Warum wir so tun sollten, als ob uns heute das Ende bevorsteht

Steffen Schulz
Steffen Schulz
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4 min readNov 20, 2018

Was wäre, würde jeder so leben, also wäre es sein letzter Tag auf Erden? Chaos. Es mag befreiend klingen, aber die Wahrheit wäre schrecklich. Wer würde Gesetze befolgen? Wer würde an andere denken und nicht nur an sich? Was würde man erledigen? Am Ende dieses Tages, wäre man froh, dass es nicht das Ende ist.

Als die alten Philosophen über ihre Sterblichkeit nachdachten, hatten sie aber nicht diesen Alptraum im Sinn. Moment Mori — die antike Praxis, an den Tod zu denken, sollte keine Anarchie erzeugen. Man wollte den Leuten damit nicht sagen, sie sollen ohne Rücksicht auf Verluste, dass tun was sie wollen, bevor es zu spät ist.

Im Gegenteil: Memento mori sollte das Leben einfacher, sauberer und geregelter machen.

Wie der stoische Philosoph Seneca sagte: „balanciere die Bücher des Lebens jeden Tag … Wer jeden Tag, alle notwendigen Taten vollbringt, dem fehlt es nie an Zeit.“ Ein gutes Beispiel ist ein Soldat, der seine Heimat und Familie verlässt, um in den Krieg zu ziehen. Was würde er tun?

Er schafft Ordnung in seinem Leben, sagt seinen Kindern und seiner Familie, dass er sie liebt und hat keine Zeit zu streiten oder für belangloses Zeug. Und dann, am nächsten Morgen ist er bereit zu gehen und hofft, er kommt in einem Stück zurück und ist vorbereitet, falls nicht.

Bud Day, Air Force Pilot und Empfänger der Ehrenmedaille, der 5 Jahre als Kriegsgefangener im „Hanoi Hilton“ verbrachte, wurde eines Tages nach Vietnam einberufen. Er besuchte das Grab seines Vaters und regelte sein Verhältnis mit ihm. In weniger als einer Woche, fand er eine neue Wohnung für seine Frau, eine Schule für seinen Sohn, fuhr mit ihnen einkaufen und beantragte die erste Kreditkarte für seine Familie. Er nahm eine Aktentasche und sammelte darin: die Eheurkunde, seine Geburtsurkunde, Versicherungspapiere, Kontonummern und sogar eine Liste der Sargträger, die er sich für seine Beerdigung wünschte. Er und seine Frau setzten sich zusammen und redeten über alles was passieren könnte, solang er weg ist und was passieren würde, falls er im Krieg vermisst geht. „Was sollen wir dann tun?“, fragte sie ihn. Dafür gab es nur eine Antwort — für ihn beten.

Was ist also mit uns? Leben wir denn so geordnet und vorbereitet? Natürlich nicht.

Wir nehmen die Dinge wie sie kommen. Wir sind wie die Person in Raymond Chandler’s The Long Goodbye: „Meistens schlage ich Zeit tot“, sagt er, „und sie stirbt langsam.“

Was können wir vorweisen für diese verschwendete Zeit? Golfspielen, Jahre im Büro, mittelmäßige Filme ansehen, ein Stapel hirnloser Bücher an deren Inhalt wir uns kaum erinnern können und eine Garage voll mit “Spielsachen”. Wir haben eine Liste mit Orten die wir bereist haben; ein Bündel von bedeutungslosen Verpflichtungen, die wir ertragen, weil uns die Prioritäten fehlen, um nein zu sagen. Wir sind so, weil wir denken wir leben für immer, weil der Tod so ein unangenehmer Gedanke ist, dass wir lieber nicht an ihn denken.

„Du könntest jetzt tot umfallen — dieser Gedanke soll bestimmen, was du sagst und tust,“ erinnerte Mark Aurel sich selbst.
Ich trage eine Münze mit dieser Aufschrift in meiner Tasche, damit ich sie in Erinnerung behalte. Damit ich dieses kleine Stück Bronze anfassen kann und denke –Memento mori– und dann stelle ich mir die Frage:

Wenn heute mein letzter Tag wäre, bevor sie mich an die Front schicken, was würde ich tun? Wie würde ich leben?
Ich hätte eine Liste mit Erledigungen zum Abhaken. Ich würde meine Geschäfte erledigen, mir Zeit für meine Familie nehmen — nachdem ich sichergestellt habe, dass während meiner Abwesenheit für sie gesorgt ist und keine Zeit mit Blödsinn verschwenden — ich würde nicht erlauben, dass andere Menschen sich mir aufdrängen. Nicht heute. Zu teuer wäre der Preis, zu knapp die Zeit. Sicher hätte ich auch etwas Angst, aber da ich keine Wahl hätte, würde ich trotzdem weitermachen.

Eines Tages werden wir diese Nachricht erhalten — du verlässt uns morgen und kommst nicht mehr zurück. Niemand weiß wie viel Zeit ihm noch bevorsteht: eine Woche, ein Jahr, fünf Minuten oder gar keine. Es könnte jetzt passieren. Es könnte passieren, bevor du das Ende dieses Artikels erreichst. Wirst du stolz darauf sein, wie du deine Zeit bisher verbracht hast?

Lebe nicht jeden Tag, als ob die Welt zu Ende geht. Das wäre ein Desaster. Sei dir bewusst, dass du nicht weißt, wie viel Zeit du noch auf dieser Erde hast.

Kehre deinen Dreck zusammen. Bewältige die wichtigen Dinge. Kümmere dich um andere. Habe Spaß. Sei zufrieden.

Tu so, als wäre der Tag heute. Memento Mori.

Diesen Artikel stammt von Ryan Holiday — und wurde von mir ins deutsche Übersetzt. Den originalen Artikel findest du hier: Why You Should Pretend Today Is the End

Originally published at modernman.webflow.io.

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Steffen Schulz
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