Zwischen zwei Sprachwelten: Die gläsernen Übersetzer

Francesco
Solettres | Universität Basel
2 min readMay 9, 2016
Francesco (rechts) im Gespräch mit einem gläsernen Übersetzer © Jerlyn Heinzen

Die gläsernen Übersetzer lassen – wie der Name vermuten lässt – in ihr Handwerk blicken. Beim Besuch im Gemeinderatssaal im Landhaus bekomme ich den Eindruck, dass die Übersetzer über ihre persönliche Individualität hinaus die Eigenheiten der Sprachwelten offenbaren, in denen sie sich bewegen. Drei Beispiele:

Magnus Enxing © Anaïs Steiner

Magnus Enxing führt mir die Arbeitsweise der ganzen deutschen Tiefgründigkeit vor Augen: Alle tiefe Verzweiflung an der Genauigkeit, am passenden Ausdruck in der Übertragung. Das Übersetzen, oder Übertragen, wie er verbessert, ist eine schwere, ernste, religiöse Aufgabe.
Das hat seine Kehrseite: Nordische Texte, verrät er dem Publikum, seien oft schlecht lektoriert. Ein norwegischer Verleger oder Autor lacht: «Weshalb lektorieren? Wir haben ja unsere deutschen Übersetzer!»

Ganz anders geht es bei Pablo Ingberg zu: Der Argentinier übersetzt nach einigen einführenden Worten zum Werk frisch mit dem Publikum die ersten Sätze eines Aufsatzes von James Joyce; wir wägen zusammen Alternativen ab, er synonymisiert, problematisiert, durchsucht Wortdatenbanken — eine erfrischend heitere, ja leichte, fast frivole Übersetzermanier im Vergleich zur deutschen Gründlichkeit. Mir wird bewusst, was es für das Spanische bedeutet, Weltsprache zu sein. Ingberg veröffentlicht zwar seine Übersetzung in Argentinien, ihm ist aber bewusst, dass seine Arbeit auch im ganzen kastilianisch-sprachigen Raum gelesen wird. Daher gleicht er seine Wörter stets an den Richtlinien der Real Academia Española ab, muss aber zugleich im Auge behalten, dass die iberischen Wörter in Argentinien teilweise markiert sind. Interessante Herausforderungen an einen Übersetzer, der nicht provinziell scheinen möchte.

Zum Schluss die Herangehensweise einer Rätoromanin. Mevina Puorger Pestalozzi hat Gedichte mitgebracht aus vier verschiedenen romanischen Idiomen. Sie liest sie vor und macht auf jeweilige Schwierigkeiten aufmerksam. Dann zeigt sie uns ihre Übersetzungen und stellt sie zur Diskussion. Kritik verdankt sie mit einem liebenswürdigen Lächeln: Der Einwand sei berechtigt, das Übersetzen ja immer eine subjektive Lektüre. (Meist sagt sie, heute würde sie eine fragliche Stelle anders übersetzen.) Aber, fügt sie mehrmals hinzu, jetzt sei die Arbeit übersetzt, erschienen, verkauft und Mevina Puorger ist froh darüber, dass die Originalgedichte dank der Übersetzung ihren Weg in zahlreiche Büchergestelle gefunden haben.

Drei Arten des Übersetzens, drei Arten des Denkens, drei Sprachkulturen und Umgänge mit Literatur.

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