UX-Mythos: Je mehr Auswahl desto höher die Kundenzufriedenheit!

Manuel Wielandt
Y1 Digital
Published in
5 min readSep 27, 2018

Kommt Ihnen das bekannt vor? Sie setzen sich hochmotiviert an Ihren Laptop um den kommenden Sommerurlaub ins Visier zu nehmen. Vielleicht starten Sie mit einer virtuellen Erkundungstour über Google Maps, die Welt steht Ihnen offen.

Großartig! Jedenfalls bis hierhin.

Sie studieren einige Angebote, lesen erste Berichte, aber plötzlich finden Sie sich in einer Art Lähmungszustand wieder, unfähig zu entscheiden angesichts der Fülle an Möglichkeiten. Unzählige Aspekte und Kriterien haben sich eingeschlichen, die allesamt mitkalkuliert werden möchten.

Ganz einfach gedacht wäre also eine Reduzierung der Optionen die Lösung. Andererseits, was macht Amazon so reizvoll? Sie können von der Plattform halten was Sie möchten, sicher ist aber, dass Sie dort alles finden werden.

Wie lässt sich also die Spannung zwischen der Attraktivtät einer breiten Auswahl mit der menschlichen Tendenz zur Entscheidungslähmung bei Überangebot auflösen?

Die Qual der Wahl

Hick’s Law besagt, dass die Zeitdauer, die für eine Entscheidung benötigt wird, mit der Anzahl und Komplexität an Optionen zunimmt. Und wenn die Entscheidungszeit zunimmt, leidet die Benutzererfahrung.

Die Neuropsychologin Susan Weinschenk rät daher, dem Impuls zu widerstehen, dem Kunden zu viele Auswahlmöglichkeiten zu bieten, da diese Grenzenlosigkeit häufig zu Entscheidungslähmung und Frustration führen kann.

Zum Vertiefen empfehle ich den Ted-Talk von Barry Schwartz zum Paradoxon der Wahlmöglichkeiten.

Wie viel Wahlfreiheit tut uns gut?

Wenn Ihnen etwas an Ihren Besuchern oder vielleicht sogar potentiellen Käufern liegt, können Sie diese offensichtlich nicht der absoluten Beliebigkeit aussetzen. Die Wahlfreiheit vollkommen über Bord zu werfen, kann aber auch nicht ernsthaft in Betracht gezogen werden. Denn erst wenn Sie tatsächlich zwischen verschiedenen Optionen abwägen konnten, haben Sie – zu recht – das Gefühl, eine gute Wahl getroffen zu haben.

Der Königsweg liegt also – wenig überraschend – irgendwo in der Mitte.

In zahlreichen Branchen ist es ein entscheidender Wettbewerbsvorteil, dem Käufer ein möglichst breites und vollständiges Produktsortiment anbieten zu können. Nicht umsonst werben Webshops von Baumärkten und Schreibwarenläden mit Aussagen à la Wir haben alles!

Empfehlungen geben uns Sicherheit

Verfügen Sie also über ein breites Portfolio an Produkten oder Dienstleistungen, muss dieses nicht künstlich reduziert werden. Sprechen Sie stattdessen klare Empfehlungen aus und heben Sie diese optisch deutlich hervor.

Oder noch charmanter: Lassen Sie Ihre Nutzer oder sogar sog. Autoritätspersonen in Form von Testimonials für Sie sprechen. Auf diese Weise platzieren Sie Entscheidungshilfen wie Leuchtturme im offenen Meer, ohne dabei die Freiheit Ihrer Kunden beschneiden zu müssen.

Diese Entscheidungshilfen müssen nicht zwingenderweise objektiv oder rational begründet sein. Wissen Sie, was sich hinter dem Begriff Amazon’s Choice befindet? Ich jedenfalls nicht. Trotzdem dient mir dieses Label – zugegebenermaßen – immer wieder als Kaufargument.

Ich behaupte, dass auch Sie als Käufer weitaus weniger nach rationalen Beweggründen entscheiden, als Sie oftmals vermuten würden.

Beispiele für Empfehlungen

Der Cloud-Dienst Box bietet Ihnen unterschiedliche Preismodelle an. Die Option Business wird optisch im wahrsten Sinne des Wortes hervorgehoben, zudem textlich mit Most Popular ausgezeichnet. Diese Akzentuierung suggeriert Ihnen, dass das der Mittelwert zu sein scheint, an dem Sie sich orientieren können.

Das Labeling von Produkten in Webshops folgt ebenfalls dem Prinzip der Empfehlung, bei Amazon in Form von Bestseller, Amazon‘s Choice, etc.

Der Technik-Verleih Gearflix listet im Umfeld des Kauf-Buttons passendes Zubehör auf, welches einfach per Checkbox-Logik hinzugefügt werden kann. Ein willkommenes Feature, um sich das gefühlt endlose Scrollen durch den Zubehör-Slider im unteren Bereich zu ersparen.

Schrotflinte oder Scharfschütze?

Neben der Nutzerführung mit Hilfe von Empfehlungen kann die Reduzierung der Wahlmöglichkeiten bspw. auf einer Landing Page oder Produktübersichtsseite ein entscheidender Hebel sein. Die Case Study von Sheena Iyengar unterstreicht dieses Prinzip:

Die generelle Anziehungskraft mag zwar ggf. etwas geringer ausfallen, jedoch hat die Darstellung weniger (relevanter) Produkte eine höhere Wahrscheinlichkeit zu konvertieren.

Vergleichbarkeit als Hilfsmittel

Grid statt Kachelmuster nutzen

Nutzen Sie ein Grid-Muster! Die Produktboxen im XXXLutz-Webshop werden mit einheitlicher Höhe dargestellt und die zu vergleichenden Produktattribute finden sich stets linksbündig an gleicher Position.

Ein Kachelmuster / Masonry Look wird erst dann interessant, wenn der inspirative Charakter im Vordergrund stehen soll, so wie es bspw. bei Pinterest oder anderen Editorial-Websites der Fall ist.

Ein Vergleich innerhalb der verschiedenen Elemente wäre in dieser Darstellungsweise allerdings nahezu unmöglich, da sich Ihr Auge an keinem Raster orientieren kann.

Die Vergleichsliste als Entscheidungshilfe

Spätestens wenn Ihr Kunde nach erfolgreicher Selektion eine überschaubare Auswahl an Kandidaten auserkoren hat, sollten Sie bei der finalen Entscheidung behilflich sein, indem die verschiedene Optionen gegenübergestellt werden können.

Die Vergleichliste von Matratzen Concord lässt sich beliebig erweitern oder reduzieren. Ein sinnvolles – wenn leider auch kaum sichtbares – Feature links oben ist die Funktion, sich lediglich die Unterschiede anzeigen zu lassen.

Fazit: Wahlfreiheit vs Nutzerführung

Solange Ihr potentieller Kunde noch nicht tatsächlich mit Ihrem Webshop in Interaktion getreten ist, wird eine breite Auswahlmöglichkeit als positiv wahrgenommen.

Sobald die konkrete Auseinandersetzung mit Ihrer Website / Ihrem Produkt beginnt, sollte die Anzahl der Entscheidungsmöglichkeiten signifikant reduziert bzw. eine klare Benutzerführung angeboten werden.

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