Statt Netzwerk jetzt New Work. Die Zukunft von Agenturen

Julia von Winterfeldt
SOULWORX Stories
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5 min readAug 15, 2017
Photo by William Bout on Unsplash

Als ich bei Pixelpark begann, waren wir, um die moderne Sprache zu nehmen, noch ein Start-up! Ich war Mitarbeiter Nummer 28 — weit fern von jeglicher Network-Denke. Wir lebten das kreative Chaos, suchten ständig nach neuen Ideen und Lösungen, forderten uns in Teams gegenseitig heraus und wollten nichts anderes als die neueste, geilste Idee kreieren und entwickeln. Der Pixelpark-Spirit war wirklich einzigartig — selbstständige Teams, eine Test & Learn Mentalität und gierig nach disruptiven Innovationen — nur nannten wir es damals noch nicht so.

Als ich 2001 zu Sapient wechselte, wehte ein anderer Wind. Allein das nur Englisch sprechen, prägte ein anderes Miteinander. Für mich war die Sprache keine Barriere, ich bin ja in England aufgewachsen. Dennoch forderte und förderte die notwendige Integration unterschiedlicher Kulturen und Hintergründe eine definierte Diskussions- und Feedback-Kultur sowie klare Methoden im kollaborativen Arbeiten und im Konfliktmanagement. Ich bin Sapient sehr dankbar für das Anlernen von damals sehr fortschrittlichen Workshop Methoden. Ich arbeite heute immer noch mit einigen dieser Ansätze, die dem heutigen Trend des ‚Design-Thinking Ansatzes’ sehr nahe sind. Natürlich war ich begeistert vom Arbeiten in New York, London, Singapur und Indien. Letztendlich war es aber egal, wo man für SapientNitro arbeitete, denn die Wertestruktur und die grundsätzliche Ausrichtung (Purpose) blieben immer die gleichen. One Culture! Sich so sehr auf eine gemeinsame Kultur auszurichten, habe ich nie wieder erlebt. Das finde ich bemerkenswert und hoffe, es ist trotz Sapient.Publicis immer noch so stark.

Accenture hat auch ihre eigene Unternehmenskultur. Bei rund 400.000 Mitarbeitern kann man sich allerdings vorstellen, dass es auch mehrere Subkulturen gab. Was mich bei Accenture faszinierte, war die Gabe der Standardisierung, Prozess- und Effizienz-Gestaltung. Für alles gab es ein Tool und Wissen war omnipräsent. Eine Wahnsinnsmaschine, die ich immer wieder gerne mit einem ‘Bienenstock’ vergleiche. Eine Organisation, die einfach funktioniert. Und dabei auch noch viel Honig produziert! Nur was mir persönlich fehlte, waren die Erinnerungen an Pixelpark-Zeiten: die Kreativität und die Leidenschaft, Neues zu entwickeln und das gemeinsam in einem physischen Raum. Auch wenn ich faktenbasierte Intelligenz und Analyse honoriere, bleibe ich dabei, dass unsere Vorstellungskraft unser höchstes Gut als Menschen ist. Umso angekommener fühlte ich mich dann wieder, als ich zu AKQA wechselte. Natürlich war AKQA an WPP angebunden und natürlich gab es auch bei AKQA Methoden wie auch Standards, die es zu berücksichtigen und zu nutzen gab. Selbstverständlich galt es die hohe Auslastung der Mitarbeiter zu sichern, die Pipeline und die Kundenzufriedenheit zu optimieren, wie auch der Margendruck. Dennoch stand für AKQA immer das hochwertige, qualitativ reichhaltige Ergebnis an oberster Stelle, das durch seine Nutzerzentrierung und seinen Sinn bestechen sollte.

Was würdest du als wichtigste Learnings an Agenturchefs weitergeben?

Seid transparent, seid nahbar und vertraut Euren Mitarbeitern. Im Ernst! Wenn wir ganz ehrlich mit uns selbst sind, sind wir als Chef sehr schlecht in der Abgabe von Kontrolle und Macht und damit Vertrauen in andere. Zu oft denken wir, wir hätten die Erfahrung und das Wissen. Wir wissen ja schließlich, was sich in der Vergangenheit bewährt hat und was nicht. Und wisst Ihr was? Vergesst das! Fuck experience! Denn was nützt uns Erfahrung, wenn der Referenzrahmen gefühlt sich alle 24h ändert?! Mitarbeiter wollen mitreden, mitdenken, mitbestimmen. Sie wollen Aufgaben diskutieren. Daher: vertraut auf Eure Mitarbeiter und setzt den Rahmen für einen solchen Austausch. Schafft Orientierung, warum es Euch als Agentur gibt, wofür steht Ihr, was Euer Selbstverständnis ist und auf welche Werte es im Austausch, im Miteinander bei Euch ankommt.

Jetzt mit der Unternehmensberatung Soulworx in Sachen Human Leadership unterwegs. „Den Menschen wieder sinnvoll mit seiner Arbeit und seinem Leben verbinden“ heißt es z.B. auf deiner Website. Ein derartiges Wording und diese Inhalte verbinde ich eher nicht mit einer ehemaligen Network Managerin.

