Das Bitcoin-Prinzip

Vom Begriff zur Anwendung: Nutzen, Kritik und Schattenseiten der stärksten Kryptowährung der Welt

Stefan Adolf
t14g
22 min readSep 19, 2019

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Wo waren Sie…

…als die Kryptowährungs-Kurse Ende 2017 explodierten? Als der Wert eines einzigen Bitcoins die Schallmauer von 20.000 Dollar durchbrach? Erinnern Sie sich an den tiefen Fall wenige Tage später und das Durchschreiten des Kurstiefs im Frühjahr 2019? Haben Sie eventuell Geld in “Cryptotokens” investiert, in Ihrem Freundeskreis über den ökologischen Impact des Bitcoin-Minings diskutiert, bei ICOs und vielversprechenden Token-Vorstellungen mitgewettet? Und sich dabei immer wieder auch gefragt: hat das alles einen realen Nutzen? Oder standen Sie auf der Gegenseite und haben das Ganze stets als anachronistischen Tulpenzwiebelwahnsinn abgetan, ausgelöst von ein paar neurotischen Visionären aus Fernost, immer auf der Jagd nach dem nächstgrößeren unhaltbaren Werteversprechen, um unbedarften Investoren das Geld aus der Tasche zu ziehen?

Ganz gleich wo Sie stehen oder standen: die maßgebliche Technologie hinter Kryptowährungen ist alles andere als eine substanzlose Erfindung eines unbekannten Philanthropen mit japanischem Kunstnamen. Die Blockchain und ihre Varianten sind eine Erfindung, die man nicht nur ernst nehmen, sondern analysieren, bewerten und für sich nutzbar machen sollte. Ganz abgesehen davon, dass mancher den weltweit verteilten “Kassenbüchern” (frei übersetzt aus dem englischen “Ledger”) zutraut, das Wertesystem westlicher Demokratien nachhaltig erschüttern zu können, kann man unvoreingenommen feststellen: sie ermöglichen einer Gruppe von Teilnehmern, die sich nicht kennen und daher auch nicht im Hinblick auf ihre Absichten vertrauen können, miteinander zu interagieren, indem sie Geldwerte transferieren oder langfristige Übereinkommen treffen. Im folgenden wollen wir die Technologie und die Gedanken hinter Bitcoin vorstellen, ihren Nutzen diskutieren und zeigen, dass sie weiter fortgeschritten und marktfähig sind, als mancher vielleicht denken mag.

Währung kommt von Wahrheit

Eine Währung ist ein Instrument des Vertrauens: wenn Sie sich mit einem Bauern darauf einigen, dass er mit Ihnen ein Ei gegen eine Glasmurmel tauscht, sind die Werte “Murmel” und “Ei” ineinander konvertierbar. Wenn jemand nun einen Weg findet, äußerst günstig viele Glasmurmeln herzustellen, wird der Bauer irgendwann mehr als eine Murmel für ein Ei verlangen. Die möglicherweise groteskeste Version eines solchen Geldsystems sind die tonnenschweren Rai-Steinscheiben, die auch heute noch Inhaber von Immobilien nachweisen.

Glasmurmeln, Steinscheiben und Euro-Banknoten haben für die meisten Marktteilnehmer selbst keinen besonderen Wert, sie stehen nur symbolisch für Eier, Kraftfahrzeuge und Netflixserien, die man damit konsumieren kann. In einer ökonomischen Zivilisation sind wir auf solche Symbole des Vertrauens angewiesen, um beliebige Werte ineinander überführen zu können, Handel zu treiben und durch Verleih und Zins Wachstum zu ermöglichen. Banken und Regierungen fallen dabei seit der Erfindung des Geldes besondere Rollen zu: sie schaffen die Regeln für die Währung, sie garantieren mit ihrem Namen und ihrem Vermögen für die Einlagen der Marktteilnehmer und sie steuern die Verfügbarkeit, den Zins und den Verleih von Geld; sie sind gewissermaßen der Ursprung, aus dem sich das Währungssystem entwickelt. Sie garantieren, dass man für einen Schein mit aufgedruckter Zahl einen halbwegs stabilen Gegenwert erwarten kann, indem sie die Spielregeln des Systems festlegen. Seitdem sich in den Siebziger Jahren das Bretton Woods-System, gemäß dem jeder US-Dollar mit einer bestimmten Menge Gold gedeckt sein musste, selbst außer Kraft setzte, können alle Institutionen, die ihr Geld gegen den Dollar konvertieren, nahezu beliebig neues Geld erschaffen, indem sie es z.B. über ihre Zentralbanken zu einem bestimmten Zinssatz verleihen. Solches Geld bezeichnet man im Investorensprech als Fiat”-Geld, aus dem Lateinischen “Es werde” (Genesis 1, §3).

Sobald man sich auf eine Bezeichnung der Währung (Glasmurmel, Euro oder Bitcoin) geeinigt hat, ist der Weg zu einem giralen Geldsystem nicht weit: Sie können einer Bank einen Hundert-Euro-Schein anvertrauen und der Bankangestellte wird in einem Buch hinterlegen, dass Sie jetzt 100 Euro Guthaben auf ihrem Konto haben. Sobald Sie einen Teil Ihres Guthabens gegen einen anderen Wert tauschen möchten, teilen Sie der Bank mit, welchem Konto Sie einen gewissen Betrag gutschreiben möchten, weisen dies dem Empfänger nach und können dafür die entsprechende Gegenleistung erwarten. Kommt der Empfänger seinen bezahlten Pflichten nicht nach, können Sie mit Hilfe ihres bei der Bank bestellten Kontoauszugs glaubhaft nachweisen, dass die Transaktion zu einem bestimmten Zeitpunkt stattgefunden hat. Der uneingeschränkte Fluss des Geldes, bestehend aus Einzeltransaktionen, ist die Grundlage jeder Art von wirtschaftlicher Transaktion; Bankkonten dienen als Nachweis für Absichten und Leistungen.

