Sollen Pensionskassen in Krypto investieren?

Christian Dreyer
The Market Epistemologist
5 min readApr 18, 2024

Bitcoin ist in aller Munde, seit es wieder neue Höchststände erklimmt — und dennoch ist es in kaum einem PK Portfolio anzutreffen. Zu Recht? Das junge Phänomen der Kryptowährungen, die erst 2008 durch die Publikation des Bitcoin Weisspapiers begründet worden sind und deren dominanter Vertreter Bitcoin immer noch ist, oszilliert in der Grauzone von Spekulation und Investition.

Was sind Kryptowährungen?

Kryptowährungen (“Kryptos”) sind digitales Bargeld. Wir alle kennen und nutzen digitales Buchgeld in der Form von Kreditkarten und Zahlungsanweisungen täglich. Dieses verdrängt zunehmend physisches, von der einheimischen Zentralbank herausgegebenes Bargeld in Form von Noten und Münzen. Aber digitales Bargeld?

Technisch gesehen sind Kryptos nichts anderes als digitale Zeichenfolgen (tokens), die dank der Verwendung von Verschlüsselungstechnologien (Kryptographie) in dezentral organisierten Protokollen auf verteilten Computer-Netzen sicherstellen, dass das gleiche token nicht gleichzeitig mehrmals verwendet werden kann — genauso wie eine gut gemachte Banknote nicht kopiert werden kann.

Der wesentliche Unterschied zwischen digitalem und physischem Bargeld besteht darin, dass es bei Kryptos (noch) keine mit einer Zentralbank vergleichbare Gegenpartei gibt. Die Geldpolitik, d.h. die Regeln, nach denen Kryptos geschöpft oder vernichtet werden, sind in transparenten Computerprogrammen kodiert und können nur durch einen Konsens bzw. eine Mehrheit der Betreiber dieser dezentralen Protokolle geändert werden. Das ist neben der Sicherheit der verwendeten Kryptographie der zentrale Angriffspunkt von Kryptos — man würde von einer 51% Attacke sprechen. Allerdings war bis dato noch kein solcher Angriff auf Protokoll-Ebene erfolgreich, und zwar nicht wegen fehlender Versuche, sondern wegen der Robustheit der verwendeten Technologien.

Spekulation oder Investition?

Es gibt keine klare, eindeutige Trennlinie zwischen Investition und Spekulation, da das Anlagegeschäft notwendig mit der Zukunft und den darin inhärenten Unwägbarkeiten (≠ Risiken) befasst ist. Dennoch kann man unterscheiden zwischen Anlagen, die erkennbar der Greater Fool Theorie folgen, deren Erfolg also davon abhängig ist, dass man nach dem Kauf einen noch grösseren Trottel findet, der einen höheren Preis zu bezahlen bereit ist — und anderen, die auf in der Zukunft gelegene, abdiskontierbare Wertschöpfung abstellen. Die Finanz-Lehrbücher befassen sich praktisch ausschliesslich mit der zweiten Kategorie.

Wenn wir allerdings zulassen, dass die Qualität künftiger Wertschöpfung im heutigen Zeitalter schneller, disruptiver Innovation nicht sicher erkennbar ist (Beispiele Kodak, Nokia &c), betreten wir die reale Welt jenseits akademischer Theorie. Hier gelten Warren Buffetts Daumenregeln, dass der Preis das ist, was man bezahlt und der Wert jenes, was man dafür erhält. Um sich vor der Situation zu schützen, dass der bezahlte Preis höher als der erhaltene Wert ist, diversifiziert man.

Umgemünzt auf die Klasse der Kryptowährungen bedeutet diese Unterscheidung, dass wir versuchen müssen zu erkennen, ob Kryptos nur der Greater Fool Theorie folgen oder aber tatsächlich eine disruptive Erneuerung des Finanzwesens erwarten lassen.

“Historischer” Exkurs

Es ist kein Zufall, dass die Gründungsgeschichte der Kryptos mit dem Jahr der Grossen Finanzkrise 2008 beginnt, die das öffentliche Vertrauen in die Finanzindustrie gründlich erschüttert hat. Kryptos sind ausdrücklich als Gegenentwurf zur traditionellen Finanzindustrie konstruiert, sodass darauf aufbauende Dienstleistungen unabhängig von Vertrauen heischenden Organisationen und Regulierungen trustless, also ohne Vertrauen auskommen sollen. Das Protokoll soll genügen, um die Einhaltung der Vereinbarungen zu erzwingen. Es ist wichtig, diesen bisweilen anarchisch-libertären Hintergrund zu verstehen, um die ideologischen Beweggründe vieler Akteure einordnen zu können.

Kryptos im März 2024

Im Jahr 16 der Krypto-Zeitrechnung gibt es gemäss coingecko 13’169 Kryptos mit einer auf 980 nicht regulierten Handelsplätzen gehandelten, totalen Marktkapitalisierung von über USD 2.7 Bio. Bitcoin hat daran laut coinmarketcap einen Anteil von ca. 52%, gefolgt von Ether mit 18% und dem auf USD bezogenen stablecoin Tether mit rund 5%. Ether wird nota bene von der in Zug ansässigen Ethereum Stiftung unterstützt, die einen wesentlichen Anteil an der Etablierung des Crypto Valleys hatte.

