Inklusive Sprache: Wie (als Designer*in) über Behinderung sprechen

Nina Maravić
Tållbeard Studio
Published in
4 min readJul 15, 2020

Wie in User-Testings, Interviews, Fokusgruppen, mit Stakeholdern etc. mit und über Menschen mit einer geistigen oder körperlichen Behinderung reden.

Collage mit vier verschiedenen Köpfen von Hinten und blauen Sprechblasen
Illustration by Nina Maravić

Wenn wir uns mit einem Gebiet auseinandersetzen, mit dem wir bisher noch nicht so viel Kontakt hatten, fühlt sich die Kommunikation gerne mal wie der Gang durch ein verbales Minenfeld an.

Um peinliche, diskriminierende oder auch für andere verletzende Formulierungen zu vermeiden, möchte ich einen kleinen Einblick in das Thema Inklusive Sprache bei Accessibility und Inklusions Themen geben.

Wie wir uns als Gesellschaft ausdrücken, trägt auch bedeutend dazu bei, wie die Welt gesehen wird und unterliegt einem konstanten Wandel. So wurde der Begriff der geistigen Behinderung in den 1950er Jahren etabliert und löste Begriffe wie “Schwachsinn”, “Debilität” und “Idiotie” ab. Heute sind jedoch sprachliche Konstruktionen gebräuchlicher, die versuchen einen Personenkreis mit den gleichen Merkmalen zu umschreiben, ohne diese darauf zu reduzieren. Hieraus entwickeln sich im Deutschen sprachliche Konstruktionen wie “Menschen mit geistiger Behinderung” oder “Menschen mit sogenannter geistiger Behinderung”, wobei jedoch vorzugsweise die Formulierung “Menschen mit kognitiven Einschränkungen/Beeinträchtigungen” verwendet werden sollte.

Aus dem amerikanischen etabliert sich auch so langsam die Verwendung des Begriffes engl. neuro-diverse — Neurodivers, für Menschen mit einer kognitiven Einschränkung (der Begriff kognitive Einschränkungen umfasst: Autismus, ADHS, Alzheimer, Dyslexie, schwere psychische Erkrankungen, Trisomie 21 etc.). Menschen ohne eine kognitive Einschränkung werden dabei als engl. neurotypical — Neurotypisch bezeichnet. Bezogen auf körperliche Beeinträchtigungen spricht man bei Menschen ohne diese, im englischen von einer able-bodied Person, im Deutschen hat sich bisher noch keine Bezeichnung klar etabliert.

No Go’s

Tunlichst vermieden werden sollten in der heutigen Kommunikation die verallgemeinernde Bezeichnungen “behinderte Menschen” oder nur “Behinderte”. Dies rückt die Einschränkungen einer Person und ihrer Fähigkeiten in den Fokus und reduziert diese darauf. Dabei wird die Behinderung einer Person durch ihr Umfeld verursacht.

Auch auf der Liste der zu streichenden Begriffe: Normal und Gesund. Dies mag für manch einen etwas befremdlich wirken, jedoch schließt dieser Begriff sehr viele Menschen aus und weißt evtl. andere immer wieder darauf hin, dass mit ihnen angeblich etwas nicht stimmt, sie unnormal und krank sind. Man hat eine Neurodiversität, aber eine Neurodiversität ist nicht immer eine Krankheit. So hat ein Mensch Trisomie 21 (Downsyndrom) oder Autismus, aber er ist nicht an Autismus erkrankt. Es ist einfach nur ein anderer Status als der neurotypische.

Was als “krank” gilt unterliegt oft auch einem gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, so wurde Homosexualität bis 1992 von der WHO als eigene Krankheit deklariert.

Für viele Menschen mit Behinderung ist die Tatsache, behindert zu sein, einfach Fakt. Genauso wie eine Haarfarbe oder die Schuhgröße. Mal schränkt sie einen ein, mal nicht.

— Raul Krauthausen. Aktivist

Bemitleidende Sprache

Menschen sind nicht an den Rollstuhl gefesselt und leiden auch nicht unter einem grauen Star o. ä. Auch sind sie keine Helden oder besonders tapfer. Diese Formulierungen rücken Menschen mit einer Behinderung immer in die Opferrolle und reduzieren diese auf ihre Behinderung oder ihre als Behinderung deklarierte Diversität. Alternative Formulierung: Eine Person sitzt, fährt oder verwendet einen Rollstuhl, ist auf einen Rollstuhl angewiesen oder fährt einen Rollstuhl. Eine Person hat/lebt mit Behinderung XY/ Erkrankung XY.

Diversität innerhalb von Gruppen

Nicht jeder Mensch aus dem Autismus Spektrum hat eine Inselbegabung, nicht jede*r blinde Person kann automatisch super gut hören oder per Klick Lauten “sehen”. Es sollte nicht angenommen werden, dass Menschen, die eine Behinderung teilen, alle die gleichen klischeehaften Fähigkeiten und Interessen haben. Jeder Mensch ist ein Individuum mit eigenen Fähigkeiten und Vorlieben.

Zusätzliche Tipps

Viele unangemessene Situationen lassen sich bereits durch das Hinterfragen von gesellschaftlichen Stereotypen vermeiden:

  • Überprüfe ob es wirklich notwendig ist, den Blick auf das zu richten, was an einer Person „anders“ ist. Insbesondere wenn dieses Merkmal nicht selbst gewählt ist (z.B. roter Pulli oder grüne Haarfarbe vs. Hautfarbe oder Behinderung).
  • Achte darauf Ausschlüsse zu vermeiden und Zielgruppen zu adressieren anstatt mit zu meinen.

Eh klar aber immer wieder erwähnenswert!

“Behindert sein” ist keine Beleidigung! Eine Situation ist nicht “behindert”, jemand ist kein “Krüppel” und der Begriff “Mongo” sollte am besten auf ewig verschwinden! Ich glaube, der Standpunkt ist klar…

Exklusion, Integration und Inklusion

Die Begriffe Inklusion und Integration scheinen oft miteinander verwechselt zu werden, daher hier eine kurze Erklärung:

Grafik mit drei Kreisen die kleinere Kreise beinhalten. Beschreibt Unterschied zwischen Exklusion, Integration und Inklusion

Exklusion

Das Ausgrenzen von Menschen mit Behinderung. Dadurch wird den Menschen die Teilhabe an der Gesellschaft verwehrt. Bis vor wenigen Jahren lebten beispielsweise Menschen mit einer Behinderung oft in Heimen außerhalb von Städten und nicht wie heute in betreuten Wohngemeinschaften oder sogar in eigenen Wohnungen.

Integration

Wird fälschlicherweise häufig mit Inklusion gleichgesetzt. Dabei bezieht sich Integration auf die Eingliederung von Außenstehenden in etwas Bestehendes, ohne dass sich grundlegende Rahmenbedingungen ändern.

Inklusion

Von gelungener Inklusion spricht man, wenn jeder Mensch — mit und ohne Behinderung — überall und von Beginn an dabei sein kann. Alle Menschen können selbstbestimmt am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Menschen mit Behinderungen müssen sich nicht mehr integrieren und an die Umwelt anpassen. Vielmehr ist die Gesellschaft von vornherein so gestaltet, dass alle Menschen gleich-berechtigt leben können.

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Nina Maravić
Tållbeard Studio

User Researcher. Interested in Accessibility and Inclusive Design.