Das im englischen Sprachraum gebräuchliche Wort für Währung ist “currency”, was den Sinn des Geldes viel besser verdeutlicht als der deutsche Begriff, der mutmaßlich der “Wahrheit” entlehnt wurde, tatsächlich aber auf die “Gewährleistung” zurückgeht: Geld ist ein transaktionales Schmiermittel zur Steuerung von Warenströmen, Werten und Dienstleistungen. Es besitzt keinen stehenden Wert, sondern ist nur ein volatiles Werkzeug, um Besitztümer zu tauschen und Ansprüche geltend zu machen.

Vertrauen und Vertrauensbruch

Geld ist in unseren westlichen Kulturen derart fest verankert, dass wir kaum noch merken, dass das Vertrauen in Banken, Geld und Regierung nur in unseren Köpfen existiert. Die Banken- und Finanzkrise ist nur spurlos an den meisten Bürgern vorbeigezogen, weil die EZB ihren gewaltigen Vertrauensvorsprung in eine Geldflut ummünzte, um das Euro-Einlagensystem zu stützen und seitdem mit Minimalzinsen die Wirtschaft halbwegs am Laufen hält. Aber fragen Sie mal eine enteignete Hausbesitzerin im amerikanischen Mittelwesten, einen Lehmann-Banker oder einen ehemaligen Deutsche Bank-Vorstand, wie die das sehen.

Unlautere Marktteilnehmer sorgen dafür, dass sich herkömmliche Währungssysteme erschüttern lassen; Landes- und Zentralbanken sowie der Internationale Währungsfonds werden seit der Krise nicht müde, neue Kontrollinstrumente zu erfinden und per Gesetz zu installieren, um den weltweiten Kapitalmärkten Regeln aufzuerlegen. Sobald systemrelevante Teilnehmer wie Italien, Venezuela, China oder eine bayerische Immobilienbank anfangen, sich über diese Regeln zu ihrem eigenen Vorteil hinwegzusetzen, sind alle vertrauensstiftenden Bemühungen der Institutionen wertlos. Das System steht auf Messers Schneide, Populisten untergraben weltweit das geborgte Vertrauen in den Staat, Banken können unter der anhaltenden Nullzinspolitik kaum noch genug erwirtschaften, um die Einlagen ihrer Kunden zu garantieren; es lohnt sich für sie einfach nicht mehr, Geld zu verleihen und schon gar nicht mehr, die Girokonten ihrer Kunden zu verwalten.

Die letzte Chance auf Rendite: riskante Hebelwetten auf die Zukunft

Um überhaupt noch Geld mit Geld zu verdienen, bedarf es Finanzprodukten mit Hebelwirkung: Futures, Hedgefonds, Derivate, Optionen und Obligationen. Da es auch mir schwerfällt, sie im Ansatz zu verstehen, möchte ich mich hier nicht zu weit mit Erläuterungen ihrer Funktionsweise aus dem Fenster lehnen. Im Kern geht es aber bei allen diesen Ideen um die simple Tatsache, dass man mit einer “Wette” auf den Eintritt eines Ereignisses Geld verdienen kann.

Einfaches Beispiel: ich wette mit Ihnen, dass ein Liter Superbenzin am 21. August 2021 zwei Euro kosten wird. Ich garantiere Ihnen, dass ich Ihnen diesen Liter Superbenzin an ebendiesem Datum für genau zwei Euro verkaufen werde und fixiere unsere Absprache auf einem Zettel, den ich Ihnen heute für zwei Euro verkaufe. Wenn das Benzin in zwei Jahren 2,50 Euro kostet, haben Sie 0,50 Euro gewonnen, kostet er dagegen nur 1,50 Euro, gewinne ich 0,50 Euro.

Anstatt den Zettel zu behalten, können Sie ihn aber auch morgen für drei Euro an einen pessimistischen Bekannten verkaufen, je nachdem, welchen Benzinpreis Sie in ihrem Kaffeesatz lesen. Je näher der Stichtag rückt, desto wertvoller oder wertloser wird der Zettel, je nach Sichtweise. Wenn Sie sich beim Kauf des Zettels mir gegenüber sogar verpflichtet hätten, den Liter Superbenzin für diesen Preis abzunehmen, kann es je nach Benzinpreis für Sie ein ziemlich einträgliches oder gefährliches Geschäft werden. Diese Art der terminierten Verbriefung von Preiswetten ist ein tagtäglich millionenfach gehandeltes Wertpapier namens “Termingeschäft” und maßgeblich für die Schwankungen des Spritpreises an Tankstellen verantwortlich. Das Verhältnis zwischen dem gehandelten Wert des Papiers und dem realen Wert des zugrundeliegenden Geschäfts ist der “Hebel”, mit dem Rendite oder Verluste berechnet werden.

Abseits der Frage, ob Sie diese Art von Geschäften für verwerflich halten und am liebsten gleich den modernen Kapitalismus abschaffen wollen, möchte ich Sie zu der Überlegung anregen, was an diesem Geschäft im Kern nicht stimmt. Zunächst einmal das Vertrauen: wissen Sie sicher, dass ich Ihnen 2021 den versprochenen Liter Superbenzin überhaupt aushändigen kann? Dann die Transparenz: der Marktteilnehmer, der Ihnen den Zettel für drei Euro abkauft, wird alles daran setzen, den Preis z.B. durch Verknappung, Zölle, üble Nachrede oder terroristische Anschläge auf 3,50 Euro zu treiben, ohne dass ich nachvollziehen kann, wer dafür verantwortlich ist.

