Martina geht Pakete abholen

Cis Logik in der Cis Logistik.

Juliane Röll
Transition Vignettes
3 min readNov 29, 2018

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Dezember 2017.

Ich habe zwei Pakete erhalten, eins von DHL, eins von UPS. Ich mache mich auf den Weg, die abzuholen.

Die Post in Dresden, Königsbrücker Straße. Ich gehe hier seit 15 Jahren regelmäßig hin, komplizierte Buchsendungen verschicken und Pakete einsammeln. Ich kenne hier alle, seit meiner Transition niemand mehr mich.

“Ich komme eine Sendung abholen”. Ich zücke die Benachrichtigungskarte, die Postfrau macht sich an die Suche. Sie sucht und sucht und sucht. Nach 5 Minuten hat sie den Umschlag gefunden und kommt zurück. Verwirrter, dann besorgter Gesichtsausdruck.

“Die Martina Röll sind sie aber nicht…?!”

“Hm, ja, doch, das ist das Schicksal von Transpersonen…” mache ich und bin nicht ganz froh über meine Rhetorik, aber immerhin stehe ich noch: Beim vorletzten Mal bin ich noch sehr ärgerlich geworden; beim letzten Mal habe ich aufgegeben; die Sendung ging zurück.

Meinen dgti-Ergänzungsausweis habe ich noch nicht.

“Ja, aber…” Es folgt ein langes Referat darüber, was wäre, wenn es eine Identitätsprüfungs-Sendung oder irgendein anderes unverständliches-Postzeug gewesen wäre (es handelt sich um keine solche Sendung). Ich mache dazu mitfühlende Geräusche und brumme einige Töne, die Verständnis signalisieren sollen. Ich verstehe durchaus im Groben was sie sagt, es ist hier nur nicht irrelevant.

“Ihren Ausweis haben Sie aber noch nicht geändert?”

Vorwurfsvoll klingt es. Ich bekomme Ärger, schalte das Mitfühlende aus und starre nur noch. WTF!?

Sie spricht weiter. Hinter mir stauen sich die Postkunden in der Schlange, gut in Hörweite: Ich bin jetzt vor der halben Post als trans geoutet. Mindestens 12 Menschen kennen meinen Deadname sowie meinen richtigen Namen und wissen, welcher davon in meinem Reisepass steht. Ich überlege kurz, mich auszuziehen.

Das Referat endet. Das Problem ist immer noch nicht gelöst, geschweige denn klar spezifiziert: Ich stehe am Tresen ohne dass mir irgendeine Handlungsoption angeboten wäre.

Ich sehe meine Chance, die Situation noch schlimmer zu machen.

“Ja, wissen Sie…”

Ich schwinge mich in ein Kurzreferat über die Schwierigkeiten von Transpersonen bezüglich ihrer persönlichen Ausweispapiere und ergänze um eine Erläuterung der menschenunwürdigen Grässlichkeiten des Verfahrens zur Namensänderung nach dem TSG. Sie nickt verständnisvoll. Hinter mir, in der Schlange, wiegen sich die Menschen hin und her. Die Post ist voll. Es ist Vorweihnachtszeit.

Irgendwann macht sie merkwürdige Geräusche und entschließt sich, mir mein Paket doch zu geben. Ich unterschreibe mit “M. Röll”, fühle mich gut, und mache mich auf den Weg zu UPS.

Vier Straßen weiter, im Süßigkeitenladen, der auch ein UPS-Point ist, wiederholt sich die Szene: Der UPS-Point-Mann klärt mich über irrelevantes Logistiker-Interna-Zeug auf und bietet mir keine Handlungsoption an. Als ich mich daraufhin nicht in Luft auflöse, thematisiert er meinen Ausweis (nicht geändert!) und bietet mir den wärmenden Gedanken an, es wäre doch eigentlich für alle einfacher, wenn ich einfach nicht transitioniert hätte! (Geil. Warum bin ich darauf nur noch nicht gekommen?)

Während ich noch darüber nachdenke, ob ich vielleicht detransitionieren sollte, damit UPS und DHL künftig leichter Pakete zuordnen können, fasse ich den Entschluss, so lange über Transgenderfragen zu referieren, bis ich rausgeworfen werde oder mein Paket bekomme (oder beides).

Mein Referat sitzt, Herr Lakritze wird wirklich genervt von mir, aber auch kooperationswillig. So erhalte ich mein Paket.

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