PROF. HARALD WELZER/  FOTO: THOMAS LANGREDER

Checkdisout #7: Transformation Design- Interview mit Prof. Harald Welzer

Matthias Weber
Transformation Design
6 min readMar 27, 2013

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Harald Welzer ist Direktor von FUTURZWEI Stiftung Zukunftsfähigkeit, die praktische und experimentelle Strategien der gesellschaftlichen Transformation unterstützt und fördert. Außerdem ist der Soziologe und Sozialpsychologe, Professor für Transformationsdesign an der Universität Flensburg und lehrt auch Sozialpsychologie an der Universität St. Gallen.
Seine primären Forschungsfelder sind politische Psychologie, Erinnerung, Gruppengewalt und Transformationsforschung.
Foto: Thomas Langreder

Herr Prof. Dr. Welzer, Sie fordern, dass Design in Zukunft andere Ziele als nur “ständiges Wachstum” verfolgen soll. Unsere Zeit ist jedoch geprägt von Ausbeutung bei Amazon, Billigpreisen bei KIK&Co. und obsessivem Konsumverhalten. Wie realistisch ist ein radikaler Wandel in unserer Gesellschaft überhaupt?Wenn ich den Wandel für unrealistisch hielte, würde ich mich mit dem Thema nicht so ausführlich auseinandersetzen. Paradigmenwechsel brauchen keine Mehrheiten, sondern es geht um eine Veränderung der eigenen Haltung, um so etwas wie eine Bewegung. Das Design ist hier nur ein Bestandteil, die Fragen des Konsums, der Ernährung, der Mobilität usw. sind in gleicher Weise davon betroffen. Ich bin zuversichtlich, dass man in den nächsten Jahren eine soziale Bewegung erwarten kann.

Und diese wird einen Lebensstilwandel, einen kulturellen Wandel, andere Wertepräferenzen befördern. Inwieweit und wie genau sich die Entwicklung dann gesamtgesellschaftlich umsetzt, steht in den Sternen. Aber ich glaube, dass man eine Umcodierung schon in ein paar Jahren sehen können wird. Man bemerkt sie zum Teil ja jetzt schon.

Diese visionären Ideen scheinen nicht von Anfang an als Massenphänomen konzipiert zu sein. Verläuft dieser gesellschaftliche Wandel also von oben nach unten, top-down?
Das wäre ein Missverständnis. Die Entwicklung verläuft nicht von oben nach unten. Die Eliten sind ja genauso doof wie alle anderen auch, wie man an ihrem Konsumverhalten und ihren ästhetischen Präferenzen ablesen kann.

Die Bewegung verläuft viel mehr umgekehrt: die Lebensstil-veränderungen passieren Bottom-Up, von unten nach oben. Es vollzieht sich zum Beispiel gerade ein Wechsel vom ‘Besitzen’ zum ‘Benutzen’; ‘Sharing’ wird zu einer, wenn bislang auch noch in kleinen Gruppen, relevanten Bewegung. Das Nachdenken über andere Formen des Wohnens ist aktuell geworden, das Genossenschaftsprinzip erlebt gerade eine Renaissance. Diese Beispiele kommen aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen, verlaufen aber insgesamt doch eher Bottom-Up. Wenn man sich die letzten 20 Jahre anschaut, liegt doch in vielerlei Hinsicht, sowohl politisch, als auch ästhetisch, als auch auch im Hinblick auf die Deutung sozialer Prozesse, ein Elitenversagen vor. Viel weniger ein Versagen der alltäglichen Lebenspraxis als das Elitenversagen. Ich sehe es also genau umgekehrt.

Wie politisch kann - wie politisch muss Design sein?
Das Design muss genauso politisch sein, wie auch die Ausübung anderer Tätigkeiten wieder politisch werden muss. Man muss verstehen, dass das, was man tut, nicht ohne Einfluss ist. Und zwar in beiden Richtungen: Wenn ich Mainstream produziere, bewirke ich die Aufrechterhaltung des Mainstreams und des ‘business as usual’.

Wenn ich etwas Gegenläufiges mache, hat mein Handeln den entsprechenden Einfluss: es erzeugt vielleicht andere Pfadabhängigkeiten und setzt neue Modelle. Wir haben uns in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr stark angewöhnt, die politische Dimension unseres Handelns zu ignorieren.

Wir nehmen auch nicht mehr zur Kenntnis, dass Menschen in freien demokratischen Gesellschaften ihren Handlungsspielraum gestalten können und vor allem: dass das nicht gleichgültig ist. Man kann in seinem jeweils eigenen Bereich Verantwortung dafür übernehmen, wie die Welt aussehen soll. Diese Verantwortung ist das Politische. Da ist eine Designerin genauso gefordert und hat genau die gleichen Möglichkeiten wie zum Beispiel ein Lehrer, ein Architekt oder jemand, der Taxi fährt.

Früher war dann die Rede vom “Otto Normal Verbraucher”. Wie würden Sie die Verbraucher von heute beschreiben? Sind die nicht schon eher mit Flugzeug-Treibstoff unterwegs?
Zeichnen wir hier ein schematisches Bild, dann erkennen wir den Hyperkonsumenten. Dieser versteht nicht, dass nicht mehr länger er die Produkte konsumiert, sondern dass er selbst das Produkt einer Bedürfniserzeugungsindustrie geworden ist. (Die Leute glauben ja tatsächlich, dass sie nach dem iPhone 5 das iPhone 6 haben müssten.) Das ist vor allem dann eklatant, wenn man folgende Entwicklung bedenkt: die Produktzyklen werde immer kürzer, die Menge an Produkten immer größer und diversifizierter.