Quantitativ sind die meisten der 13’169 Kryptos als Layer 2 einzustufen, wohingegen mit über USD 2.1 Bio (coingecko) das überwiegende Schwergewicht der Kapitalisierung im Layer 1 angesiedelt ist, also jenen Kryptos, die auf ihren eigenen Blockchain Protokollen existieren. Layer 2 Kryptos hingegen sind für ihre sichere Abwicklung auf eine Layer 1 Blockchain angewiesen.

Krypto und ESG

Kryptos bzw. deren Blockchains werden buchhalterisch als verteilte Hauptbücher (distributed ledger) bezeichnet. Da diese dezentral organisiert sind, brauchen sie einen Koordinationsmechanismus. Die erste Version eines solchen Mechanismus war Bitcoins Arbeitsbeleg (proof of work oder etwas polemisch proof of waste). Dieser beweist durch das rechnerisch hoch aufwändige, aber sonst nutzlose Lösen kryptographischer Rätsel, dass die involvierten Rechner ihre Koordinationsaufgaben korrekt ausgeführt haben. Dabei werden Unmengen an Elektrizität verbraucht: Gemäss aktuellen Schätzungen ist von 175 TWh pro Jahr auszugehen, was mehr als dem dreifachen Verbrauch der ganzen Schweiz entspricht.

Dem gegenüber steht der proof of stake Mechanismus des Ethereum Protokolls, der seit der Ablösung des Arbeitsbelegs im Jahr 2022 ausweist, wie viel Kapital in Form von Ether die Betreiberin von Netzwerkknoten für ihr korrektes Verhalten ins Risiko stellt. Sie wird dafür mit einem Zins von aktuell ca. 7% p.a. belohnt. Dieser Zins ist vergleichbar mit dem risikolosen Zins in der traditionellen Finanzwelt. Jedenfalls wird durch diesen Koordinationsmechanismus der aktuelle jährliche Stromverbrauch des Ethereum Protokolls auf geschätzt ca 0.006 TWh gesenkt.

DeFi und Zentralbanken

Anders als das Bitcoin Protokoll, das nur wenige Instruktionen beherrscht, ist das 2014 entwickelte Ethereum Protokoll ein vollwertiger Computer — der grösste der Welt! Auf ihm ist inzwischen eine eigenständige Dezentralisierte Finanzindustrie (DeFi) entstanden, die über viele, frei kombinierbare Anwendungsfälle die Funktionen der traditionellen Finanzindustrie (TradFi) replizieren kann. Prof. Fabian Schär (Uni Basel) hat das in einer bei der Federal Reserve Bank von St. Louis (USA) publizierten, weitherum beachteten Arbeit schematisch aufgezeichnet:

Diese Entwicklungen stossen in der Welt der Zentralbanken auf grosses Interesse. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat mehrere Innovationszentren gegründet, um die Möglichkeiten in Zusammenarbeit mit der Industrie weiter zu erforschen. Verschiedene Zentralbanken (darunter die SNB) experimentieren mit digitalen Zentralbankwährungen (CBDC) bzw. haben wie die chinesische Zentralbank bereits eine solche herausgegeben.

Fazit

Der Krypto Winter von 2022 hat bewiesen, dass die meisten Versprechungen der Krypto-Anhänger nicht zutreffen: Weder war Bitcoin ein Schutz gegen die im Nachgang zu Covid und dem Ukraine Krieg schnell anziehende (und aktuell wieder fallende) Inflation, noch hat es als guter Diversifikator gedient, da der Bitcoin Preis wie andere risk-on Vermögenswerte vor allem dann profitiert, wenn die Anleger wachsende Risikobereitschaft zeigen. Die aktuelle Hausse ist aus der Kombination eines technisch begründeten 4-Jahres-Zyklus (Stichwort halving) und der kürzlich erfolgten, erstmaligen Genehmigung eines Spot-Bitcoin ETFs durch die US SEC entstanden. Nichts davon widerspricht der Greater Fool Theorie. Dazu kommt, dass ein Engagement in Bitcoin den ESG Richtlinien vieler Pensionskassen widersprechen dürfte.

All dem gegenüber stehen die durchaus realen Potentiale für echte zukünftige Wertschöpfung basierend auf Krypto Technologien und Anwendungsfällen. Damit stehen wir aber noch in einem frühen Stadium der Entwicklung, das mit hohen Unwägbarkeiten behaftet ist, nicht zuletzt regulatorischer Art: Mit Ausnahmen (El Salvador, Zentralafrikanische Republik) wird sich die Staatenwelt hüten, monetäre Souveränität aus den Händen zu geben. Die Zentralbanken werden dafür sorgen, dass sie das auch nicht tun müssen.

Ein solches Risikoprofil ist somit vergleichbar mit Investitionen in Start Up-Unternehmungen. Solange eine Pensionskasse aus Risikogründen ein Venture Capital Engagement meidet, sollte sie auch keine Krypto Anlagen tätigen — sonst könnte sie plötzlich als Greater Fool dastehen.

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