Bankkonten sind ein Konzept für Privilegierte

Ein ganz anderes Problem mit Währungen und Geld entsteht, wenn man in einer Region lebt, in der man nicht auf einen starken Rechtsstaat, Institutionen und Regierungen vertrauen kann. Über 1,7 Milliarden Menschen auf unserem Planeten haben keinen Zugang zu einem Bankkonto — der absoluten Grundlage, um gegenseitiges Vertrauen in Transaktionen aufbauen zu können. Wenn Sie meinen, dass sich auch größere Transaktionen mit Hilfe von Glasmurmeln oder Bargeld abwickeln ließen, dann fragen Sie mal einen kolumbianischen Drogenkurier nach dessen Meinung.

Gleichzeitig liegt in failed States wie Venezuela die reale Bedrohung der permanenten Geldentwertung in der Luft. Sobald ein Staat unkontrolliert Geld in Umlauf bringt oder seine Schulden nicht mehr bedienen kann, verlieren seine Bürger und internationalen Partner schlagartig das Vertrauen in das bunte Papier, das er einmal Währung nannte; in Venezuela lag die Inflationsrate 2018 deswegen bei 130.000 Prozent (das ist kein Komma!) und daran ist weder die CIA noch der schwankende Ölpreis schuld, sondern ein massiver, anhaltender Vertrauensverlust von Bürgern in ihre Institutionen.

Bitcoin: ein faires Vertrauenssystem für eine weltweit akzeptierte Währung

2009 kam ein gewisser Satoshi Nakamoto (es ist nicht öffentlich bekannt, wer das ist — möglicherweise sogar eine ganze Gruppe von Entwicklern) auf eine brillante Idee. Er kreierte mit Bitcoin ein nicht beliebig produzierbares digitales Wertesymbol (die Glasmurmel) und erfand gleichzeitig ein vertrauenswürdiges, transparentes Buchhaltungssystem, auf das beliebig viele Teilnehmer gleichzeitig lesend wie schreibend zugreifen können. Spannenderweise fällt der Begriff “Blockchain” in Nakamotos legendärem Whitepaper kein einziges Mal.

Der Kern von Satoshis Idee ist ein lineares Buchhaltungssystem. Doch was würde passieren, wenn wir alle unkontrolliert gleichzeitig in das selbe Buch schreiben könnten? Angenommen, ich würde laut Kassenbuch über einen Bitcoin verfügen und Sie würden mir einen Gebrauchtwagen für diesen Bitcoin verkaufen wollen; In dem Moment, in dem Sie mir den Schlüssel überreichen, schreibe ich in unserem Kassenbuch Ihrem Konto meinen Bitcoin gut. Da es keine zentrale Instanz gibt, die mich daran hindern könnte, schreibe ich nur einen Augenblick später den selben Bitcoin einem anderen Teilnehmer gut, der mir dafür eine wertvolle Mingvase vor die Haustür stellt. Bevor Sie merken, dass aus meinem Bitcoin zwei geworden sind, bin ich mit ihrem Auto und der Vase im Kofferraum bereits über alle Berge. Die Verhinderung solcher “Double-Spends” ist das zentrale Problem, das Blockchains lösen.

Was wir benötigen, um uns gegenseitig ohne jegliches Zutun einer dritten Partei vertrauen und kontrollieren zu können, ist ein System zum fehlerfreien, unfälschbaren und eindeutigen Nachweis meines Kontostands und zur Abwicklung von Transaktionen in einer festgelegten zeitlichen Abfolge. Sie müssen sich hundertprozentig sicher sein können, dass ich beim Abschluss unserer Transaktion über den geforderten Betrag verfüge. Um dieses Vertrauen herzustellen, müssen sich alle Bitcoin-Teilnehmer verbindlich auf die Reihenfolge und Finalität von Transaktion einigen. Über diese Herausforderung, die man als “byzantinische Fehlertoleranz" oder kurz BFT bezeichnet, zerbrechen sich Informationswissenschaftler seit den 1970er Jahren den Kopf — obwohl ich nicht ausschließen möchte, dass tatsächlich ein paar byzantinische Generäle vor einem halben Jahrtausend vor dem selben Problem standen: wie stellt eine beliebig große Gruppe einen Konsens über die aktuell geltende Wahrheit her, wenn jeder genau weiß, dass einige Teilnehmer in der Gruppe ein falsches Spiel spielen und versuchen, zu ihrem Vorteil falsche Daten einzutragen?!

Bitcoin war der weltweit erste Ansatz, der das BFT-Konsensproblem mit Hilfe einer Peer-to-Peer replizierten Blockchain löste — bis heute hat sich dieser Ansatz bewährt, wird von Millionen von Teilnehmern akzeptiert und hat sich millionenfach als unerschütterliches Instrument des Vertrauens bewährt.

