ANLAGENORMEN ZWISCHEN ANMASSUNG UND REALITÄT

Christian Dreyer
The Market Epistemologist
11 min readMar 9, 2022

Die „prudent person“ bzw. „investor“ ist ein Rechtsbegriff aus dem common law, der sich dank seiner den dynamischen Anforderungen der Finanzmärkte entsprechenden Flexibilität als allen alternativen Regulierungsformen des Anlageverhaltens von Vorsorgeeinrichtungen konzeptionell überlegen erwiesen hat. Deshalb wird das Konzept des prudent investor zunehmend in anderen Ländern angewendet. Auch in der Schweiz?

Herkunft und Entwicklung

In den dreissiger Jahren des 19. Jahrhunderts wurden durch amerikanische und englische Richter fast zeitgleich Standards gesetzt, wonach das angemessene Verhalten eines Beauftragten bzw. eines Trustees daran festzumachen sei, ob ein vernünftiger und vorsichtiger Mensch („reasonable and prudent man“) ebenso handeln würde. Die Richter haben so der subjektiven Bona-fide-Urteilsfähigkeit des Einzelnen ein qua Jury objektives Korrektiv beigestellt, mit dem sichergestellt werden soll, dass sich der Verantwortliche wie andere gewöhnlich intelligente Menschen („ordinary prudent men“) bei der Regelung ihrer eigenen Angelegenheiten verhält. Die konzeptionelle Entwicklung hat in erster Linie im US- amerikanischen Recht stattgefunden, weshalb wir uns schwergewichtig darauf konzentrieren können. Die prudent person ist die politisch korrekte, geschlechtsneutrale Form des prudent man.

In der auf Amory v Harvard 1830 folgenden Rechtsprechung sind die Richter jedoch schnell wieder auf ihren visionären Ansatz zurückgekommen¹ und haben den am Ablauf des Anlageverhaltens anstelle seines Ergebnisses ausgerichteten Ansatz zugunsten einer übermässigen Aversion gegenüber Risiken im Portfolio aufgegeben. Bestimmte Anlageformen wurden in der Folge wieder als spekulativ per se und somit unzulässig klassifiziert. Nominelle Kapitalerhaltung wurde als zentrales Ziel der common law prudent person definiert, und jede einzelne Anlage musste diesen Kriterien entsprechen, d.h. die heute zentrale Portfolio- Perspektive war unzulässig. Aus heutiger Sicht verspricht jedoch einzig eine Vermögensverwaltung Erfolg, welche die fundamentalen Unsicherheiten der auf die Zukunft ausgerichteten Finanzmärkte und die Zusammenhänge (Korrelationen) zwischen den einzelnen Anlageformen in einer auf das Ganze ausgerichteten Gesamtschau vereint.

Der im Rechtssystem des common law oft anzutreffende Übergang vom Richterrecht zum gesetzten Recht hat im Fall der prudent person erst über 140 Jahre nach ihrem ersten Auftritt stattgefunden, nämlich im Rahmen des US-Employee Retirement Income Security Act (ERISA) von 1974. Bei dieser Gelegenheit wurde die prudent person dadurch zum prudent expert befördert, sodass nicht mehr die Rede ist vom „gewöhnlich intelligenten Menschen“, sondern von einer Person, die sich in solchen Angelegenheiten auskennt. Die einschlägige Formulierung des Gesetzes² lautet:

„a fiduciary must act (…) with the care, skill, prudence and diligence under the circumstances then prevailing that a prudent man acting in like capacity and familiar with such matters would use in the conduct of an enterprise of a like character and with like aims“.

Zudem wurde das oben erläuterte Common-law-Konzept der prudent person gesetzlich und vor allem per Dekret des zuständigen US-Arbeitsministeriums entsorgt. Das heutige Verständnis der prudent person im Umfeld der institutionellen Vermögensanlage (anders als im konventionellen common law trust) ist ein Produkt des US-Rechts, welches die Erkenntnisse der modernen Finanztheorie (insbesondere eine Gesamtschau des Portfolios) integriert hat.

