Geiz ist geil — wirklich?

Christian Dreyer
The Market Epistemologist
4 min readMay 29, 2024

Es mag die SPV Leserin überraschen: das britische Vorsorgesystem schneidet im Mercer CFA Institute Gobal Pension Index 2023 besser ab als unseres. Es bekommen zwar beide Systeme nur eine Note B, aber im Match gewinnt Grossbritannien mit 3:1.

Die Schweiz punktet nur im Subindex Nachhaltigkeit, bei dem es hauptsächlich um makroökonomische und fiskalische Eckwerte geht. Hinsichtlich der Angemessenheit des Rentensystems und dessen Integrität fällt sie zum Teil weit hinter das britische zurück.

Hier soll es jedoch nicht um einen Vergleich der beiden Vorsorgesysteme gehen. Ein solcher würde aufgrund der signifikanten Unterschiede zu viel Platz einnehmen. Interessant ist aber die aktive, wirkungsorientierte Rolle, die die Politik und der Regulator im britischen System spielen. Ein aktuelles Beispiel dafür sind die jüngsten, kombinierten und koordinierten Initiativen des Arbeits- und Vorsorgeministeriums (DWP), der Finanzmarktaufsicht (FCA) und des Vorsorgeregulators (TPR), mit denen einerseits ein besseres Preis-/Leistungsverhältnis (Value For Money, VFM) als Zielgrösse und andererseits Konsumentenschutz (Customer Duty, CD) angestrebt werden. Wir beschränken uns im Folgenden auf den Aspekt der Vorsorgeeinrichtungen im Beitragsprimat. Die Beteiligung der Arbeitnehmer:innen an solchen Einrichtungen ist zwar grundsätzlich freiwillig, aber alle Arbeitnehmer:innen werden automatisch in eine Einrichtung eingeschrieben, aus der sie sich auf eigene Initiative wieder abmelden können. Das tun nur rund 10% der automatisch Eingeschriebenen, wohl primär um die Arbeitnehmerabzüge zu vermeiden.

Ausgangspunkt dieser Initiativen ist die (auch hierzulande anzutreffende) Diagnose, dass die Vorsorgeeinrichtungen in erster Linie nach der Maxime der Kostenminimierung geführt werden. Das ist zwar in der Durchführung vergleichsweise einfach, führt aber nicht zwingend zum optimalen Ergebnis im Sinne der Versicherten.

Die Wirkungslogik, die zu einem optimalen Preis-/Leistungsverhältnis der Versicherten führen soll, wird wie folgt dargestellt:

Als Schlüsselelemente der strategischen Intervention werden daher die Anlageperformance (nach Kosten), die Kosten und die Dienstleistungsqualität präsentiert. Zentrale Instrumente sind eine Beurteilung entlang eines vorgegebenen VFM Kriterienrasters, periodische, transparente Berichterstattung sowie das Spiel der Marktkräfte. Durch letztere sollen sich unterdurchschnittlich leistungsfähige Einrichtungen (immer gemessen an der Kundenergebnis) verbessern, konsolidiert werden oder anderweitig den Markt verlassen. Der Wettbewerb spielt daher eine Schlüsselrolle in der Entwicklung des Vorsorgesystems.

Es gibt tatsächlich gute Hinweise darauf, dass der Wettbewerb aktuell nicht genügend spielt, auch im Anbietermarkt für Asset Management Dienstleistungen nicht. Gemäss einer Auswertung (FT vom 31. August 2023) könnten britische Vorsorgeeinrichtungen ohne Qualitätseinbusse GBP 2 Mia pro Jahr an Gebühren einsparen, wenn sie nur die jeweils günstigste Gebühr für die identische Leistung zahlen würden. Die Intransparenz des Marktes bei verhandelten Discounts führt zu einer Spanne von geschätzt 71 Bp zwischen den besten und schlechtesten ausgehandelten Bedingungen bei globalen aktiven Aktienfonds, 91 Bp für emerging markets und sogar 116 Bp für multi-asset absolute return funds. Bei einem einzelnen Anbieter von passiven Produkten wurde eine Spanne von 17 Bp für ein wettbewerbsintensives passives Produkt festgestellt.

Hier kommt der erwähnte Konsumentenschutz ins Spiel. Es geht dabei nicht um eine Kundensegmentierung analog zu Fidleg Art. 4, sondern um ein neues Geschäftsprinzip dem Kunden gegenüber. Vorsorgeeinrichtungen fallen aus dem Grund in die gleiche Kategorie wie Retailkunden, weil sie zu Gunsten der Versicherten arbeiten, die meistens Retailkunden sind.

Die von der FCA beaufsichtigten Asset Manager werden durch die neuen CD Regeln zum Beispiel verpflichtet, ihre Preispolitik periodisch zu überprüfen und anzupassen. Dabei reicht es ausdrücklich nicht, dass sich der Produktpreis im gleichen Bereich wie jener von Konkurrenzprodukten bewegt. Zusätzlich muss das Kundenergebnis berücksichtigt werden. Praktisch bedeutet das beispielsweise, dass der Preis eines Produktes sinken muss, wenn es während einiger Zeit schlechter performt als vergleichbare Produkte.

Durch die Kombination von VFM und CD werden in Grossbritannien einerseits die öffentlich bekannten Listenpreise ebenso unter Druck kommen wie der Druck für höhere Transparenz bezüglich der gewährten Vergünstigungen auf diese Preise steigt. Das Kundenergebnis gibt immer den Ausschlag.

Britische Vorsorgeeinrichtungen werden von diesen regulatorischen Entwicklungen im Anlagegeschäft profitieren. Dem gegenüber werden sie aber ihrerseits unter erhöhter Beobachtung stehen bezüglich des Kundenergebnisses, das sie selbst abliefern. Dieses umfasst nicht nur “harte Zahlen” wie Performance und Kosten, sondern auch qualitative Elemente wie Kommunikation mit und Beratungsleistung für ihre Versicherten, wie sie auch bei uns im Zeitalter schnell anwachsender Kapitalbezüge zunehmend wichtiger werden.

Es wird sich aber weisen müssen, ob diese Initiativen einen absehbaren Regierungswechsel in Grossbritannien überstehen und dann ihre beabsichtigte Wirkung über die Zeit entfalten können. Wenn beides zutrifft, würde es mich nicht überraschen, wenn wir uns in fünf bis zehn Jahren über die Einführung solcher Initiativen in der Schweiz unterhielten. Allerdings unterscheidet sich die FCA in einem Aspekt wesentlich von der FINMA: Die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des britischen Finanzplatzes gehört zu ihrem Mandat.

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