Seeds, Hashes, Wallets und Nonces: Fundamente der Blockchain

Um am Bitcoin-Ledger teilzunehmen, benötigt man zuallererst den Seed eines kryptografischen Schlüsselpaars, nicht unähnlich den Schlüsseln, die man zur Kommunikation mit SSH-Servern oder zur GPG-Verschlüsselung von Emails nutzt. Dieser Seed weist seinen Besitzer als Inhaber aller von ihm ausgehenden Transaktionen aus — wer ihn besitzt, hat uneingeschränkte Kontrolle über das Guthaben, das durch die Saldierung aller mit oder gegen ihn durchgeführten Transaktionen ermittelt wird. Der dazugehörige Public Key ist die eindeutige, unveränderliche, öffentliche Bitcoin-Adresse, die für alle Teilnehmer sichtbarer Bestandteil aller Transaktionen ist. Aus diesen Fakten leiten sich zwei grundlegende Eigenschaften der Bitcoin-Blockchain ab:

  • Not your keys, not your Bitcoin”: wer die Kontrolle über seinen Seed verliert, verliert sein Guthaben — wer ihn besitzt, verfügt über das Guthaben. Wird der Seed kompromittiert, hat man gleichzeitig die Kontrolle über sein Konto verloren.
  • Bitcoin-Transaktionen sind nicht anonym und ihr Inhalt ist nicht verschlüsselt. Jeder kann alle jemals getätigten Bitcoin-Transaktionen nachverfolgen und damit sehr leicht Rückschlüsse über die Teilnehmer der Transaktion ziehen. Sobald eine öffentliche Bitcoin-Adresse mit einer Person in Bezug gebracht werden kann, kann man unmittelbar feststellen, mit wem und in welcher Höhe diese Person Geld ausgetauscht hat.

Für die sichere Aufbewahrung und die sichere Interaktion mit der Blockchain sind Apps verantwortlich, die man gemeinhin als “Wallet” bezeichnet. Der Begriff ist so malerisch wie irreführend, denn er verleitet zu der Annahme, dass sich die Bitcoins eines Nutzers in seiner Geldbörse befinden. Tatsächlich enthält die Wallet nur den Schlüssel, um die Kontrolle über eine Bitcoin-Adresse und ihr saldiertes Guthaben nachzuweisen.

Ein anderes Vorurteil: um mit der Blockchain interagieren zu können, benötigt man eine vollständige aktuelle Kopie des gesamten Ledgers — derzeit sind das mehr als 250 GB an Daten. Wäre das tatsächlich der Fall, wäre die Technologie schon heute im realen Leben unbenutzbar. Daher kommunizieren Wallets mit öffentlich sichtbaren Nodes, die Kopien der Blockchain vorhalten und vermitteln lediglich vorbereitete Transaktionen dorthin. Wer völlig unabhängig von anderen Teilnehmern mit Bitcoin interagieren möchte und wirklich niemandem vertraut, kann aber auch selbst einen solchen Node betreiben.

Wenn aus dem Nichts Geld entsteht: Proof of Work und Mining

Transaktionen werden nicht einzeln in den Ledger geschrieben, sondern zu Transaktionsblöcken eines begrenzten Umfangs zusammengefasst — derzeit sind das pro Block etwa 1,2 MB, die durchschnittlich etwa 1000–3000 Transaktionen enthalten. Neben den Transaktionen enthält ein Block den Hashwert und den Index des vor ihm liegenden Blocks, sodass man vom Ende beginnend alle Blöcke bis zum allerersten jemals generierten Block (der Genesis) zurückverfolgen kann: so prägte sich der Begriff “Blockchain”. Das wichtigste technische Instrument in diesem Verfahren ist die sichere Hashfunktion (SHA-256), die aus einer beliebig großen Eingangsdatenmenge einen relativ kurzen, eindeutigen Wert ermittelt und bei der kleinsten Veränderung der Daten zu einem völlig anderen Ergebnis führt.

Aber wie stellt man sicher, dass niemand in betrügerischer Absicht falsche oder widersprüchliche Transaktionen in einen Block schreiben kann? Die einfache Antwort: das kann man gar nicht sicherstellen. Man stellt vielmehr sicher, dass sich alle Teilnehmer auf eine Blockchain einigen, die ausschließlich valide Blöcke enthält. Die längste Blockchain, auf die sich alle Teilnehmer einigen können, entspricht dann der “Wahrheit”.

Die Bitcoin-Blockchain enthält hierfür eine eingebaute “Hürde”, die man nehmen muss, um überhaupt einen validen Block zu erzeugen und die auf Grund ihres zeitlichen und rechnerischen Aufwands als “Proof of Work” bezeichnet wird (wir erläutern die Details des Hashcash-Verfahrens an dieser Stelle nur stark vereinfacht, mehr konkrete Details finden Sie z.B. hier und hier). Ein sich berufen fühlender Teilnehmer fügt eine beliebige Menge ihm vorliegender Transaktionen und den Hash eines aktuellen Vorgängerblocks zu einem neuen Block zusammen und berechnet darüber einen ersten Hashwert. An diesen hängt er eine vom Bitcoin-Protokoll vorgegebene, über die Zeit wachsende Anzahl Nullen an (die sogenannte Difficulty) und sucht nun nach einem weiteren Wert (dem “Nonce”), der gemeinsam mit den Transaktions- und Vorgängerdaten dieses Blocks unter neuerlicher Ausführung der Hashfunktion zu ebendiesem Hash führt. Sobald ein passender Nonce gefunden wurde, meldet er den finalen Block an das Netzwerk und bittet alle anderen Teilnehmer um Überprüfung; während das Auffinden des Nonces extreme Rechenleistug erforderte, ist seine Überprüfung gegen den Rest des Blocks eine nahezu kostenlose Operation, sodass ein einmal validierter Block gute Chancen hat, schnell von vielen Teilnehmern im Netzwerk akzeptiert und damit Bestandteil der weltweit akzeptierten Blockchain zu werden.

Doch warum machen sich einige Teilnehmer überhaupt auf die anstrengende und aufwändige Suche nach Nonces für Blöcke von Transaktionen, die nichts mit ihnen selbst zu tun haben? Weil sie sich laut Bitcoin-Protokoll innerhalb ihres neuen Blocks eine festgelegte Summe von Bitcoins gutschreiben dürfen, die dadurch neu erzeugt werden! Derzeit werden aufgrund dieser Eigenschaft des Bitcoin-Protokolls pro Block etwa 12,5 neue Bitcoins “gemünzt”: dies ist ein Beispiel für die entsprechende Output-Transaktion innerhalb des Blocks 593418. Die Kombination aus schwerer Arbeit mit anschließendem Geldregen führte zu der metaphorischen Bezeichnung “Miner” für Teilnehmer, die mit der Lösung des Hash-Rätsels beschäftigt sind.