Der aktuelle Stand des prudent investor wurde im Uniform Prudent Investor Act (UPIA) von 1994 kodifiziert. Entgegen der Bezeichnung handelt es sich dabei nicht um eine eigentliche Rechtsquelle, sondern um eine unverbindliche, vom American Law Institute herausgegebene Systematisierung und Vereinfachung des common law und des Rechts der Bundesstaaten (ein restatement of the law) in der dritten Ausgabe. Seit der Verabschiedung 1994 wurde UPIA jedoch in einer Mehrheit der US Bundesstaaten zu geltendem Recht.

Man kann also im Wesentlichen drei Formen des prudent investor unterscheiden, die heute noch parallel vorkommen:

Ausserhalb des juristischen angelsächsischen Sprachgebrauchs werden diese Begriffe oft synonym verwendet, obwohl sie unterschiedlichen Ursprungs sind und verschiedene Bedeutungen haben. Dennoch sind sie semantisch und entwicklungsgeschichtlich verknüpft. Im Folgenden verwenden wir mit prudent investor den historisch jüngsten und präzisesten Begriff.

Aktuelle Bedeutung

Die Prudent-investor-Norm enthält in ihrem Kerngehalt das Ergebnis einer Wahl zwischen der detaillierten Festlegung des Anlageverhaltens privater Investoren durch den Staat oder dessen Festlegung durch Private im Rahmen gewisser allgemeiner, aber dennoch justiziabler Ablaufnormen. Das Agency-Problem³ ist beiden Ansätzen mit jeweils unterschiedlicher Tragweite gemein.

Im heutigen Verständnis enthält das Konzept des prudent investor gemäss UPIA folgende Kernelemente⁴:

  • Die Sorgfaltspflicht des Prudent-investor-Standards ist anwendbar auf das gesamte Portfolio, nicht auf dessen einzelne Bestandteile;
  • Der Zielkonflikt zwischen Risiko und Rendite ist die wichtigste Abwägung des prudent investor;
  • Der prudent investor kann alle Arten von Anlageformen nutzen, die geeignet sind, das Risiko-Rendite-Ziel der Einrichtung zu erreichen; es gibt keine spezifischen Einschränkungen;
  • Das traditionelle Diversifikationsgebot ist Bestandteil des Standards;
  • Delegation ist im Rahmen bestimmter Einschränkungen zulässig.

Diese anlagespezifischen Eigenheiten des prudent investor sind komplementär zu den allgemeinen Kerngehalten⁵ der prudent person gemäss common law:

  • Trennung der Vermögenswerte von anderen Werten;
  • Umfassendere Tragweite der rechtlichen Verantwortlichkeit als z.B. im Vertragsrecht;
  • Verhaltensnorm anstelle Ergebnisorientierung richtet den Fokus auf die Due Diligence und den Ablauf der Entscheidfindung;
  • Sorgfaltspflicht im engeren Sinn beinhaltet die Pflicht, fachlich geeignete Ressourcen einzusetzen bzw. an sie zu delegieren;
  • Delegation entbindet nicht von Überwachungspflichten;
  • Pflicht zur unbedingten Loyalität gegenüber der Einrichtung und ihrer Begünstigten.

Neben der Entwicklung des Standards in Wechselwirkung von Finanztheorie und (nationalem) Recht beginnt die internationale Praxis, eine zunehmend wichtige Rolle zu spielen. So kennen die Standesregeln des CFA Institute den Standard III (A) Loyalty, Prudence, and Care⁶, der die relevanten Konzepte und Formulierungen des Prudent-investor-Standards umfasst und für die über 100’000 Mitglieder des Instituts weltweit verbindlich ist, sofern kein stärker einschränkendes Recht gilt. In der Schweiz verfügen aktuell ca. 2000 Personen über den CFA (Chartered Financial Analyst) Charter und sind Mitglied der CFA Society Switzerland.

