Nicht stehen. Nicht rennen. Gehen.

Tomas Espedals neuer Roman

Francesco
Solettres | Universität Basel
2 min readMay 4, 2016

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© Patrik Nygren/ CC BY-SA 2.0

. So schlicht wie sein Titel ist der ganze Roman. Der Norweger Tomas Espedal beschreibt den Gang des Gehenden, den Giacometti seinen zahlreichen Bronzen beigebracht und stillgegossen hat.

Von allen Gängen des Alltags, zum Wirtshaus, zum Schreibtisch und zurück ins Bett, ist der wohl sinnfälligste Gang derjenige der Gedanken und des Lesens. Das Gehen wird metaphorisch verstanden, durch die eigenen Gedanken und durch Bücher, Erlesenes und Zusammengelesenes, in Zitaten, die als Randsteine und geographische Marken in unserer inneren Welt stehen.

Diese Form des Gehens beginnt nicht morgens beim Aufwachen, sondern sie setzt sich fort, durch Träume in den Tag hinein. Das Kontinuum, das den Traum mit dem Gefühl und den Gedanken verbindet, mit Gesprächen, effektiven Gesprächen und literarischen, erfundenen und empfundenen, ist das Gehen.

Tomas haut ab. Er flieht aus einer Beziehung, mit der Haus und Verpflichtungen einhergegangen sind. Eine Beziehung, die ihm das Schreiben genommen hat. Tomas flieht frühmorgens aus dem Haus, um sich an der Kreuzung unten bereits nicht mehr zurechtzufinden. Wohin?, fragt er sich, nach rechts? nach links? geradeaus? Wer flieht, hat keine Logik mehr, an die er sich halten kann. Wie doch Sesshaftigkeit unser ganzes Dasein bestimmt, unser Denken und Handeln durch Sinn besetzt.

Manche Schriftsteller haben von ihren Wanderungen geschrieben: Nicht nur die antiken Philosophen, auch Flaubert, Rousseau, Hölderlin, Rimbaud, Satie, Lawrence und Walser. Das Gehen changiert darin zwischen Metapher und Fortbewegung im Raum. Tomas versucht, nicht nur vom Gehen zu schreiben, sondern im Gehen selbst zu schreiben. Was er schreibt, ist das Gehen, das sich in Literatur und Landschaft vollzieht und alle Wahrnehmung verändert.

Paul Berf übersetzt Tomas Espedal in eine schlichte, unaufgeregte Sprache, an deren Duktus man erkennt, dass einer ernsthaft geht. Durch Europa zu wandern ist auch entbehrungsreich, schmerzhaft. Gehen will erlernt sein, will ergangen sein.

Es ist schön, mitzulesen, wie der Protagonist im Gehen den Gedankengängen der Literatur nachgeht. Er begeht sie literarisch, um sie an den Orten im Jetzt, in der heutigen Ästhetik der aktuellen Landschaft zu finden, dann literarisch festzuhalten und zu überformen. So wird nicht nur Literatur über Literatur geschrieben, sondern Literatur wird durch den Umweg über mehrere Gehprozesse hervorgebracht, um doch in Literatur zurückgelassen zu werden.

Die Werke Espedals erhalten nun auch auf Deutsch die Beachtung, die man ihnen wünscht.

«Dann wird einer von uns den Blick von seinem Buch heben und den anderen mit rastloser Erwartung ansehen: Bist du bereit, den Rucksack zu schultern und die offene Strasse einzuschlagen?»

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