In den Fussstapfen anderer

Jonathan Tadres
Solettres | Universität Basel
3 min readApr 24, 2016

Lukas Bärfuss und sein neuer Roman Hagard

flickr.com/Transformer18/CC BY 2.0

Politisch-intellektualistische, engagierte, relevante Texte will Lukas Bärfuss schreiben. Texte, wie sie schon andere Schweizer Autoren geschrieben haben: Max Frisch, Friedrich Dürrenmatt. In seinem Werk beschäftigt er sich am Bespiel eines depressiven Egoisten mit dem Schmerz der (Un)Freiheit als Lebensinhalt (Die Toten Männer), am Beispiel des naiven Idealisten David mit der Schweizer Schuld am Genozid in Ruanda (Hundert Tage), am Beispiel des Bruders eines narzisstischen Phlegmatikers mit dem Selbstmord (Koala) und am Beispiel der Suissemania-Werbekampagne als links-intellektuelle öffentliche Persönlichkeit mit der prekären politischen Situation der Schweiz (Die Schweiz ist des Wahnsinns). Am 3. Mai hatte er seinen dritten Roman veröffentlichen wollen: Hagard. Auch an den Solothurner Literaturtagen wollte er am Freitag um 20 Uhr im Landhaus daraus lesen. Und das Publikum wäre ihm gewiss gewesen, denn niemand weiss, was er mit dem Ding denn genau will.

Und doch konnte und kann man sich sicher sein, dass die Lektüre des neuen Bärfussromans sicher nicht umsonst sein wird. Denn die literarische Qualität ist stringent in seinen literarischen Prosaproduktionen zu beobachten. Die Ausnahme ist die Novelle Die Toten Männer, die aus der Sicht mehrerer deutschsprachigen Tageszeitungen — FAZ, Süddeutsche Zeitung, NZZ — keinen Anspruch auf Literarizität erheben darf. Die Frage, die sich stellt: wie kann ein Werk entstehen, das den Feuilletons so missfällt? Hat Bärfuss denn keine Theorie zum eigenen Schaffen?

Doch dem wohl bekanntesten aller zeitgenössischen Schweizer Autoren ist nur wenig ferner als Theoriebildung.

„Jenseits der Dichtung gibt es nichts, was vom Dichter über seine Dichtung gesagt werden kann.“

Das sind Worte aus seinem Essayband Stil und Moral. Die etwas platt erscheinende Rechtfertigung für die Absenz einer Poetologie, einer Idee, eines System seines literarischen Schaffens wird von ihm 2013 bei seiner Antrittsvorlesung als Gastprofessor für Poetologie an der sehr renommierten Freien Universität Berlin vertreten. Das einzige, so Bärfuss weiter, was er in allen seinen Werken zu erkennen glaubt, ist die Absenz einer Ordnung, eines Systems, eines Etwas, das kategorisierbar sei.

Zurück also zu der unerkannten Ordnung des Bärfuss’ und seine neue Komplikation: Ein Mann – oder besser: ein Jemand – verfolgt eine Frau. Nicht aus einem explizit genannten Grund, sondern einfach mal so. What could possibly go wrong?

„Die aufgerufenen Fragen über unsere Lebenswirklichkeit im 21. Jahrhundert gewinnen eine unabweisbare Schärfe.“ Wallstein Verlag

Es geht also weiter wie bisher: weiter mit dem Engagement, weiter mit der Moral, weiter mit der Alltagsphilosophie.

Das Genre der Verfolgungsgeschichte und -erzählung, so spannend wie es sein könnte, lässt die Lesenden meist etwas ratlos und unbefriedigt zurück. Der Privatdetektiv vermag zwar das Geheimnis des Anderen zu lüften, nicht aber sein eigenes; vor allem, weil es ihm nicht gelingt, die wirklich interessanten Fragen der Verfolgung, zu stellen. Jene Fragen zur intersubjektiv generierten Macht, für die wir zu gut erzogen sind: die Fragen der Unsichtbar- aber Spürbarkeit; der Lust, materialisierte Furcht einer anderen Person zu sein. Hoffentlich traut sich Hagard, sich diesen wahrlich unanständigen Fragen anzunehmen.

Doch Hagard ist noch nicht fertig — noch lange nicht. Er wird voraussichltich erst in der zweiten Hälfte dieses Jahres erscheinen. Stattdessen wird Lukas Bärfuss am Freitag aus einem seiner vielen feinfühlig-stilvollen Essays lesen.

Für die arbiträre Aneinanderreihung der oben zu sehenden Schriftzeichen, die sich nur zur Betrachtung eignen, sind Jonathan Tadres und Tabea Wullschleger verantwortlich.

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