Menschen konsumieren letztendlich garnicht mehr, sie kaufen nur noch ein Produkt nach dem anderen. Die Phase der tatsächlichen Benutzung des Produktes wird dabei immer kürzer. Hingegen wird der Aufwand, eine Kaufentscheidung zu treffen, immer größer; die Leute beschäftigen sich ausführlich mit Preisvergleichen und Testberichten. Dieser Hyperkonsum hat sich völlig verselbstständigt: wenn zum Beispiel 30-50% der Nahrungsmittel weggeworfen werden, bedeutet das ja, dass sie gar nicht mehr konsumiert werden.

Die Menschen heute sind keine ‘Konsumenten’, sondern ‘Käufer’. Sie kaufen Nahrungsmittel, lagern die Produkte im Ökokühlschrank A++ zwischen und schmeißen sie dann weg. Der tatsächliche Konsum des Produktes fällt weg. An diesem Punkt genügt die Warenwelt sich gewissermaßen selbst: Die Menschen sind nur noch dazu da, für Umsatz zu sorgen und die Produkte in Bewegung zu halten.
Die meisten Menschen merken das aber nicht. Die Bedürfniserzeugungsindustrie arbeitet also absolut perfekt und lässt die Menschen gar nicht wahrnehmen, wie sehr sie sich durch ihre Konsumgüter belasten. Hier ist dann Folgendes passiert: die Produktwelt und die Bedürfniserzeugung haben sich so sehr verselbstständigt, dass es gegen die Interessen der Käufer funktioniert, die aber trotzdem weiter kaufen. Das finde ich faszinierend, es ist meines Erachtens neu in der Entwicklung des Kapitalismus: Das Prinzip, dass Menschen sich ihre Welt voll stellen mit Produkten, von denen sie nie gewusst haben, dass sie sie haben wollten. Trotzdem kaufen die Leute und lassen sich erdrücken von all den Dingen. Das ist eine Praxis des Dienens. Ohne jeden Zwang. Freiwillig.

Wie sähe denn ein ideeller, zukünftiger Verbraucher aus?
Der ist kein ‘Verbraucher’. Das ist ja schon ein fürchterliches Wort. Ich bin doch keine Station in einer Wertschöpfungkette, insofern würde ich mich auch nicht auf die Persona eines „Verbrauchers“ reduzieren lassen. Es gibt da den Begriff des ‘Prosumenten’: Menschen, die nicht mehr nur konsumieren, sondern auch produzieren. Die an der Stelle, wo sie etwas können, dieses Können auch einsetzen und sich nicht bei jeder Gelegenheit fremdversorgen lassen. Das ist ein Typus, der auch unter emanzipativen Gesichtspunkten interessant ist. Der Verbraucher ist ja keine emanzipative Kategorie.

‘Design’ bedeutet in der Wahrnehmung von Laien oft die schicke Aufmachung von Produkten, bestes Beispiel ist da Apple. In möglichst vielen Menschen soll das Begehren nach diesen Produkten geweckt werden, so können viele, teure Produkte verkauft werden. Was ist das Ziel von Transformation Design?

Ich glaube nicht, dass man ein allgemeingültiges Ziel formulieren kann. Interessant finde ich die paradoxe Übung, Reduktion zu designen. Das Produkt spielt dann garnicht mehr so eine große Rolle. Es geht viel umfassender um das Design einer kulturellen Praxis: Ich lasse Dinge weg, ich mache mein Leben leichter. Das ist die designerische Aufgabe.

Der andere Aspekt, den ich wichtig finde, ist, dass die Geschichte des Produkts wieder sichtbar sein muss. Modernes Produktdesign macht die Geschichte des Produktes unsichtbar. Und zwar ganz absichtlich: Der chinesische Wanderarbeiter soll bei der Nutzung des iPads nicht vorkommen, sondern es soll das reine, geschichtslose, herkunftslose, rohstofflose Produkt erscheinen. Um nun aber den Stoffwechsel, der dem Ganzen zugrunde liegt, wieder bewusstseinsfähig zu machen, muss man sich auch über eine andere Form von Gestaltung Gedanken machen. Das finde ich eine spannende Aufgabe: historisierendes Design. Im ganz zeitgenössischen Sinne, kein altertümlicher Kitsch. Es geht um die Historizität dessen, was man in der Hand hält: wie ist das entstanden? Dann würde man sich vielleicht auch nicht ständig für neue Produkte entscheiden.

Welche Projekte halten Sie für zukunftsweisend im Bereich Transformation Design und warum? Was können wir von ihnen lernen?
Ich sehe viele gute Ansätze, wie zum Beispiel den deutschen Beitrag zur letzten Architektur-Biennale, der geht genau in so eine Richtung. Ich halte die wieder aufkommenden Reparaturbetriebe und den Designpreis der Herforder Recycling-Börse für interessante Strategien. Nicht unbedingt prominente Geschichten, aber ein Paradigmenwechsel, aus dem tolle Sachen entstehen können, die genau in die reduktive Richtung und hin zu Historizität gehen.

Im Bereich der Bekleidung entwickeln sich Verfahren, die überhaupt keine neuen, ungebrauchten Materialien mehr verwenden, sondern nur gebrauchte Kleidung und Stoffe. ‘Bis es mir vom Leibe fällt’ ist so ein interessantes Projekt in Berlin, und Schmidt Takahashi ist im Bereich Modedesign spannend. Solche Dinge finde ich gut. Dieses ‘Upcycling’ von gebrauchten Produkten gibt es schon jetzt relativ viel, und ich denke, das wird etwas sein, das sich schnell verbreitet, auch in andere Bereiche hinein, ins Möbeldesign, in die Architektur. Da wird man einiges sehen.

Vielen Dank!

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