Marketing mit Mehrwert: Wie Useful Brand Experience nützliche Werbung schafft

Virtual Identity
UBX - Useful Brand Experiences
8 min readSep 13, 2019

UBX Konferenz 2017

Zum dritten Mal ging in München die Konferenz UBX17 der Frage nach, wie sich Markenerlebnisse erzeugen lassen, die dem Kunden in Erinnerung bleiben und einen echten Mehrwert stiften. UBX steht für Werbung und Marketingkampagnen, die nicht nerven, sondern dem Menschen helfen.

Mehr als 3.000 Werbebotschaften erhält jeder von uns am Tag. Das sind im theoretischen Schnitt rund 170 in der Stunde, knapp drei in der Minute. Vieles davon nimmt man schon gar nicht mehr wahr, vieles wird gar als unerwünscht oder störend bewertet. Der Werber wird so bestenfalls zum Langweiler, mutiert im schlimmsten Fall zum Stalker, der mit unerwünschten Botschaften vom Wichtigen ablenkt.

Für Unternehmen ist es in der Tat nicht mehr so einfach wie früher, innerhalb der knappen Aufmerksamkeitsspanne der Nutzer einen Platz zu finden. Doch kluge und witzige Ideen und Geschichten können dabei helfen, ins Gespräch zu kommen: zum einen, indem man als Unternehmen mit der Zielgruppe selbst in Dialog tritt, zum anderen aber auch, indem man zum Thema in den sozialen Medien (und natürlich in der realen Welt) wird. Abgesehen davon dürfen Unternehmen ihre Kunden aber auch nicht nerven — eine echte Gratwanderung, wie verschiedene Unternehmen in ihren Cases zeigten.

Ungewohntes Bild: Präsentation mit dem Overhead-Projektor

Doch zum Einstieg wurde es erst einmal hochgradig analog: Florian Kaps, der in Wien mit dem Pop-up-Restaurant Supersense eine Mischung betreibt aus Café, Bar, Concept-Store für analoge Produkte und Handwerksbetrieb, präsentierte äußerst ungewohnt: mit Leinwand, Overhead-Projektor und Folien statt mit Beamer und Power-Point oder Prezi. Doch das passte: Der Verfechter des Analogen ist vor allem dafür bekannt, dass er sich vor einigen Jahren als Retter der Sofortbildfotografie stark machte und mit seinem Unternehmen Impossible Project eine Sofortbildfabrik aufbaute. „Impossible Project“ deswegen, weil ihn sämtliche Experten und Kenner der Szene für verrückt und weltfremd hielten, als er sich zum Verfechter des Analogen und der Polaroid-Fotografie machte.

Doch als Retro-Fan mag sich Kaps so gar nicht sehen, vielmehr als jemand, der mit analogen Erlebnissen alle Sinne anspricht, nicht bloß das Hören und Sehen, das über digitale Markenerlebnisse erreicht werden kann: „Das Digitale kann systembedingt immer nur Augen und Ohren ansprechen, das Analoge dagegen kann sich an alle fünf Sinne richten.“ Das sei auch der Grund, warum viele Menschen auf der Suche nach Reizen und Dingen sind, die analog und scheinbar rückwärtsgewandt seien. „Lasst uns Marken wieder zu einem Erlebnis für alle fünf Sinne machen und ein Gemeinschaftsgefühl erzeugen.“

Tony Douglas, Marketing und Sales-Verantwortlicher bei BMW Group Mobility Services, zeigte danach auf, was die Menschen in punkto urbane Mobilität als störend oder erstrebenswert verstehen: „Der Mensch sucht den Mehrwert durch einen problemlosen Ein-Klick-Zugang zu eigentlich allem“, brachte Douglas es auf den Punkt. Die Markenwelt mit Protagonisten wie BMW, Mercedes oder Audi und die digitale Welt mit Unternehmen wie Apple, Google oder Uber bewegen sich aufeinander zu und es gehe dabei nicht mehr in erster Linie um das Besitzen von Gütern, sondern vielmehr um den unkomplizierten Zugang dazu. „Die Technologie selbst ist dabei nicht das disruptive Element, sondern die Nutzung.“ Es müsse, erklärte Douglas, vielmehr darum gehen, dass die Technik in den Hintergrund trete.

„Ministry of World Domination“ — nichts Geringeres hat der belgische Werber Polle de Maagt auf seiner Visitenkarte stehen. Er hielt den dritten Einführungsvortrag und machte deutlich, dass Werbung von rein quantitativen Zählweisen wegkommen müsse: „Es kann nicht Sinn der Sache sein, dass man Klicks auf Werbebanner zählt und das als Messlatte für den Erfolg oder Misserfolg einer Kampagne versteht“, erklärt der Werber, der eher auf aktive Erlebnisse als auf herkömmliche Werbung setzt.