Bitcoin: Systemische Schwächen

Man erkennt hier schnell eine fundamentale Schwäche des Bitcoins. Da die Inzentivierung der Miner, einen extremen Rechenaufwand zu betreiben, vergleichsweise hoch ist (12,5 Bitcoin lassen sich derzeit in etwa 125.000 Euro wechseln), herrscht unter ihnen eine Stimmung wie am Klondike 1896. Besonders enttäuschend ist, dass der allergrößte Teil des Rechenaufwands, für den sie exorbitante Mengen Energie aufwenden, für den Betrieb der Bitcoin-Blockchain völlig wertlos ist: Aberbillionen von Transaktionshashes werden berechnet und verworfen, sobald ein Miner das Rennen um den nächsten Block gewonnen hat. Mit normalen C/GPUs sind Brute-Force-Suchen dieses Ausmaßes ohnehin nicht zu stemmen; die aktuelle Difficulty des Bitcoin-Netzwerks erfordert den großflächigen Einsatz sogenannter Ant-Miner, spezialisierte Hardware, die ihre Betreiber zu Rechenpools zusammenschließen und die gemünzten Bitcoins untereinander aufteilen.

Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie viele dieser Geräte auf der Welt in diesem Augenblick gleichzeitig auf Hochtouren nach Hashes suchen und dabei pro Exemplar bis zu 3000 W aufnehmen. Aktuelle Hochrechnungen vergleichen den Energiebedarf des Bitcoin-Netzwerks mit dem Energieverbrauch kleiner Staaten wie Dänemark oder dem Libanon. Diese leider nicht mehr kostenlos zugängliche Studie und dieser ausführliche Coindesk-Artikel taxieren den Energiebedarf auf etwa 45 TWh/Jahr, was man auf eine Emission von 23 Mt CO²/Jahr umrechnen kann. Eine einzige erfolgreiche Bitcoin-Transaktion ist demnach für 200 kg CO² verantwortlich, genauso viel ein Standardbenziner auf der Reise zwischen Glücksburg und Genf verbraucht.

Jede einzelne Bitcoin-Transaktion sollte daher außerordentlich gründlich abgewogen werden.

Hashraten, Transaktionsgebühren und Geschwindigkeit

Das Bitcoin-Protokoll wurde von Satoshi Nakamoto so entworfen, dass die fürstliche Vergütung der Miner ab einer bestimmten Blockhöhe wegfällt. Alle 21 Millionen Bitcoins sind dann im Umlauf und es können keine neuen mehr entstehen. Ab diesem Zeitpunkt werden Miner lediglich durch Transaktionsgebühren inzentiviert, die Eintragende ihnen für das Mining eines Blocks gutschreiben können. Das tun sie bereits heute: Für die Eintragung dieser privaten Transaktion zahlte ich beispielsweise 0.00007707 BTC Gebühren (etwa 0,75 Euro); das klingt nicht viel, aber stellen Sie sich einmal vor, Ihr Kreditinstitut würde Ihnen die gleichen Gebühren für eine girale Euro-Transaktion abziehen — sie würden schon am nächsten Tag zu einer Bank wechseln, die keine Gebühren erhebt. Zur Stoßzeit des Cryptobooms Ende 2017, zu der die halbe Welt binnen Tagen auf den rollenden Bitcoin-Zug aufspringen wollte, waren einige Teilnehmer sogar bereit, Transaktionsgebühren weit über 50 Euro zu bezahlen.

Hinzu kommt die durchs Blockhain-Verfahren bedingte Dauer der Finalisierung: bis ein Block mit meiner Transaktion durch mindestens 6 spätere Blöcke fest in die weltweit längste Blockchain eingetragen wurde und somit als final bestätigt gilt, können mehrere Stunden vergehen. Eine von ihrem Girokonto ausgehende innerdeutsche Überweisung wird je nach Verfahren und Ziel von Ihrer Bank heutzutage binnen Minuten bestätigt, das zentral gesteuerte VISA-System benötigt dafür sogar nur Sekunden (und verarbeitet zu Stoßzeiten bis zu 50.000 Transaktionen pro Sekunde, Bitcoin schafft in seiner derzeitigen Auslegung und Hashrate lediglich 7–12).

Zur Bezahlung eines Abendessens, einer Tasse Kaffee oder eines Wochenendeinkaufs ist Bitcoin wegen seiner Transaktionsgebühren und -zeiten derzeit nicht geeignet. Stattdessen eignet sich Bitcoin viel besser für kurzfristige Spekulation und zur Wertaufbewahrung und das ist möglicherweise die abschreckendste Konsequenz seiner unkontrollierten Vertrauensbasis. Erinnern Sie sich an die terminbasierten Optionsscheine auf Grundlage des Benzinpreises? Ähnliche Wetten werden derzeit auf den Kurs des Bitcoin abgeschlossen. Wegen unkontrollierbar ausgelöster Hype-Zyklen und externer Effekte, die Anleger in vermeintlich sichere Häfen wie Edelmetalle oder Kryptowährungen investieren lassen, sinkt und steigt der Preis eines Bitcoins im Wochentakt; viele sprechen bereits davon, dass sie ihr Bitcoin-Guthaben als digitales “Gold” betrachten, als relativ immobile, Schwankungen unterliegende, aber dauerhaft wertbehaftete Geldanlage. Bei einer solchen Volatilität würde niemand auf die Idee kommen, sich sein Gehalt in Bitcoin auszahlen zu lassen — man wüsste ja nicht, ob der Lohn in einer Woche noch dazu reicht, um seine Miete in Euro bezahlen zu können.

