Muss ich mir im Testing Sorgen machen im agilen keine Rolle mehr zu spielen?

Viviane Hennecke
NEW IT Engineering
Published in
7 min readAug 2, 2023

Endlich Freitag! Doch Jakob sitzt immer noch völlig konzentriert an seinem Firmenlaptop. Ihm geht das letzte Meeting einfach nicht aus dem Kopf. Den Testern und Testmanagern standen die Sorgen ins Gesicht geschrieben. Vielleicht hätte er das Thema, dass im Agilen die Entwicklungsteams die Qualitätssicherung übernehmen doch etwas anders formulieren sollen. Gedankenverloren schaut er auf seine Uhr und erschrak: Er hatte die Zeit völlig vergessen und würde es nie rechtzeitig zur Firmenfeier schaffen. In Windeseile macht er sich fertig. Eine knappe Stunde später begrüßt er schon die ersten Kollegen. Die Stimmung ist super und für einen Moment vergisst er sogar, dass es eigentlich ein Event seiner Arbeit ist. Erst jetzt merkt er, wie durstig er ist und holt sich aus dem Eiskübel erstmal eine Limo, die er beinahe in einem Zug leert. Langsam spürt er, dass er sich entspannt. Er schlendert durch die Menge. Es dauert nicht lange bis er auf Elise trifft. Sie versucht die Musik zu überschallen:

„Hey, Jakob! Länger nicht gesehen, alles gut?“

Jakob überlegt nicht lange und obwohl ihm der Stress noch in den Knochen steckt, antwortet er mit einem automatischen: „Ja, alles prima und selbst?“

„Ebenso! Danke der Nachfrage“, sie hält kurz inne, bevor sie weiterredet: „Du, Jakob. Was ich dich schon längst mal fragen wollte. Wie läuft es denn mit deinen Wasserfall-Testern, die in die agilen Teams gewandert sind?“ Jakobs Lächeln verschwindet, schon ist ihm das Meeting wieder präsent: „Ach frag nicht. Ich glaube ich habe da gerade echt Mist gebaut. Sie wirkten heute extrem verunsichert.“ Elise schaut ihn mitfühlend an. Das Gefühl kennt sie nur zu gut. Sie klopft ihm auf die Schulter, während sie sagt: „So schlimm ist es bestimmt gar nicht. Soll ich uns nächste Woche einen Austauschtermin einstellen? Vielleicht hilft dir das.“ Jakob lächelt wieder, da er weiß, wie erfahren Elise in diesem Bereich ist: „Ja, das wäre echt super! Danke dir!“ Elise zeigt zur Tanzfläche: „Aber jetzt wird erst mal gefeiert und nicht mehr an die Arbeit gedacht, Deal?“ Jakob lacht: „Deal!“

Nach dem Wochenende sitzt Jakob am Montag wieder vor seinem Laptop. Pling! Die Nachricht „Elise hat das Meeting gestartet“ poppt auf Jakobs Bildschirm auf. Los geht’s.

„Hi Elise, das war ‘ne Party, oder?“ Elise schmunzelt:

„Oh ja, tolle Party! Aber lass uns direkt loslegen. Erzähl mal, was ist denn letzte Woche passiert?“

„Ich war sehr euphorisch und habe unseren Testern von der perfekten agilen Welt erzählt. Diese von der du berichtet hattest. Die Welt, in der das ganze Team Qualität im Hinterkopf behält und man quasi gar nicht mehr von Testern spricht.“

Elise unterbricht ihn: „Na, das klingt doch erst mal gut. Oder, Moment mal. Hast du nicht mit den Testern gesprochen?“

„Genau.“

„Lass mich raten, die waren weniger begeistert?“

„Ja, absolut. Ich hatte das Gefühl, dass sie Angst haben, welche Rolle sie dann noch spielen. Für sie muss es so geklungen haben, als wäre die gesamte QA-Abteilung komplett überflüssig.“