Im Grundsatz darf die Debatte zwischen Verfechtern des Prudent-investor-Standards und Vertretern quantitativer Limiten spätestens seit der Verabschiedung der OECD-Richtlinien⁷ von 2006 international als zu Gunsten des prudent investor entschieden gelten. Es gibt empirische und logische Ansätze für die Begründung der Überlegenheit des prudent investor. Nussbaum⁸ versucht empirisch zu zeigen, dass die risikobereinigten Renditen des Prudent-investor- Regimes jenen des Schweizerischen Limitenwesens überlegen sind. Solche Belege sind aber angesichts einer Vielzahl anderer Einflussfaktoren bestenfalls Indizien⁹ und können nicht als schlüssige Beweise gelten.

Überzeugender sind grundsätzliche Erwägungen: Limiten sind nur dann wirksam, wenn sie den Entscheidungsspielraum der Anleger effektiv eingrenzen. Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Anlegertypen (z.B. gemessen am Deckungsgrad oder am Rentneranteil) gibt es aber eine entsprechende Zahl legitimer, nicht kongruenter Entscheidungsspielräume, deren Eindampfung auf one size fits all zu suboptimalen Ergebnissen führen muss. Alternativ könnten Limiten so breit angelegt werden, dass sie die Entscheidungsspielräume nicht mehr begrenzen. Daraus folgt allerdings, dass innerhalb dieser grossen Spielräume Willkür herrschen würde, was der Limitengeber wohl so nicht beabsichtigt.

Es stellt sich somit die Frage nach dem Primat: Soll der Prudent-investor- Standard als übergeordnete Norm gelten, die notfalls durch sehr wenige, gut zu begründende¹⁰ Limiten einzuschränken wäre? Oder sollen die Prudent-investor- Ansätze im Rahmen der Spielräume eines übergeordneten Limitenwesens angewendet werden?

Aus unserer Sicht ist das Primat des prudent investor der einzig vertretbare Weg. Die Alternative würde eine Anmassung des Wissens¹¹ seitens des Limitengebers über die optimale Anlagestrategie voraussetzen, die angesichts der realen und aufgrund der Zukunftsorientierung unausweichlichen Unsicherheit der Finanzmärkte jeder Grundlage entbehrt.

Geographische Verbreitung

Die traditionelle Aufteilung prudent investor — angelsächsische Länder / quantitative Limiten — Rest ist nach dem Siegeszug des prudent investor kaum mehr relevant, denn per Ende 2007 haben nur noch ca. die Hälfte aller OECD-Staaten ihre Pensionskassen in Bezug auf Anlageklassen limitiert¹². Die in der Praxis zunehmende Schwierigkeit, trennscharfe und ökonomisch sinnvolle Abgrenzungen zwischen den Anlageklassen zu finden, dürfte ihren Teil zum Niedergang der Limiten beigetragen haben. Angesichts der in der Praxis häufigen Mischform des Prudent-investor-Standards mit mehr oder weniger einschränkenden quantitativen Limiten lässt sich daraus allerdings wenig über die Effektivität dieser Veränderungen ableiten.

Den wichtigsten Erfolg der letzten Jahre konnte der prudent investor ohne Zweifel in der Verabschiedung der EU-Richtlinie 2003/41/EC („Pensionsrichtlinie“) erzielen, deren Artikel 18¹³ die Prudent-person-Norm ausdrücklich in den acquis communautaire der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR) einführt. Diese Vorschrift wird als eine der wichtigsten Errungenschaften der im Übrigen nicht unumstrittenen Richtlinie betrachtet. Durch die neuen Freizügigkeiten im Rahmen der Richtlinie steigt der Druck zur Harmonisierung — wenn schon nicht der Sozialsysteme, so doch mindestens des Aufsichtsrechts. Der durch die Richtlinie entfachte Standortwettbewerb für Vorsorgeeinrichtungen wird aber nicht überall geschätzt.