Es sei denn, der Vermieter akzeptiert ebenfalls Bitcoin und bezahlt mit ihm seine Rechnungen. Dann entfällt nämlich das leidvolle Umrechnen in eine Referenzwährung; und das ist derzeit das größte Akzeptanzproblem von Kryptowährungen und Glasmurmeln: solange wir ihren Wert immer an anderen Werten orientieren, bleiben sie volatil. Das langfristige Ziel der Community lautet daher, die Akzeptanz von Bitcoin soweit zu stärken, dass die Kryptowährung ein akzeptiertes Zahlungsmittel wird. Ohne neue Ideen, Änderungen am Bitcoin-Protokoll und der Unterbrechung des digitalen Goldrauschs der Miner wird das nicht funktionieren.

Anwendungen außerhalb der Token-Economy

» Bitcoin Cash

Eine einfache Möglichkeit, Transaktionsraten von Bitcoin zu beschleunigen und die Kosten für eine einzige Transaktion zu senken, ist die Größe eines Blocks zu erhöhen: Die Komplexität der Hashsuche steigt nämlich nicht notwendigerweise proportional zur Blockgröße. Diese naheliegende Änderung im Bitcoin-Protokoll wurde neben anderen Vorschlägen erstmals im Rahmen des Segregated Witness (Segwit)-Proposoals BIP-91 vorgeschlagen und 2017 intensiv von der Community diskutiert. Das Ergebnis des darauf folgenden Disputs zwischen Minern war ein Hardfork der Bitcoin-Blockchain: da sich bei weitem nicht alle Teilnehmer an den vorgeschlagenen Änderungen beteiligen wollten, teilte sich Bitcoin am 1. August 2017 in zwei Lager.

Wer auf der Blockhöhe 478559 ein Bitcoin-Guthaben hatte, wurde Zeuge einer wundersamen Geldverdoppelung mit ungewissem Ausgang: abhängig davon, welcher Blockchain man folgte, hatte man plötzlich den “echten” Bitcoin oder eine ab diesem Block davon unabhängige Währung namens Bitcoin Cash in seiner Wallet — aus einer Glasmurmel wurden plötzlich zwei! Dies ist der letzte gemeinsame Block auf Bitcoin und Bitcoin Cash.

In diesem Augenblick konnte niemand voraussagen, welche der beiden in Zukunft ihren Wert erhalten würde. Wie im ursprünglichen Beispiel hängt es ja davon ab, ob einem der Bauer ein Ei für eine Murmel verkauft und welche der Murmeln er ab sofort akzeptiert. Viele Inhaber der neuen Währung versuchten in den darauf folgenden Tagen ihre Cash-Coins in Fiat zu tauschen und so sank der Kurs von “Bitcoin Cash” zunächst gegenüber dem Bitcoin stark, stabilisierte sich aber nach dem Platzen der ersten Kryptoblase Ende 2018 auf einem niedrigen Niveau.

Genau diese Stabilität macht Bitcoin Cash zu einer interessanten Alternative für den originären Bitcoin, denn die Transaktionszeiten und -kosten von Bitcoin Cash-Überweisungen sind unter anderem wegen einer Blockgröße von derzeit 32 MB (Bitcoin: 1 MB) deutlich geringer als im Bitcoin-Netzwerk. Besser gesagt: sie wären es, wenn Bitcoin Cash die selbe Dominanz wie Bitcoin erreichen würde. Derzeit werden einfach zu wenige Transaktionen an das Hauptnetz herangetragen, um den Effekt nachvollziehen zu können. Fest steht jedoch: eine Bitcoin-Transaktion kostet derzeit umgerechnet etwa 0,86 Dollar, eine Bitcoin Cash-Transaktion lassen sich Miner nur mit 0,0029 Dollar vergüten.

Bitcoin Cash und andere Hardforks der Bitcoin Blockchain haben in erster Linie das Ziel, die Praktikabilität von Bitcoin zu erhöhen, indem sie Blockgrößen und Mining-Regeln modifizieren. Das finden manche Miner natürlich weniger gut, weil sie nach einem Fork höchstwahrscheinlich Profite verlieren — was man sowohl verständlich als auch in Anbetracht der offensichtlichen Nachteile des aktuellen Bitcoin-Proktolls als egoistisch bewerten kann.

» Lightning Network: Payment Channels für schnelle und kostenlose Off-Chain-Transaktionen

Auch Bitcoin Cash leidet am intrinsischen Problem von Blockchains, die ihre Validierung über eine Verkettung von Hashes bis zum Ursprungsblock vornehmen: Sie können nur wachsen und nie vergessen.

Würden alle Bewohner des Planeten Erde Bitcoin als primäres Zahlungsmittel verwenden und sogar ihre Brötchen, Eier oder Kugeln Eis mit Kryptowährungen bezahlen, stieße jede Bitcoin-ähnliche Technologie zwangsläufig auf das selbe Problem: Skalierbarkeit. Ein paar clevere Köpfe kamen daher — inspiriert von Satoshis ursprünglichem Paper — auf die Idee, ähnlich wie im Bargeldverkehr kleine Transaktionen gar nicht auf der Blockchain selbst zu speichern, sondern sogenannte Payment-Channels dafür zu öffnen. Sie nennen es das Lightning-Netzwerk.

