Ist innovatives Arbeiten in der Verwaltung möglich?

Dirk Wegener vom ITZBund im Interview

Sonja Anton
Tech4Germany
Published in
6 min readMar 4, 2019

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Dirk Wegener ist seit 17 Jahren beim ITZBund, dem IT-Dienstleister der deutschen Bundesverwaltung, tätig. In seiner Funktion als Softwarearchitekt unterstützt er unter anderem die Entwicklung von E-Government Projekten wie dem Nutzerkonto Bund. 2018 unterstützte er als Mentor die Initiative Tech4Germany.

Du arbeitest jetzt schon seit 17 Jahren in der Verwaltung, erst beim Zoll, dann beim Informationstechnikzentrum Bund (ITZBund). Was reizt dich an den Projekten und deiner Arbeit?

Das Thema IT und Digitalisierung ist einfach toll und es macht Spaß, in einem so dynamischen Umfeld zu arbeiten. Die technische Umsetzung von IT-Projekten ist sehr spannend und herausfordernd. Die Projekte an denen ich mitwirke bieten einen Mehrwert für die gesamte Bundesverwaltung, sowie direkt für die Bürger selbst. Das reizt mich schon, wenn ein Projekt so eine große Reichweite hat und man damit einen richtigen Impact erzielen kann.

Haben sich während deiner Zeit beim ITZBund die Projekte und deren Ausmaße verändert?

Ja, ich merke, dass über die Jahre der Stellenwert der IT, sowie die Wertigkeit und Ausmaße der Projekte deutlich größer geworden sind. Die Digitalisierung der Industrie und Verwaltung rücken weiter in den öffentlichen Fokus und werden auch deutlich stärker in den Medien diskutiert. Für mich ist das ein Indikator dafür, dass IT-Projekte eine hohe Relevanz haben.

Dieses Jahr warst du als Mentor bei Tech4Germany dabei. Was war eines der wichtigsten Dinge, die du für dich aus dem Projekt mitgenommen hast?

Im Rahmen des Fellowships wurde ich darin bestätigt, dass IT-Teams interdisziplinärer arbeiten sollten. In meiner Rolle als Mentor war es besonders spannend zu beobachten, wie Personen aus unterschiedlichen Disziplinen miteinander agieren und an Projekten arbeiten. Die Anforderungen wurden durch diese Form der Projektarbeit aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachtet und verschiedene Herangehensweisen in der Projektdurchführung gewählt.

Ich glaube es ist deutlich erfolgversprechender, wenn ein Projekt-Team interdisziplinär arbeitet und nicht nur Skills im Bereich Software-Entwicklung vorhanden sind. Auch andere Fähigkeiten und Kompetenzen (z.B. auf dem Gebiet der User Experience) entscheiden darüber, ob eine IT-Lösung in der späteren Praxis einen Nutzen stiftet und den Anwenderinnen und Anwendern einen Mehrwert bietet. Daher ist für mich dieser interdisziplinäre Projektansatz ein wichtiges Erfolgskriterium für IT-Projekte.

Wie würdest du die Arbeitsweise in deinem Verwaltungsalltag mit der während der Zeit bei Tech4Germany vergleichen?

In der Verwaltung trennen wir im Augenblick noch in den meisten Projekten stark nach einem Beratungsauftrag für die Erstellung der Anforderungsdokumentation, und in einen Entwicklungsauftrag für die eigentliche Erstellung der Software.

Häufig sind das zwei mehr oder minder getrennte Projekte mit nur wenigen Schnittpunkten. Was ich aus dem Fellowship Projekt mitgenommen habe ist die Herangehensweise “Wir konstruieren erstmal einen Prototyp und schauen, ob wir in die richtige Richtung entwickeln”. Damit kann man aus meiner Sichtweise eine stärkere Verzahnung von Anforderung und Realisierung schaffen.

Diese regelmäßigen Checks, ob man sich auf dem richtigen Weg befindet, ist meines Erachtens einer der großen Punkte. Wir als ITZBund sind gerade auch aufgrund unserer bisherigen Erfahrungen stark daran interessiert, agile Methoden bei der Abwicklung unserer Projekte einzusetzen.
Hier sammeln wir gerade Erfahrungen und entwickeln uns in diesen Sinne hin zu einer agilen Projektarbeit.

Wie kann man sich den Prozess in der Verwaltung vorstellen?

Häufig wird damit begonnen, die Anforderungen, die von der Fachseite, also zum Beispiel dem Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI), dem Bundesministerium der Finanzen (BMF) oder einer koordinierenden Stelle kommen, erstmal anhand von Requirement-Engineering-Vorgaben runterzuschreiben. Dabei ist jede Anforderung so zu formulieren, dass sie widerspruchsfrei, eindeutig und atomar ist. Neben diesen funktionalen Anforderungen setzen wir uns in diesem Prozess auch mit Anforderungen unter anderem aus dem Bereich der Informationssicherheit, des Datenschutzes und der Barrierefreiheit auseinander. Sobald diese Dokumentation fertig ist, geht man in die technische Realisierung.

Wo siehst du Probleme bei dieser Herangehensweise?

Man steht oft vor der Herausforderung, die Anforderungen sprachlich so zu formulieren, dass sie eins zu eins verstanden und umgesetzt werden können. Allein in dieser Prozesskette können schon Probleme auftauchen, die dann im späteren Projektverlauf zu Verzögerungen bei der Umsetzung führen können.