Mit Art. 18 wird das Primat des prudent investor festgeschrieben, obwohl quantitative Limiten in den Regelwerken der Mitgliedstaaten nach wie vor zulässig sind. Die Kompetenz zum Erlass nationaler quantitativer Limiten wird jedoch dadurch stark eingeschränkt, dass z.B. nur Limiten zulässig sind, die Anlagen über 70% in Aktien oder über 30% in Fremdwährungen verbieten. Vorschriften über die Wahl der Anlageform, über generelle Bewilligungs- und Meldepflichten oder Verbote von Anlagen an Risikokapitalmärkten sind nicht zulässig.

Analog zu ERISA enthält Art. 18 eine eindeutige Prioritätsordnung für den Fall von Interessenkonflikten, sodass die Investition „einzig und allein im Interesse der Versorgungsanwärter und Leistungsempfänger“¹⁴ erfolgt. Es wird Bezug genommen auf das klassische „Trilemma“ Risiko-Rendite-Liquidität sowie auf das Diversifikationsgebot. Anlagen sollen mit Vorzug an geregelten Märkten getätigt werden, andere sind aber nicht ausgeschlossen. Derivate werden primär als Instrumente des Risikomanagements betrachtet. Die einzige scharfe quantitative Limite bezieht sich auf Anlagen in das Trägerunternehmen, die 5% nicht überschreiten dürfen.

Durch die Einführung des prudent investor in der Pensionsrichtlinie wurden die meisten kontinentaleuropäischen Länder verpflichtet, ihre bestehenden quantitativen Anlageregimes für der Richtlinie unterstehende Vorsorgeeinrichtungen¹⁵ bis 2005 durch Prudent-investor-Normen zu ersetzen, was auch geschehen ist.

Und in der Schweiz?

Im Zusammenhang mit der per 1. Januar 2009 rechtskräftig gewordenen Revision der Anlagevorschriften der BVV 2¹⁶ heisst es oft¹⁷, dass nun auch hierzulande Elemente des prudent investor Einzug gehalten hätten. Bei dieser Beurteilung ist jedoch leider der Wunsch Vater des Gedankens.

Prudent-Person-Prinzip vs. quantitative Richtlinien in BVV 2 (Quelle: Credit Suisse Strategieberatung)

Denn bei näherer Betrachtung muss festgehalten werden, dass in der aktuellen Fassung der BVV 2 nach wie vor das Primat der Limiten gilt. Allein die Tatsache, dass der Bundesrat den Begriff des prudent investor nicht erwähnt, obwohl er inzwischen auch in kontinentaleuropäischen Rechtsordnungen fest etabliert ist (EU, OECD), ist ein starker formaler Hinweis. Dagegen ist das materielle Argument schwach, wonach die Limiten gemäss Art. 50.4 BVV 2 weg„erweitert“ werden könnten. Die Aufsichtsbehörde ist weiterhin kompetent, die Erweiterung gegebenenfalls rückgängig zu machen. Zudem hat die Vorsorgeeinrichtung einen freien Ermessensspielraum, ob sie die Erweiterung nach Abs. 4 vornehmen will oder nicht. Das kann dazu führen, dass Erweiterungen nicht vorgenommen werden, obwohl sie im Interesse der Versicherten eigentlich geboten wären.

Um das Primat des prudent investor gültig zu etablieren, müsste die Einrichtung wenigstens verpflichtet sein, regelmässig zu prüfen, ob Erweiterungen anlagepolitisch erforderlich sind. Erst wenn die Prüfung ergibt, dass Erweiterungen unnötig sind, dürfte sie darauf verzichten, d.h. im Rahmen der Limiten operieren.

Die Aufrechterhaltung des Primats der Limiten wird oft strukturell legitimiert. Von den 2435 Vorsorgeeinrichtungen per 2008 haben 96,3% eine Bilanzsumme kleiner als CHF 1 Mia.¹⁸. Solche kleine Einrichtungen erhielten dank der Limiten eine anlagepolitische Vorgabe, die sie nicht in der Lage seien, selbständig zu erarbeiten. Diese strukturpolitisch konservative Argumentation widerspricht jedoch den Zielen der beruflichen Vorsorge, ist diese doch ihren Mitgliedern verpflichtet und nicht den Institutionen der beruflichen Vorsorge.

