ich mit den Teams an ihren Projekten. Oft starten wir mit einem Workshop, bei dem in kurzer Zeit etwas entsteht, das man zeigen und testen kann.
Meine Kunden mögen das. Nach einem Workshop habe ich gehört: “Das war nicht so lahm wie bei den anderen Workshops, die wir sonst machen.” Das freute mich. Aber ich hatte gar keinen Vergleich, ich habe in meinem Leben vielleicht an zwei richtigen Workshops teilgenommen. Was sonst Workshop heißt, sind entweder chaotische Brainstorming-Sessions oder Frontalpräsentationen. Ich wusste nicht, wie Workshops sein sollten, aber ich wusste, wie man effizient zu einem Ergebnis kommt.
Zu viel Makro, zu wenig Mikro
Das Problem mit den meisten Consultants ist: Sie sind ausschließlich Consultants. Sie bewegen sich auf einer Metaebene, alles ist Makro, nichts Mikro. Es geht um Trends im Markt, um Prozesse, um Strukturen, um Preismodelle, um Businesspläne und Markenstrategien. Aber Berater müssen das Mikro kennen, sie müssen wissen, wie man aus einer E-Commerce Strategie einen Shop macht, wie man aus einer Idee einen Prototypen baut, wie man aus Trends ein Produkt entwickelt.
Die “12 Technologie-Trends, die alles verändern werden” sind schnell erzählt. Die “3 provokanten UX-Thesen” sind meistens nicht mal provokant. Solche Vorträge sind im besten Fall unterhaltsam. Aber sie schaffen keinen Wert. 67 Charts für den optimierten Designprozess mögen gut gemeint sein, aber sie landen im Archiv und werden nach dem Vortrag nie wieder angesehen. Und umgesetzt wird davon auch nichts.
Gute Kunden riechen 100 Meter gegen den Wind, wenn jemand nur Theorie verkauft. Gute Kunden sind schlau, sie wollen Dinge umsetzen und benötigen dabei manchmal externe Fachexpertise. Deswegen brauchen sie Leute, die wissen, wie man diese Dinge umsetzt. Aber sie brauchen niemanden, der aus den Blogs die heißesten Wearable-Startups des Jahres 2020 abschreibt und dafür vierstellige Tagessätze kassiert.
Dreckige Hände und ein schlauer CTO
Florian Klemt ist der CTO von Fashion.Cloud. Vor kurzem lud ich ihn ein, um einen kurzen Vortrag bei einem meiner Workshops zu halten. Florian hatte vorher noch nie für Geld einen Vortrag gehalten. Also erzählte er 60 Minuten lang von seinen Erfahrungen beim Aufbau seines Startups. Alle waren begeistert. Der Vortrag war nicht provokativ oder mit Superlativen belegt. Er erzählte eine ehrliche, unterhaltsame Geschichte von jemandem, der sich die Hände dreckig gemacht hatte, um ein Unternehmen aufzubauen. Oder wie Florian es ausdrückte: “Jemand, der bis zu den Ellbogen in der Ölwanne wühlt”. Florian ist der CTO. Aber er kennt jede Zeile Code in seinem Produkt. Und er ist immer noch der beste Programmierer im Team. Natürlich macht er nicht mehr alles selbst. Und natürlich muss er sich um strategische Themen kümmern. Aber für alle im Team ist Florian eine Person, die aufgrund ihrer fachlichen Kompetenzen respektiert wird. Nicht wegen seines Titels oder seiner mitreissenden Motivationsreden. Florian ist erstens Programmierer und zweitens Manager. Und wenn er von seiner Arbeit erzählt, dann sind beide Arme noch voller Öl.
Ab einer gewissen Hierarchie wühlen die Leute nicht in der Ölwanne. Consultants nicht. Manager auch nicht. Manche haben es mal gemacht, damals, am Anfang ihrer Karriere, als sie es mussten. Aber heute? Heute haben sie keine Zeit dafür. Sie kümmern sich jetzt um das große Ganze, Strategie, Prozesse, Trends. Das Problem dabei ist: So entsteht Distanz. Wer nur noch die Headlines vorliest, verliert den Bezug zum eigentlichen Inhalt. Kunden und Mitarbeiter brauchen keinen distanzierten Animateur, der die Agenda vorträgt und dann ins nächste Meeting verschwindet.
Arbeit auf Makro-Level erscheint wichtiger als die eigentliche Umsetzung. Je höher die Hierarchie-Stufe, desto höher das Makro-Level, desto höher die Bezahlung. Mikro-Arbeit, Umsetzung, Handwerk wird dadurch entwertet, das machen die Junioren, die schlechter bezahlten. Und durch dieses System streben alle in Richtung Makro. Aber Innovation entsteht eben nicht durch schlaue Powerpoint-Slides und Strategie-Offsites. Innovation ist harte Arbeit, Umsetzung und Exzellenz im Detail. Diese Expertise darf nicht im mittleren Management aufhören. Sie muss Teil von allen strategischen Entscheidungen sein, egal ob Berater oder Kunde, Consultant oder CEO.
Wir brauchen mehr Leute mit Autorität und Erfahrung, die immer noch in der Ölwanne wühlen. Consultants, die programmieren. Berater, die designen. Manager, die Prototypen entwickeln.
Wir brauchen nicht noch mehr Consultants. Wir brauchen mehr Macher.