Das Ponzi-Problem der PE-Industrie

Christian Dreyer
The Market Epistemologist
4 min readApr 7, 2024

Mikkel Svenstrup, der Anlagenverantwortliche der grössten dänischen Pensionskasse ATP mit einer Bilanzsumme von ca. CHF 90 Mia, hat sich anlässlich der IPEM Private Equity Konferenz in Cannes im Herbst letzten Jahres in die Nesseln gesetzt. Als Investor in 147 Buyout Fonds hat er davor gewarnt, dass die PE Industrie als Ganzes potentiell in der Gefahr steht, zu einem Pyramidensystem zu werden. Er steht mit diesem Kassandra-Ruf nicht alleine — auch Vincent Mortier, CIO des grössten europäischen Asset Managers Amundi, hat kurz vor ihm schon in die gleiche Kerbe geschlagen. Haben diese beiden prominenten Vertreter der europäischen Hochfinanz tatsächlich ein reales Problem früh erkannt, oder sind sie mittels Analogieschlüssen zu voreiligen Konklusionen gelangt?

Ponzi- und Pyramidensysteme unterscheiden sich

Zunächst gilt es die verwendeten forensischen Begriffe zu klären. Obwohl oft austauschbar verwendet, bezeichnen Pyramiden- und Ponzi-Systeme tatsächlich unterschiedliche Sachverhalte bzw. Tatbestände. Im deutschen Sprachraum wird Schneeballsystem oft synonym für das Pyramidensystem verwendet.

Unterscheidung Ponzi- vs. Pyramidensysteme

Bei der Auseinandersetzung mit diesen Betrugssystemen wird schnell deutlich, dass Private Equity in keiner Weise den Kriterien entspricht. Falscher Alarm also?

Leider nein, denn jenseits der Aufmerksamkeit heischenden Schlagzeile mit rufmörderischem Charakter gibt es tatsächlich Besorgnis erregende Aspekte, die vor allem in der Kombination von in den letzten Jahren stark ausdifferenzierten Marktstrukturen mit den etablierten Anreizsystemen zu absehbaren Fehlentwicklungen führen. Es lohnt sich daher, diese besser zu verstehen.

Ausdifferenzierte Marktstruktur

Private Equity trägt den zentralen Unterschied zu öffentlichen Märkten bereits im Namen: Es geht um nicht an geregelten Märkten bzw. privat gehandelte Beteiligungsrechte. Somit gibt es für sie keine öffentlich bekannten Marktpreise. Die Bewertung der Portfolio Positionen wird von PE Managern gemäss IPEV Richtlinien selbst durchgeführt und von spezialisierten Revisionsgesellschaften validiert. Gemäss Richtlinien gelten aktuelle, vergleichbare Transaktionen sowie Vergleiche mit börsengehandelten ähnlichen Firmen als beste Preisquellen für die Bewertung. So weit, so wenig problematisch.

Im “klassischen” Wachstumsprozess ambitionierter Unternehmen hat das Stadium als privat gehaltene Firma nur als Trainingslager gedient, bevor die Unternehmung entweder selbst an die Börse gegangen ist und sich so direkten Zugang zu den Kapitalmärkten geschaffen hat, oder sie wurde von einer börsenkotierten Firma übernommen. Grob gesagt seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts hat sich dieser Wachstumsprozess markant verändert: Angesichts praktisch unbeschränkt verfügbaren privaten Kapitals und der relativ geringeren Regulierungsdichte privater Märkte sehen sich kapitalhungrige Unternehmungen nach dem Motto “private for longer” kaum mehr veranlasst, eine Börsenkotierung anzustreben. Im Gegenteil: Dank Aktienrückkäufen und Dekotierungen haben die geregelten Märkte insgesamt ihre Funktion als unternehmerische Finanzierungsquelle netto verloren.

Im Gegenzug haben sich die privaten Märkte zunehmend ausdifferenziert: Im Venture Capital Segment ist eine ineinander greifende Wertschöpfungskette entstanden, die alle Wachstumsstadien von Angel, Seed, den verschiedenen Buchstaben-Serien bis zur Finanzierung schnellen Wachstums abdeckt. Diese Wertschöpfungskette lebt von stark steigenden Bewertungen erfolgreicher Firmen entlang des Potenzgesetzes bis zum schliesslichen Börsengang oder der Übernahme der Firma.

Auch für etabliertere Firmen mit weniger grosser Wachstumsdynamik gibt es Platz in den privaten Märkten: Das bekannte Buyout Muster besteht darin, dass ein PE Akteur eine Firma übernimmt, sie mit Kostensenkungsmassnahmen und Verschuldung auf höhere Profitabilität trimmt und sie gegen Ende des Lebenszyklus des Buyout Fonds an den nächsten PE Akteur weiter verkauft — natürlich zu substanziell höherer Bewertung.

Neue Marktstrukturen erzeugen falsche Preissignale

Auch gegen dieses kaskadierende Muster der Preisfindung für private Unternehmungen ist solange nichts Grundsätzliches einzuwenden, wie die Transaktionen zwischen tatsächlich unabhängigen Akteuren auf Armeslänge stattfinden. Mit der steigenden Konzentration der Private Equity Industrie ist diese Armeslänge aber nicht mehr unter allen Umständen gewährleistet, gibt es doch zunehmend Anlagevehikel wie die so genannten Continuation Funds, die vom gleichen General Partner kontrolliert werden wie der Fonds, von dem sie Beteiligungen zu Bedingungen übernehmen, die formell auf Armeslänge ausgehandelt worden sind.

Hier ist es wohl, wo die Kritik von Mortier und Svenstrup inhaltlich ansetzt. Wenn die PE Industrie zu einem geschlossenen System von voneinander abhängigen, mit sich selbst handelnden Akteuren mutiert, ist eine objektive Preisfindung nicht mehr gewährleistet, was zum Schaden externer Investoren (der Limited Partners) führen würde. Denn die immanenten Anreize der Industrie führen sicher nicht zu Preisuntertreibungen — davon zeugt schon heute die hohe Bewertung der PE Märkte. Das kann allerdings so lange ohne spürbare Störungen weitergehen, wie die Fremdkapitalkosten tief bleiben, die relative Regulierungsdichte zugunsten der privaten Märkte spricht und — wichtig — die fundamentalen Unternehmensentwicklungen insgesamt weiter steigende Bewertungen zulassen.

Was muss geschehen, um diese gefährliche Entwicklung zu unterbrechen? Reicht mehr Transparenz über ähnliche Transaktionen, wie zB von Demaria verlangt? Ich glaube, es wäre im Interesse der PE Industrie, best practices zu entwickeln, die zur Stärkung bzw. wenigstens zur Aufrechterhaltung der Armeslänge führen, bevor dies regulatorisch verlangt wird.

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