Vergleichbar kleinräumige, durch regulatorische Rahmenbedingungen geschützte Strukturen finden sich u.a. in der Landwirtschaft. In der Landwirtschaftspolitik hat man vor einiger Zeit erkannt, dass der hohe Anteil von Klein- und Kleinstbetrieben in der Schweiz wirtschaftlich nicht nachhaltig ist und deshalb eine aktive Strukturpolitik mit einem Konzentrationsziel formuliert. Eine analoge aktive Strukturpolitik könnte auch in der beruflichen Vorsorge sinnvoll sein.

Eine weitere wesentliche Differenz zum prudent investor besteht darin, dass weder im BVG noch in den Ausführungsbestimmungen die Prioritäten bei Interessenkonflikten „einzig und allein im Interesse der Versorgungsanwärter und Leistungsempfänger“¹⁹ mit der wünschbaren Klarheit eindeutig festgeschrieben sind.

Hat der Bundesrat bei der Revision der BVV 2 also eine goldene Gelegenheit verpasst, das Primat des prudent investor einzuführen? Oder anders gefragt: Ist die Schweiz reif für den prudent investor in der beruflichen Vorsorge, sodass dieser per Federstrich übernommen werden könnte?

Galer²⁰ hat fünf Faktoren identifiziert, die eine erfolgreiche Umsetzung des Prudent-investor-Standards unterstützen. Im Einzelnen handelt es sich dabei um folgende:

  1. Governance: Der prudent investor als Prozessnorm ist darauf angewiesen, dass die Vorsorgeeinrichtung die notwendigen Eigenschaften aufweist, insbesondere geeignete und fachkundige Ressourcen, eine definierte An- lagepolitik sowie konsistente Vorstellungen über die Rollenverteilung ex- terner Dienstleister.
  2. Aktive Mitwirkung der Behörde in der Entwicklung: Es hat sich gezeigt²¹, dass eine Führungsrolle von Aufsicht und Regulator für eine effiziente Interpretation und Weiterentwicklung des Regelwerks kritisch ist. Dazu gehört die Kompetenz, Sanktionen im Fall der Nichtbefolgung zu verhängen.
  3. Überwachung, Berichterstattung, Offenlegung: Um die Anlagetätigkeit der Vorsorgeeinrichtung effektiv überwachen zu können, ist ein adäquates Berichtssystem unerlässlich, das zeitnahe, relevante Information liefert.
  4. Rolle der Gerichte: In Abwesenheit klarer, eindeutig interpretierbarer Normen wie z.B. Anlagelimiten kommen Expertengutachten im Verfahren eine wichtige Rolle zu. Dies könnte die Nachfrage nach Beratungs- und Benchmarking-Dienstleistungen verstärken.
  5. Angemessenheit der Rechtsbehelfe: Angemessene, effektive Rechtsbehelfe gegen unzweckmässige Anlageentscheide sind ein vorbeugend wirksamer Anreiz zur Einhaltung der Prudent-investor-Normen.

Eine detaillierte Analyse der Schweizerischen Rechtsordnung anhand dieser Faktoren würde den Rahmen des vorliegenden Artikels sprengen. Es gibt allerdings gewichtige Anzeichen, dass eine Reihe von Faktoren heute als ungenügend betrachtet werden muss, um eine erfolgreiche Umsetzung sicherstellen zu können. Ein gutes Beispiel hierfür (vgl. obenstehenden Punkt 3) ist die „schwierige Datenlage in der Beruflichen Vorsorge“²². Die vorliegenden Datengrundlagen weisen eine Verzögerung von 2 Jahren auf und sind rudimentär, insbesondere im Vergleich mit dem vom britischen Pension Protection Fund jährlich herausgegebenen Purple Book, welches jeweils im Januar bereits aktuelle Daten des Vorjahres liefert. Auch die Geschwindigkeit der Rechtsprechung, gerade bei komplexen wirtschaftlichen Tatbeständen, lässt zu wünschen übrig. Schliesslich ist die föderalistisch strukturierte Aufsicht einer konsistenten Praxis nicht förderlich und ermöglicht sogar innerhalb des Schweizer Marktes regulatorische Arbitrage.

