Mein Gang mit Gomringer

Tamara Keller
Solettres | Universität Basel
3 min readMay 6, 2016
© Tamara Keller

„So jetzt muss nur noch das Mikro an sein. Ah, ich höre, es funktioniert.“ Nora Gomringers erste Worte. An den Solothurner Literaturtagen 2016 bleibt sie ihrem Werkstil treu:

Hallo, ist das hier an? Halloooo. Hört mich jemand? Auch ganz hinten? Kann man mich hööören? Kann man mich verstehen?
– aus Ach du je

Flashback. Plötzlich sitze ich nicht mehr im fast vollen Landhaussaal, sondern in einer Vorlesung im Herbstsemester 2013. Heute, so steht es auf dem Plan, ist eine Gastvorlesung geplant: Eine gewisse Nora Gomringer kommt. Ich völlig ahnungslos von der (literarischen) Welt, gerade mal mit Abitur in der Tasche, habe keine Ahnung von dem Sprachfeuerwerk, das mich erwartet.

© Anaïs Steiner

Im Jetzt bin ich vorbereitet. Gang mit Hermelin wird von Philipp Scholz am „Xylophon und mit Anomalie zur Effektsteigerung“ – wie Gomringer erklärt – begleitet. „Jetzt spielt das Xylophon einfach nur ein hohes C“, sie gibt Anweisungen, die im gedruckten Text so nicht stehen.

Damals gab es kein großes Drumherum. Damals hatte die Poetin nur ein paar Glocken (war auch eine Kuhglocke dabei?) als Instrumente im Gepäck. Und daneben, als Protagonisten, das Wort und der Klang der Sprache.

Der Text, den ich jetzt höre, ist nicht mehr der Text, den ich fleißig gelesen und studiert habe. Ein still gelesener Text kann nicht durchgehend lispeln. Das Hermelin kann das jetzt schon. Einfach nur in diesem Moment. Es ist Perfomance pur. Und sie animiert: Zum Mitlachen (hörbar vernehme ich Gelächter von allen Seiten) und zum Mitgehen. Den Gang mit dem Hermelin.

Ehrlich gesagt, ich weiß nicht mehr was Nora Gomringer damals in der Vorlesung vorgetragen hat. Und ich verstehe bis heute auch nicht ganz, was es damals mit mir gemacht hat. Ich war sprachlos. Ich hatte mit SO etwas nicht gerechnet (auch wenn mir jetzt noch nicht klar ist, was das etwas ist). Davor bewegte sich die Vorlesung über Jean Paul auf irgendwelchen Metaebenen, bei denen mir als „Ersti“ nur so der Kopf schwirrte. Ich fragte mich, bin ich hier richtig? Gomringers Auftritt gab mir die Antwort: Ja das bin ich. Das ist der Ort, an dem ich sein möchte. Nur hier kann mich eine harmlose Vorlesung aus dem Nichts so überraschen. Es ist eine tolle Erinnerung.

Und hier, im Jetzt, weiß ich, am Freitag im grossen Landhaussaal, um 16 Uhr, bin ich genau am richtigen Ort. Für den Gang mit Gomringer.

Danach lasse ich es mir nicht nehmen und lasse mein Buch von ihr signieren. Sie ist begeistert, weil sich meine Lesezeichen noch darin befinden. Wir unterhalten uns noch über ihr Werk und sie lacht, sympathisch und mit mir, voller Empathie.

Eine weitere Erinnerung, die ich meinem Repertoire hinzufügen kann.

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