Genau so ist es. Denn ich glaube nicht mehr an Agentur-Networks. Ich glaube an ein anderes Netzwerk. Ein Netzwerk des menschlichen Miteinanders, das von Empathie und einem gemeinsamen Purpose getragen wird und bei dem die gemeinsamen Werte spürbar gelebt werden. Jeder bringt sich mit seinen Kräften so ein, wie es die Aufgabe erfordert. Und jeder ist mit hoher Leidenschaft bei der Aufgabe. So kommt man ins Handeln. Ins Machen. Ins Wirken. Ins Lernen. Ich nennen das #collectivegenius.

Was war der Antrieb, dich gerade mit dieser Thematik selbständig zu machen?

Das ist ganz einfach. Nach 20 Jahren digitale Produktentwicklung habe ich endlich verstanden, dass es mir nicht mehr ums Produkt geht, sondern um den Menschen. Auch wenn ich im Rahmen von AKQA, als GF, wie auch bei WPP absolut die Möglichkeit gehabt hätte, auf den Menschen einzuwirken, war ich umzingelt von der Denke der ständigen Gewinnorientierung. Grundsätzlich nicht verkehrt, allerdings glaube ich werden Gewinne nicht durch Prozessoptimierung und Effizienzgestaltung geschaffen, sondern in dem man den Rahmen schafft, dem Potenzial jedes Einzelnen den vollen Raum zu geben. So machte ich den mutigen Schritt, den bekannten Weg zu verlassen, meine ‘Macht’ abzugeben und die ‚Kontrolle’ loszulassen, um mich auf den Weg zu machen, das Potenzial in Menschen zu entfachen und ‚den Menschen wieder sinnvoll mit seiner Arbeit und seinem Leben zu verbinden’

Gab es Brüche, Erkenntnisse „so geht es nicht weiter?”

Ja, wer die Agenturform des letzten Jahrzehnts noch lebt, ist morgen tot. Hierarchien sind passe. Inflexible Abläufe sind nicht nur langwierig, sondern auch abgrenzend und teuer. Heute kommt es auf Geschwindigkeit, Kollaboration und Vorstellungskraft an. Der ultimative Differentiator ist ‘HUMAN’! Wenn alles rationalisiert, alles instrumentalisiert, alles automatisiert wird — programmatic halt , wenn wir der Industrialisierung von Intelligenz entgegengehen, kommt es doch gerade jetzt darauf an, den Künstler, den Entdecker, den Poeten, den Sänger in uns wieder zu erwecken. Oder? Ich setze auf ‚HUMAN’ und was es heißt, Human zu sein, beginnt mit innerer Arbeit und Selbsterkenntnis. Das ist harte Arbeit, die viele Chefs m.E. scheuen.

Was reizt dich als Keyspeakerin auf den AgenturCamps „New Work“ in Frankfurt und Hannover aufzutreten?

Gerade meine persönliche Vergangenheit und meine Erfahrung lässt mich nachempfinden, wie es den meisten Agenturchefs heutzutage geht — und das sagt eine Frau! Heute arbeite ich mit einigen Agenturen zusammen, und darf deren Herausforderungen erkennen, deren Bestreben, weiterhin relevant auf dem Markt zu sein, annehmen, um dann gemeinsam Lösungsansätze in den Bereichen Ordnungsstruktur, Kultur-Kommunikation, Markenbild und Leadership zu finden und zu entwickeln. Damit der Change durch eigene Kraft geschehen kann. So teile ich gerne meine Erfahrungen, meine Erkenntnisse jetzt aus der Beraterbrille mit, wie auch meine Einstellungen und Vorstellungen von Arbeit in Zukunft, welche Qualitäten und Methoden gerade die Führungspersönlichkeiten annehmen sollten und wie sie für sich ein wenig Druck aus dieser ganzen Komplexität herausnehmen können, um sinnhafte Veränderung zu erzeugen, oder zumindest Denkanreize zu schaffen.

New Work und Agenturen, was fällt dir dazu ein?

Bitte schnell! New Work ist nicht nur eine Sache der Implementierung von neuen IT Infrastrukturen oder kollaborativen Tools, wie Google Docs. Es ist auch nicht das reine ‚wir-sitzen-jetzt-alle-in-Labs’ mittels Design Thinking Methoden und formulieren neue Ideen! Nein! New Work ist ein Mind-Set und bedingt einem Wandel im Leadership, in der Organisation inkl. Geschäftsmodelle, in der Kultur und Kommunikation, wie auch im Ausdruck der Marke nach außen. Um so mehr muss dieser Mind-Set Shift heute, also jetzt, passieren, um der Agentur weiterhin eine Relevanz im Markt zu schenken. Ich bin nach wie vor von der Kreativität und Schaffenskraft, die in unseren Agenturen vorherrscht, überzeugt und begeistert. Umso mehr betrachte ich es als Verpflichtung der Chefs, den Mitarbeitern ein produktiv glückliches Umfeld zu schaffen. Denn das, verspreche ich, wird den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg einer Agentur sein.

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Julia von Winterfeldt
SOULWORX Stories

Founder/CEO of SOULWORX — a culture change and future of work strategy firm. Passionate about purpose in business and human leadership.