Angenommen, Sie kaufen regelmäßig Eier beim Bauern ihres Vertrauens für einen relativ kleinen Betrag; warum sollte das die ganze Welt mitbekommen? Es wäre viel praktischer, wenn Sie und der Bauer ein eigenes Kassenbuch eröffnen, zu Beginn eine bestimmte Menge von Glasmurmeln auf ein von ihnen beiderseitig eröffnetes Pfandkonto einzahlen (hierfür ist das Multisignatur-Feature der Bitcoin-Blockchain erforderlich, mit dem mehrere Parteien eine gemeinsam kontrollierte Adresse erzeugen können) und von dort ausgehend ihre individuellen Transaktionen abwickeln — jedes Mal, wenn Sie ein Ei kaufen, ziehen Sie ihrem Glasmurmelkonto eine Murmel ab und schreiben es dem Bauern gut, ohne dass die Welt das mitbekommt.

Die Anzahl der Glasmurmeln in diesem geschlossenen System bleibt immer gleich und ohne Zustimmung der jeweils anderen Partei können Sie keine Glasmurmeln aus dem System entnehmen. Damit innerhalb eines Payment-Channels Geld den Besitzer wechseln kann, signieren beide Teilnehmer jede Transaktion, der sie zustimmen, mit ihrem privaten Schlüssel. Kommt es zum Disput, kann jeder Teilnehmer des Channels den aktuellen Saldo (die “Balance”) des Channels zurück in die Blockchain schreiben und damit effektiv den Channel schließen und die Guthaben beider Seiten auf den letzten gemeinsam signierten Stand finalisieren. Im Lightning-Kontext wird dieser Vorgang gerne mit dem “Gang vor Gericht” illustriert: sobald es zum Disput kommt, trägt man die aktuellen signierten Kontostände der unbestechlichen globalen Instanz vor, die sie dann endgültig ins globale Kassenbuch überträgt. Diese Präsentation illustriert recht anschaulich, wie das ganze im Bitcoin-Kontext technisch funktioniert.

Wenn jeder Teilnehmer mit vielen anderen Teilnehmern kleinteilige Payment-Kanäle öffnet, entsteht ein Netzwerk von individuellen Kassenbüchern, die alle durch die übergeordnete Währung Bitcoin gedeckt sind. Um mit einem beliebigen Teilnehmer im Lightning-Netzwerk Werte austauschen zu können, versucht das Protokoll zunächst, einen Pfad zwischen den beiden Beteiligten im Netzwerk zu finden. Existiert so ein Pfad, wird der gewünschte Wert über alle Knoten (“Hops”) geleitet, bis er am Ziel angekommen ist. Da diese Transaktionen nicht Bestandteil des globalen Ledgers sind, sondern alleine von den Signaturen der Teilnehmer abhängig sind, können sie deutlich schneller durchgeführt werden und bleiben frei von Transaktionskosten. Sie sind daher auch für Micropayment-Anforderungen geeignet. Um am Lightning-Netzwerk teilnehmen zu können, bedarf es dedizierter Wallet-Clients und Lightning-Nodes, die Features wie Multisigs, private Signaturen und das Konzept der Payment-Channels unterstützen.

Ein anderer Nebeneffekt von Lightning ist seine Unabhängigkeit von der zugrunde liegenden Blockchain-Technologie, sofern sie Multisignaturen unterstützt. Wenn jemand einen Wert in der Alternativwährung Litecoin transferieren möchte, genügt es, den in Bitcoin umgerechneten Wert durchs Lightning-Netzwerk an ein Kanalende zu verschicken, das selbst eine Ursprungstransaktion in Lightcoin hält — die einzelnen Teilnehmer innerhalb des Netzwerks müssen dafür nichts über Lightcoin wissen.

» Blockstack: Dezentrales Filesystem und im Ledger verankerte Identitäten

Die vermeintlich aufregendste Anwendung von dezentralen Ledgern sind sogenannte Smart Contracts; das ist Code, der während des Mining-Prozesses automatisch ausgeführt wird und darin hinterlegte Geschäftsregeln anwendet. Bitcoin unterstützt dieses Verfahren grundsätzlich im Rahmen der Opcode-Schicht seiner Transaktionen, in Ermangelung einer verständlichen, ausdrucksvollen Programmiersprache und wegen der recht begrenzten Blockgröße sind solche Contracts aber im Bitcoin-Netzwerk derzeit nahezu bedeutungslos. Vielleicht benötigt man aber auch gar keine “dezentrale virtuelle Maschine”, die beispielsweise ein zentraler Bestandteil des konkurrierenden Ethereum-Ledgers ist. Um Applikationen schreiben zu können, die die Ergebnisse von dezentral ausgeführtem Code persistieren, genügt es eindeutig nachzuweisen, wer den Code ausgeführt hat (Identität) und was das Ergebnis der Ausführung war (Persistenz).

Seit 2013 arbeitet das New Yorker Startup Blockstack an einer Infrastruktur, mit der sich solche dezentralen Apps (oder kurz dApps) realisieren lassen. Im Zentrum steht der an Bitcoin gebundene Blockstack Naming Service, mit dessen Hilfe Nutzer ein dezentrales Identitätsdokument (DID) mit Hilfe einer speziell für diesen Zweck generierten Wallet in einer Bitcoin-Transaktion verankern. Solange man seinen Key nicht verliert, kann man sich damit lebenslang eindeutig als Person ausweisen.

Um gegenüber Dritten die Glaubwürdigkeit der realen Identität zu verstärken (das kann je nach Anwendungsfall sinnvoll oder gefährlich sein), erlaubt Blockstack die Anreicherung der Identität mit sozialen Proofs: indem man z.B. einen speziellen Tweet zu einer bestimmten Zeit absetzt, kann man gegenüber dem Protokoll nachweisen, dass man ein Twitter-Profil kontrolliert und somit halbwegs glaubwürdig nachweisen, dass man tatsächlich die Person ist, für die man sich ausgibt.