Man darf also skeptisch sein, ob eine Umsetzung des Prudent-investor-Primats in der Schweiz heute erfolgreich wäre. Damit soll aber nicht der Stillstand des Status quo befürwortet werden, sondern eine Beschleunigung des Wandels in der beruflichen Vorsorge, solange wir das Tempo noch selbst bestimmen kön- nen. Denn wenn die im übergeordneten Landesinteresse erneut angestossene Europadebatte zu einer vertieften Integration der Schweiz (via EWR oder EU- Beitritt) führen sollte, wäre der Prudent-investor-Standard ohne Zweifel ein kleiner, aber für die Branche gewichtiger Bestandteil des Pakets.

[1] Nach Galer (2002) S. 50
[2] 29 U.S.C. Sect. 1104(A) (1) (B)
[3] Regelung von Interessenkonflikten v.a. bei asymmetrischer Informationslage
[4] Nach Arter (2005), S. 594
[5] Nach Galer (2002), S. 45 ff.
[6] CFA Institute (2010), S. 69 ff.
[7] OECD (2006)
[8] Nussbaum (1999), S. 355 ff.
[9] Galer (2002), S. 64 verweist auf frühere OECD-Untersuchungen.
[10] Ein gutes Beispiel wäre die Begrenzung der Eigeninvestitionen, um einen unvermeidbaren Interessenkonflikt zu begrenzen.
[11] Friedrich August von Hayek in seiner Vorlesung zur Verleihung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften vom 11. Dezember 1974.
[12] Credit Suisse (2009), S. 31
[13] Für eine ausführliche Analyse s. Arnot (2004), S. 41 ff.
[14] Art. 18 Abs. 1 lit. a der Richtlinie 2003 / 41 / EC
[15] Die RL ist nach Art. 2 nicht anwendbar z.B. auf die erste Säule oder auf die in Deutschland immer noch weitverbreitete Pensionszusage.
[16] Art. 49ff der Verordnung über die berufliche Alter-, Hinterlassenen- und Invaliden- vorsorge, SR 831.441.1.
[17] Credit Suisse (2009), S. 15.
[18] Bundesamt für Statistik (2019), S. 13
[19] Art. 18 Abs. 1 lit. A der Richtlinie 2003/41/EC.
[20] Galer (2002), S. 61 f.
[21] Z.B. bei den Entscheiden des US-Arbeitsministeriums über den Einsatz der Moder- nen Portfoliotheorie oder über die Rolle und das Management von Derivaten unter der Prudent-person-Norm.
[22] Bundesamt für Sozialversicherungen (2009), S. 142.

Literatur

ARNOT Simon, Directive 2003/41/EC on the activities and supervision of institutions for occupational retirement provision — a legal commentary, EFRP 2004

ARTER Oliver, Aspekte der Vermögensverwaltung für Trustvermögen; in: Der Schweizer Treuhänder 8 / 2005, S. 592 ff.

BUNDESAMT FÜR SOZIALVERSICHERUNGEN, Schweizerische Sozialversiche- rungsstatistik 2009, Bern 2009

BUNDESAMT FÜR STATISTIK, Die berufliche Vorsorge in der Schweiz 2008, Bern 2010

CFA INSTITUTE, Standards of Practice Handbook, 10. Auflage, Charlottesville 2010

CREDIT SUISSE, Anlageverhalten der Schweizer Pensionskassen, Fakten und Trends; November 2009

GALER Russell, „Prudent person rule“ standard for the investment of pension fund assets; in Financial Market Trends Nr. 83, S. 41–75, OECD 2002

NUSSBAUM Werner, Das System der beruflichen Vorsorge in den USA; Verlag Paul Haupt, Bern 1999

OECD GUIDELINES ON PENSION FUND ASSET MANAGEMENT, Empfehlung des Rates, verabschiedet am 26. Januar 2006

Dieser Aufsatz ist 2010 erschienen im Jubiläumsband Zukunft BVG.

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