Jakob schaut etwas bedrückt. Elise überlegt einen Moment, bevor sie erwidert: „Verstehe. Hast du ihnen denn zu verstehen gegeben, dass ihre Skills immer noch benötigt werden?“

„Ne, ehrlich gesagt war ich mit der Situation etwas überfordert. Und so genau kann ich mir das auch noch nicht vorstellen, wie das funktionieren soll. Kannst du mir vielleicht helfen, sie zu überzeugen?“

„Kann ich gerne machen. Aber da brauchen wir bestimmt noch etwas länger.“ Jakob fackelt nicht lange: „Gib mir eine Sekunde. Ich sag mal eben den nächsten Termin ab. Das ist mir jetzt schon echt wichtig.“

„Alles klar, ich öffne in der Zeit eine leere Folie, um es dir direkt zu visualisieren.“

Elise beginnt: „Lass uns einmal gemeinsam überlegen, welche Skills wir aus der Qualitätssicherung kennen — egal ob in agiler oder traditioneller Softwarelieferung.“ Sie listen alle Skills auf der oberen Seite der Folie. Die Kern-Testing-Skills wie Testdesign, -durchführung und -management können sich dabei sowohl auf funktionale als auch auf nicht-funktionale Anforderungen beziehen.

Software development skills

Elise erklärt weiter: „Lass uns darunter listen, welche Rollen wir in der traditionellen Softwareentwicklung kennen, die diese Skills mitbringen.“ Die beiden ergänzen die traditionellen Rollen.

Traditional roles in software development

Elise erklärt weiter: „So und jetzt wird es spannend. In der traditionellen Entwicklung steht das Testing ja immer erst am Ende an. Es macht daher Sinn, dass wir Rollen haben, die eine sehr gezielte Expertise in diesem Bereich haben. Im Agilen hingegen ist das Ziel während des ganzen Entwicklungszyklus die Qualität im Auge zu behalten. Eine Möglichkeit wäre natürlich, dass all die Rollen, die wir dort oben aufgezählt haben, auch was über Qualitätssicherung lernen. Hast du eine Idee, warum dieser Ansatz oft scheitert?“ Jakob denkt kurz nach und antwortet dann etwas verunsichert: „Naja, ich finde waschechte Tester, die haben schon so ihren eigenen Charakter. Die, die ich so kenne haben wirklich ein gutes Auge für Qualität, nicht nur beim Fehler entdecken z.B.“ Elise hakt wieder ein: „Ja richtig, das ist das Qualitätsmindset. Können die anderen das erlernen? Sicher nicht in allen Aspekten, in gewisser Hinsicht allerdings schon. Aber wie jede Veränderung des Mindsets kann das sehr lange dauern. Und Jakob, hast du eine Idee, was der zweite Ansatz wäre?“ Jakob wird ungeduldig:

„Mensch Elise, jetzt spuck es schon aus.“

„Na gut, na gut. Wir wollen ja heute noch fertig werden. Also, der zweite Ansatz ist — Wir erweitern das Skillset unserer Testrollen. Vielleicht sagt dir das “T-Shape Konzept” etwas? Da geht es darum, dass man neben seiner schwerpunktmäßigen Skills, Skills in anderen Bereichen erlernt. Das Ganze fängt schon bei der Business Analyse an. Die Business Analyse Skills wandern zu den Testern. So kann ein traditioneller Business Analyst oder Business Tester z.B. ein (Business) Quality Engineer werden. Das funktioniert aber nur, wenn er/sie noch weitere Skills mitbringt und/oder erlernt. Kann er/sie z.B. noch UI-Testautomatisierung, Testdesign und Testdurchführung qualifiziert er sich als Business Quality Engineer. Diese Rolle ist besonders dann empfehlenswert, falls das Team mit behaviour-driven development arbeiten möchte. Vereinfacht gesagt, wenn Entwickler, Tester und Business zusammen die Anforderungen bzw. Akzeptanzkriterien schreiben, damit diese direkt für die Tests genutzt werden können. Auch bei anderer codeless Testautomatisierung, wo es auf die Fachlichkeit ankommt, kann der Business Quality Engineer zum Einsatz kommen. Bringt er dazu noch grundlegende Skills in Non-UI Testautomatisierung und Testmanagement mit könnte er ein Quality Engineer werden. Wenn der Schwerpunkt etwas anders liegt, sagen wir mal technischer, könnte er auch ein Software Development Engineer for Test — kurz: SDET — werden. Dafür müssten seine Kernskills allerdings in der Non-UI und UI-Testautomatisierung sowie bei Entwicklungsumgebungen, Daten und Service Virtualisierung liegen. Ergänzt sollten diese dann sein um Grundwissen in der Business Analyse, Operations und Release Management sowie im Development.“ Elise hält inne und schaut zur Uhr in der unteren Ecke ihres Displays:

„Du, ich sehe gerade, die Zeit läuft uns davon. Ich würde dir noch gerne eine grundlegende Überlegung mitgeben. Aber das Grundkonzept hast du verstanden, oder? Dann würde ich dir nachher noch mal eine Grafik mit weiteren Rollen schicken.“

„Ja, das Prinzip ist nun viel klarer geworden. Macht auch absolut Sinn, wenn ich so drüber nachdenke.“

„Das freut mich. Wie gesagt, noch eine Sache. Für manche Skills macht es absolut Sinn, diese in Shared Service Teams aufzuhängen. Ein gutes Beispiel ist das Umgebungsmanagement. Hier kann es z.B. Sinn machen, ein zentralisiertes Monitoring zu haben und ein Team, dass sich um die Maintenance der Umgebungen und die Umgebungsstrategie kümmert.“

Jakob bestätigt: „Okay, verstehe. Also ein anderes Beispiel: Wenn ich ein Automation-Tool benutze, kann es Sinn machen, dass dieses zentralisiert von einem Shared Service Team administriert wird, aber die Entwicklungsteams müssen selbst in der Lage sein, das Tool zu nutzen. Also habe ich Testautomatisierung Skills sowohl in den Entwicklungsteams als auch in meinem Shared Service?“ Elisa hat auf einmal ein breites Grinsen im Gesicht: „Ganz genau. Du hast es absolut richtig verstanden. Das macht immer wieder Spaß mit dir zu plaudern. Schade nur, dass die Zeit immer so schnell wegläuft. Ich muss weiter. Ich schicke dir die Übersicht nachher noch!“ Jakob muss ebenfalls grinsen. Ein bisschen stolz ist er dann doch, dass er sofort verstanden hat, was sie meint: „Sehr gut! Ich danke dir vielmals, dass du dir Zeit für mich genommen hast. Hab‘ noch einen schönen Tag.“

„Danke, du ebenfalls. Ciao!“

„Tschüss, Elise.“

Nur wenige Stunden später findet Jakob eine Mail von Elise in seinem Postfach. Er öffnet sie. Zu seiner Überraschung erinnert er sich tatsächlich noch an alles, was Elise ihm erklärt hatte. Er macht sich schnell noch ein paar Notizen, um wirklich nichts zu vergessen.

QA Role Transformation

Zeit an seinem Schlachtplan zu arbeiten, wie er das Konzept bei seinem Kunden am sinnvollsten zum Leben erwecken und die Ängste der Testkollegen beseitigen kann. Er macht noch ein großes Ausrufezeichen neben eines seiner Stichpunkte: „Mitarbeiter im Transformationsprozess mitnehmen“. Das gilt absolut auch für Mitarbeiter aus der Qualitätssicherung, denkt er sich. Hoffnungsvoll und zufrieden klappt er den Laptop zu. Feierabend für heute — diesmal pünktlich.

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