Der einfachste Weg, um mit seiner Identität zu interagieren, ist die ebenfalls dezentrale Blockstack-App. Lassen Sie sich von der augenscheinlich zentral gesteuerten Webseite im Browserfenster nicht täuschen: die Applikation selbst lässt sich völlig unabhängig von einem bei Blockstack beheimateten Server starten und interagiert potenziell autonom mit einem Bitcoin-Node. Meine persönliche Blockstack-Identität ist z.B. hier öffentlich einsehbar und seit März 2018 in der öffentlichen Bitcoin-Blockchain verankert.

Sobald man über eine nachweisbare Identität verfügt, kann man sie dafür nutzen, sich gegenüber dezentralen Applikationen auszuweisen und sich bei ihnen anzumelden. Das hat einen gewaltigen Vorteil gegenüber den zentralen, “federated Logins” a la “Login mit Facebook”: Anmeldungen und Interaktionen innerhalb einer Applikation können nicht getracked werden und die von der Applikation gespeicherten Daten können nicht ohne Zutun des Anwenders mit einer dritten Partei geteilt oder zu anderen Zwecken analysiert werden. Blockstack nennt dieses Merkmal bildhaft “Applications that can’t be evil”.

Neben der Verankerung von Identität bietet die Blockstack-Platform unter der Bezeichnung “Gaia-Hub” einen dezentralen Storage-Layer an, der sich noch in der Testphase befindet. Sofern man dem Unternehmen selbst vertraut, kann man sich einfach an den verteilten Storage-Hub von Blockstack anschließen und kommt damit derzeit in den Genuss eines virtuell unendlich großen Speicherplatzes. Wer hingegen die vollständige Kontrolle über seine Daten behalten möchte, kann selbst einen Gaia-Knoten betreiben; derzeit werden Cloud-Dienste wie AWS S3, Azure Blob Storage und GCP unterstützt, man kann aber auch einfach das Filesystem eines Servers anschließen, dem man selbst vertraut. Alle Daten, die dezentrale Applikationen im Namen des Nutzers speichern, landen auf der vom Nutzer kontrollierten Gaia-Instanz. Der Missbrauch von Profildaten, geheimen Dateien, Fotos oder Nachrichten ist daher ausgeschlossen, sofern der vom Nutzer gewählte Speicherort nicht kompromittiert ist; obwohl dieses System weit von der Vorstellung eines vollständig verteilten Dateisystems wie z.B. IPFS entfernt ist, bietet es mit einfach Methoden Sicherheit, Skalierbarkeit und Privatsphäre für dezentrale Applikationen.

Auf Grundlage von Identität und verteiltem Speicher lassen sich schließlich Applikationen programmieren, die im Browser des Nutzers laufen und dennoch über dezentrale Merkmale verfügen. Blockstack inzentiviert Entwickler mit seinem “App-Mining”-Programm. Das klingt nach Blockchain, hat aber nichts mit “Mining” zu tun: stattdessen wählt das Unternehmen selbst im Monatstakt Applikationen nach Beliebtheit und Funktionalität aus und vergütet ihre Entwickler mit Prämien bis zu 20.000 US-Dollar. Mittlerweile haben sich auf Grund dieses Anreizes über 250 Apps in den von Blockstack betriebenen AppStore app.co aufnehmen lassen und werden aktiv entwickelt. Ausgezahlt werden die Prämien in Form der Blockstack-eigenen Kryptowährung Stacks (STX).

Was zunächst nach einem Gag aus der Marketing-Abteilung klingt, ist das Resultat eines 2018 erfolgreich durchgeführten Token Sales, der langfristig Blockstacks Entwicklung finanzieren soll. Das Unternehmen veröffentlicht derzeit weitergehende Tools, darunter auch die LISP-ähnliche (und aus besonderen Gründen nicht Turing-vollständige) Smart Contract-Sprache Clarity, mit der sich “echte” Smart Contracts auf der STX-Blockchain realisieren lassen.

Synopsis & TL;DR

Bitcoin ist derzeit gemessen an seiner Akzeptanz das nachweislich am besten funktionierende dezentrale Währungssystem, das keinerlei Kontrolle durch externe Parteien unterliegt. Dabei sind natürlich auch die systemischen Schwächen der Ledger-Technologie im Falle Bitcoin am sichtbarsten: Fragen zur Skalierbarkeit, Nutzbarkeit und hohen Transaktionsgebühren werden von Sekundärtechnologien bereits adressiert, sind aber noch längst nicht abschließend beantwortet.

Den durch intensiven, aber zum größten Teil überflüssigen Mining-Aufwand erzeugten Vorteil, ein nicht kompromittierbares System des Vertrauens zu sein, erkauft sich Bitcoin mit einem untolerierbaren ökologischen Fußabdruck, der sich nur durch Level-2-Technologien oder alternative Konsensverfahren auf ein erträgliches Maß reduzieren lässt.

Davon abgesehen ist Bitcoin ein verlässliches, weltweit funktionierendes Protokoll zum Austausch von Werten und zur Absicherung von Vertrauen — ein nicht zu unterschätzendes erstes Werkzeug auf dem Weg in eine dezentrale Zukunft, in der jeder mit jedem über alle Grenzen hinweg sichere Geschäfte abschließen und Verträge eingehen kann, ohne von Währungen, Regularien, Zöllen oder korrupten Institutionen eingeschränkt zu werden.

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Stefan Adolf
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molecule.to | getsplice.io. EthOnline finalist. React, Typescript, web3, Solidity, Gatsby, Ionic, Fastify, Mongo. Dev#7079