Wenn der Leiter des ITZBund eines Tages sagen würde “Wir arbeiten ab sofort im ITZBund komplett nutzerzentriert, agil und iterativ”, wäre das umsetzbar?

Eine solche Arbeitsweise ist nur teilweise umsetzbar und zielführend. Auf der einen Seite wollen wir als IT-Dienstleister der Bundesverwaltung mit neuen und innovativen Lösungen frische Impulse bei der Digitalisierung setzen. Hierfür setzen wir uns bereits aktuell mit neuen Projektmanagementmethoden auseinander. Wir prüfen intensiv die Anwendbarkeit neuer Methoden in der Praxis und wenden diese dort an, wo es aufgrund der Anforderungen unserer Kunden und der Rahmenbedingungen passt.

Andererseits eignen sich solche agilen Arbeitsweisen aber nicht für alle IT-Projekte. Neben der Anwendung neuer Methoden werden auch die „klassischen“ Methoden und Vorgehensweisen ihre Relevanz behalten. Bspw. wird das V-Modell XT weiterhin zur Planung und Durchführung von IT-Systementwicklungsprojekten eingesetzt. Zudem entwickeln wir auch dieses Modell ständig weiter und passen es an veränderte Rahmenbedingungen (z.B. unter dem Gesichtspunkt der Informationssicherheit) an. So berücksichtigt das V-Modell XT bereits heute Elemente agiler und inkrementeller Arbeitsmethoden.

Meiner Meinung nach kann man also nicht sagen, dass wir zukünftig nur auf agile und nutzerzentrierte Methoden bei IT-Projekten zurückgreifen. Vielmehr muss man unter Berücksichtigung aller Projektkriterien, wie bspw. der Kundenanforderungen, der Funktionalität und Aspekten der Informationssicherheit und des Datenschutzes abwägen, für welches Projekt welche Methode geeignet ist.

Was müsste aus deiner Sicht geändert werden, damit eine agile Arbeitsweise möglich ist?

In vielen Projekten arbeiten wir bereits mit agilen Projektmanagementmethoden. Beispielsweise nutzen wir bei der Entwicklung neuer Softwarelösungen Elemente der agilen Arbeitsweise.

Die ganzen Möglichkeiten, die uns die agile Vorgehensweise bietet, werden wir aber nicht bei allen Projekten einsetzen können. Wir müssen bei jedem Projekt abwägen, was der Kunde möchte und wie wir die Zusammenarbeit optimal gestalten können. Es spielen häufig viele unterschiedliche Faktoren eine Rolle, so dass eine agile Arbeitsweise nicht bei allen IT-Projekten zielführend und sinnvoll ist.

Wieso dauern öffentliche Projekte deiner Meinung nach häufig länger als Bürger es aus der Privatwirtschaft gewohnt sind?

Gute Frage. Ich glaube, das hat mehrere Aspekte. Einerseits arbeiten wir in einem Umfeld, in dem sich Anforderungen sehr schnell aufgrund von politischen Gegebenheiten ändern — auch während der Laufzeit des Projektes. Häufig gibt es eine retrograde Berechnung von Projektzielen, basierend auf politischen Zielterminen. Wenn sich dann während der Projektlaufzeit Anforderungen ändern oder neue hinzukommen, führt dies häufig zur Verzögerung bzw. Neuplanung eines Projektes.

Jetzt hat das BMI mit dem beta.bund Portal dieses Jahr eine Beta Version veröffentlicht. Glaubst du, auch in der Politik findet ein Perspektivenwechsel statt?

Es ist zumindest meine Hoffnung, dass genau das der Fall ist und auch andere Ressorts diese Vorgehensweise adaptieren.

Ich gehe aber fest davon aus, dass es ein Umdenken geben wird und wir in fünf Jahren anders aufgestellt sein werden. Gerade in den letzten zwei Jahren haben wir gemerkt, dass wir an unserer Arbeitsweise etwas ändern müssen. Einerseits getrieben durch neue Technik, ohne die wir nicht mehr so viele Fachverfahren betreuen, verwalten und weiterentwickeln können, andererseits durch Auftraggeber, die immer schnellere Innovationszyklen fordern.

Wie glaubst du, werdet ihr in fünf Jahren im Vergleich zu heute aufgestellt sein?

Das ist in einem dynamischen und schnelllebigen Umfeld, in dem wir uns bewegen, schwierig zu sagen. Einerseits denke ich, dass die Komplexität und die Vielfalt der Projekte steigen wird.

Aufgrund des Drucks, Projekte immer innerhalb kürzerer Zeitintervalle abzuschließen, werden wir mehr Projekte agiler abwickeln. Weiterhin denke ich, dass wir uns stärker in Richtung Domain-driven design entwickeln und stärker dieses Toolset nutzen müssen.

Andererseits sehe ich aber auch eine Entwicklung im Bereich der Standardisierung von IT-Lösungen und -Services. In fünf Jahren denke ich, werden wir unser bestehendes Portfolio an standardisierten Anwendungen, die leicht in bestehende IT-Landschaften/Plattformen einzubinden sind, durch neue IT-Lösungen ergänzt und ausgeweitet haben.

Was glaubst du, wie ihr eure Kunden da am besten mitnehmen könnt?

Durch einen intensiven Dialog und Austausch. Nur so können wir die Anforderungen der Kunden bestmöglich erfassen und Projekte langfristig zum Erfolg führen.

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