Farbe bekennen

Stämpfli Kommunikation
Stämpfli Kommunikation
3 min readMar 12, 2020

Peter Stämpfli, Verwaltungsratspräsident

Farben sind fast so aussagekräftig wie Namen. In der Politik verschmelzen Farben und Namen bei der Bezeichnung der Parteien: die Roten, die Grünen, die Schwarzen, die Gelben, die Braunen. In Deutschland spricht man von Ampel- oder Jamaika-Koalition, je nach den vertretenen Parteien. Wer hier Farbe bekennt, nimmt Stellung zu einer Partei oder einer politischen Stossrichtung.

Peter Stämpfli

Der Begriff «Farbe bekennen» hat allerdings einen anderen Ursprung. Er stammt aus dem 18. Jahrhundert und wird in verschiedenen Kartenspielen verwendet, in denen in gewissen Spielzügen eine bestimmte Kartenfarbe gespielt werden muss (Quelle: Wikipedia). Der Begriff wurde zur Redewendung und meint «sich zu einer Sache bekennen oder seine Meinung offen sagen».

Die Meinung offen oder gar öffentlich äussern. Viele tun es in der Politik, Wirtschaftsvertreter äussern sich zu gesellschaftlichen Fragen zu wenig. Bleiben die Politikerinnen und Politiker bei ihrer geäusserten Meinung? In der Mehrheit bestenfalls vielleicht. Wankelmütigkeit kennt viele Formen.

Farbe bekennen! Das bedeutet, öffentlich zu äussern, welche Meinung ich wirklich vertrete und was ich mit meinem Handeln bezwecke. Daran mangelt es mir in der Politik, es fehlt an Offenheit und Haltung. Eloquent wird für oder gegen eine politische Sache geworben, werden Fakten und Argumente gestapelt. Doch so manche kümmert es nicht, was sie gestern gesagt haben; heute ist ein neuer Tag, und die Dinge seien angeblich so komplex und so schwierig einzuordnen, wer will da eine gefestigte Meinung vertreten.

Wer eine gefestigte Meinung hat, ändert sie nicht einfach so. Menschen mit Haltung vertreten ihre Sache, bekennen sich jedoch zum alten Grundsatz, dass der oder die andere Recht haben könnte. Ändern sie ihre Meinung, wissen sie das glaubhaft zu begründen — und tun es von sich aus.

In aller Regel ist halbwegs klar, welche Politikerinnen und Politiker für was einstehen, nicht aber für wen sie es tun. Der Kampf um mehr Transparenz in der Politik ist noch nicht gewonnen. Welchen Einfluss nehmen welche Unternehmen und Branchen auf welche Vorlage? Wie hoch ist beispielsweise der Einfluss der Finanz- und der Gesundheitsindustrie sowie der Grosskonzerne auf die Regierungstätigkeit?[1] Welche Menschen nehmen hier Einfluss, ohne öffentlich Farbe zu bekennen? Welche Politiker und Politikerinnen vertreten wen?

Anstelle von Transparenz treten zu häufig Scheinargumente. Wenn pauschal mit Schlagworten wie «die Arbeitsplatzsicherheit», «die Wirtschaft», «die Bevölkerung», «die Armen», «die Reichen» gefochten wird, ist Vorsicht geboten. So wird bei annähernd jeder politischen Vorlage die Arbeitsplatzsicherheit als Argument vorgebracht. Die Sorge um diese Sicherheit ist tatsächlich wesentlich, sie wird jedoch durch die politische Dauerwarnung ins Abseits gezogen.

Nicht Farbe zu bekennen, kennt auch die Form, die Stimmbevölkerung als schwer von Begriff zu betrachten. Das war, beispielsweise, bei der zweiten Abstimmung über die Unternehmenssteuerreform III der Fall, als kaum eine Politikerin und kaum ein Politiker den Mut hatte, die anspruchsvolle Vorlage und die Folgen eines Scheiterns an der Urne offen, sachlich und in Worten darzustellen, die auch Nichtsteuerexperten — also ich — verstehen können. Stattdessen wurde verschleiert und ein Paket geschnürt, zu dem an der Urne möglichst wenige Nein sagen können: die verfassungswidrige Verbindung von Steuer- und AHV-Reform. Es ist in der Politik wie in den Unternehmen: Die angebliche Dummheit der Mitarbeitenden ist in erster Linie auf die mangelnde Offenheit und ungenügende Information durch die Führungskräfte zurückzuführen.

«Anstand ist, wenn der andere nicht ständig alles überprüfen muss, was ich tue. Anstand schafft Vertrauen», meinte Daniel Eckmann[2] zu mir. Aber genau das Gefühl habe ich: die Aussagen zu vieler Politikerinnen und Politiker mehrfach auf ihre wirkliche Bedeutung und Faktengenauigkeit überprüfen zu müssen, um herauszufinden, um was es wirklich geht und welche Interessen sie tatsächlich verfolgen.

Offenheit schafft Vertrauen. Alle möglichen Farbkarten hinter dem Rücken zu halten, um die richtige im passenden Moment hochhalten zu können, ist unanständig. Mehr «Farbe bekennen» und mehr Offenheit wünsche ich mir, denn die Farben der Demokratie sind Transparenz und Klarheit.

[1] Vgl. Marc Chesney, Vom Grossen Krieg zur permanenten Krise, Versus Verlag, 2014

[2] Daniel Eckmann war u.a. Delegierter für Kommunikation von Bundesrat Kaspar Villiger.

--

--