Die digitale Transformation in deutschen Behörden ist kein technologisches Problem…

Stephan Detje
Tech4Germany
Published in
5 min readJan 21, 2020

Es ist kein Geheimnis, dass die digitale Transformation in Deutschland eher schleppend voran geht. Laut dem DESI Index belegt Deutschland in Europa gerade mal den 26. Rang im Bereich öffentliche digitale Services. Eine der größten Herausforderungen dabei ist “die Onlinekommunikation zwischen Behörden und Öffentlichkeit zu verbessern”. Es werden an vielen Stellen Digital-Projekte durchgeführt, doch sind die Ergebnisse häufig nicht zufriedenstellend (vgl. IT-Konsolidierung des Bundes). Durch Tech4Germany hatte ich die Möglichkeit für 3 Monate einen tiefen Einblick in diese Welt zu bekommen und selbst an Projekten Hand anzulegen. Unser Fazit: das es so schleppend vorangeht liegt in der Regel nicht an technologischen Problemen.

Die technologische Komplexität bei der Umsetzung der meisten Probleme ist (im Vergleich zu Systemen der privaten Wirtschaft) überschaubar. Ein Großteil der offenen Aufgaben lässt sich ohne Maschine Learning und Blockchain lösen und kann mit Methoden bearbeitet werden, die seit Jahren in der Industrie Standard sind. Eine viel größere Hürde sind die Planung und Umsetzung der Projekte. Insbesondere die Vereinbarung von behörden-üblicher, bürokratischer Arbeitsweise mit der für Softwareprojekte typischen Agilen. Ein Grundsatz der agilen Arbeitsweise ist beispielsweise, sich “an Veränderungen anpassen, statt stur einem Plan zu folgen.” Dahingegen, ist es in Behörden üblich Budgets und Pläne lange im Voraus aufzustellen und diesen dann strikt zu folgen.

Best-Practices für Software Projekte werden von der Wirtschaft vorgelebt und detailliert dokumentiert. Doch leider haben diese Best-Practices bisher kaum Eingang in die Arbeitsweise der öffentlichen Verwaltung gefunden. Während der Projektarbeit bei Tech4Germany habe ich gemeinsam mit meinen Teamkollegen versucht zu verstehen welche Vorraussetzungen fehlen. In diesem Artikel möchte ich vier Punkte erläutern, die wir als besonders wichtig für die erfolgreiche Umsetzung von Softwareprojekten in der Verwaltung ansehen:

1. Nutzerfokus und Service-Denken

Wenn in der Verwaltung ein Softwareprojekt angestoßen wird, passiert das oft als Reaktion auf neue Gesetze oder Regularien. Das spiegelt sich auch in den aufgestellten Anforderungen und der Umsetzung wider. Allerdings wird eine Software nicht von Gesetzen benutzt, sondern von Menschen. Hier ist ein Umdenken von juristischem zu nutzerzentriertem Denken mehr als überfällig. Die GDS aus Großbritannien kann uns als Vorbild dienen, wie das aussehen kann.

Design Thinking ist nicht das Allheilmittel — aber eine gute Grundlage für Methoden zum nutzerzentrierten Arbeiten. Diese Methoden sind gut geeignet um Empathie für die Nutzer zu entwickeln und ihre Probleme und Bedürfnisse genau zu verstehen. Viel wichtiger als das Framework ist am Ende das richtige Mindset der Projektbeteiligten. Jeder Einzelne sollte darüber nachdenken, ob das was er tut einen Mehrwert für die Nutzer schafft.

2. Kooperation von IT und Fachseite

Der Fokus auf das Befolgen von Gesetzen bringt noch weitere Probleme mit sich. Im Moment gibt es eine strikte Trennung zwischen Fachseite und IT: Die Fachseite merkt, dass sie eine IT-Lösung für ein Problem braucht. Die IT wird benachrichtigt, dass sie etwas bauen sollen was ungefähr Problem X löst. Je nach Ministerium legt die IT entweder selbst los oder beauftragt eine Agentur, um das Problem zu lösen, oder erst einmal Anforderungen aufzunehmen um dann später eine andere Agentur zu beauftragen diese umzusetzen. Jeder der schonmal Stille-Post gespielt hat, kann sich vorstellen wie das ausgeht…

Nur durch einen engen Austausch und direkte Zusammenarbeit zwischen Fachseite und IT, ist es möglich eine Software zu entwickeln, die den realen Anforderungen gerecht wird. Dafür ist es sowohl notwendig die IT bei der fachlichen Konzeption und Anforderungsaufnahme einzubeziehen, als auch die Fachseite bei der Umsetzung für die Evaluierung und zur Beseitigung von Unklarheiten zur Verfügung zu haben. Kontinuierliches Feedback von Nutzer*innen und Fachexperten ist essentiell für Softwareprojekte. Um das zu ermöglichen, müssen mehr Freiräume sowohl für die IT als auch für die fachlichen Mitarbeiter eingeräumt werden, an solchen Projekten teilnehmen zu können.

3. Silo-Denken abschaffen

Zusätzlich betreffen IT Projekte nur selten einzelne Abteilungen oder gar einzelne Referate. Oft sind sie sogar für mehrere Ministerien relevant. Dieser Umstand wird oftmals übersehen und es findet kaum Austausch zwischen den beteiligten Gruppen statt. Zum Leidwesen der Bürger*innen, deren Belange oftmals abteilungs- oder ressortübergreifend sind. Auch hier ist ein Umdenken erforderlich. Mitarbeiter*innen verschiedener Abteilungen und Behörden müssen gemeinsam an einem Strang ziehen, damit bestmögliche Dienstleistungen für Bürger*innen gewährleistet werden können. Und genau das sollte ja das Ziel einer Verwaltung sein, bzw. ist zumindest die Erwartung der Bürger*innen.

4. Product Manager

Besonders bei fachübergreifenden Projekten kann es in Behörden oft schwer zu sehen sein, wer tatsächlich zuständig ist. Für das Gelingen eines Software Projektes ist es allerdings essenziell, dass es eine zentrale Koordinator*in gibt, die die Verantwortung über das Projekt und die Beteiligten übernimmt und gleichzeitig digitalisierungsaffin ist. Das muss einerseits auf der organisatorischen Ebene geschehen, aber andererseits auch auf inhaltlicher. Im privaten Sektor gibt es üblicherweise in Softwareprojekten die Position des “Product Managers”. Diese Rolle beinhaltet es, die Vision des Vorhabens zu formulieren und weiterzuentwickeln. Er ist auch maßgeblich an der Priorisierung von Features beteiligt und stellt sicher, dass die ausgelieferten Ergebnisse den Nutzern tatsächlich Mehrwert bieten. Zusätzlich kann er als Anlaufstelle für das Zusammenführen von Kommunikation und Wünschen verschiedener Parteien fungieren. Ein Äquivalent zu dieser Position sollte auch in Software Projekten des öffentlichen Dienstes eingeführt werden.

Alle diese Punkte sind kein Hexenwerk. Sie werden im privaten Sektor seit langem vorgelebt. Im Öffentlichen Dienst aber fehlen bisher die Kompetenzen, Frameworks und vor allem das Mindset diese umzusetzen. Diese Punkte müssen von Führungskräften gefördert und gefordert werden, um ein grundsätzliches Umdenken in die Wege zu leiten. Wenn das erfolgreich ist, kann auch die Verwaltung gute digitale Services für die Bürger*innen kreieren.

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Stephan Detje
Tech4Germany

software developer, traveller, water sports enthusiast, aspiring blogger, http://stephde.github.io/