Polle de Maagt rät zu proaktiver Kundenkommunikation: „Useful Brand Experience steht dafür, Menschen mit relevanten Infos und Problemlösungen zu helfen, bevor sie ahnen, dass sie diese Hilfe brauchen.“ ©Verena Voetter

Big Data als Segen und Fluch der Werbung

De Maagt arbeitet mit seiner Agentur unter anderem für die niederländische Fluggesellschaft KLM. Die hat unter anderem einen KLM-gebrandeten Stadtführer als Kofferanhänger entwickelt. Diesen „Care Tag“ erhalten Touristen, die mit KLM zum Städtetrip nach Amsterdam fliegen. „Wir müssen die Leute überraschen und mit ihnen ins Gespräch kommen“, erklärt de Maagt — und erreichen, dass sie mit einer Marke und einem Produkt etwas Positives verbinden.

Die vielen Daten, die Unternehmen über ihre Kunden erheben und auswerten, können dabei Segen und Fluch zugleich sein. Denn anders als eine Fluggesellschaft, die ihrem Stammkunden zum zehnten Mal in einem Jahr die Willkommens-Mail schicke und auch Passagieren, die am gleichen Tag den Rückflug gebucht haben, stumpf Hotelvorschläge mache, müsse ein Unternehmen mit der Macht der Daten erkennen, was der Kunde wirklich will. „Useful Brand Experience steht dafür, Menschen mit relevanten Infos und Problemlösungen zu helfen, bevor sie ahnen, dass sie diese Hilfe brauchen“, bringt es de Maagt auf den Punkt

Leuchtende Drohnen und japanisches Toilettenpapier

Wie Marketing-Cases und Werbebotschaften funktionieren, die nachhaltig in Erinnerung bleiben und einen Buzz erzeugen, das zeigten danach verschiedene Unternehmensvertreter: Mark Evans von der britischen Versicherungsgruppe Direct Line investiert Marketing-Budget lieber in Storytelling und das Lösen von Problemen der Kunden als in klassische Werbung. Denn gerade bei Versicherungen, darin ist er sich mit seinem Kollegen Bruno Kollhorst von der Techinker Krankenkasse einig, ist reine Imagewerbung auf klassischem Weg schwierig und ineffizient.

Das Unternehmen hat im ländlichen Raum in England, wo die abendliche Beleuchtung durch Straßenlaternen manchmal eher spärlich ausfällt, eine Lösung unter dem Namen Fleetlights geschaffen. Mit der kann sich der Nutzer eine mit Licht ausgestattete Drohne herbeirufen, die ihm den Heimweg beleuchtet. Die Kampagne kam nicht nur bei der Zielgruppe an, sondern auch bei den britischen Seenotrettern, denen jetzt Kameradrohnen gesponsert werden. Mark Evans ist sich sicher: „Symbolische Werbung, die eine Geschichte erzählt, wirkt — und Unternehmen sollten viel mehr mit Symbolik arbeiten.“ Und er gibt den Marketingverantwortlichen mit auf den Weg: „Schaut nach den Lücken und dem, was Menschen fehlt — und füllt diese Lücken.“

Doch das reine Bauchgefühl kann die quantitativen Verfahren in der Werbeplanung nicht ersetzen und die Technologie an sich produziert noch keinen Mehrwert für den Kunden. Das zeigt ein Case der Techniker Krankenkasse. Sie wollte die Zielgruppe der studentischen WG-Bewohner mit einer Kampagne rund um „Flat Buddies“, kleine NFC-Tags mit einer Botschaft, ansprechen — und scheiterte damit kläglich: Gerade einmal 220 Installationen und rund 700 Aktionen wurden generiert. Sie scheiterte an NFC-basierten Tags, die nur wenige Smartphones unterstützen, am Medienbruch, an nicht ausreichendem Mehrwert.

Umso sympathischer, dass Bruno Kollhorst diese Bauchlandung nicht verschweigt. Denn Trial-and-Error gehört offenbar nicht nur im Start-up-Umfeld zum guten Ton, sondern kann auch bei Großunternehmen funktionieren. Inzwischen probiert die Techniker etwas Neues aus. Sie ist die nach eigenen Angaben erste Krankenkasse in Deutschland mit einem gut funktionierenden Alexa-Skill für Meditationsübungen unter der Bezeichnung Smart Relax. Man wolle, so der Leiter Content und HR-Marketing, zusätzlich zu den klassischen Anzeigenmotiven, mit denen Krankenkassen seit vielen Jahrzehnten werben, neue Impulse schaffen und die Zielgruppen anders ansprechen.

Um eine alternative Ansprache bestimmter Zielgruppen bemüht sich auch die japanische Telefongesellschaft NTT Docomo. Sie hat das bei Ausländern beliebte Smalltalk-Thema „Japanische Toiletten“ zum Thema gemacht — und präsentiert den gerade angekommenen Reisenden auf Flughafen-Toiletten in Japan ein spezielles Toilettenpapier fürs eigene Smartphone. Das mit einer Desinfektionslösung behandelte „Clean your Phone Paper“ ermöglicht nicht nur das Reinigen des Mobilgeräts, sondern bietet gleichzeitig einen vergünstigten Zugang für das japanische Mobilfunknetz und einen Voucher für eine bei Japan-Reisenden beliebte Übersetzungs-App.

Gefragt sind vor allem ungewöhnliche Wege, wenn man ins Gespräch kommen will: Die Kampagne auf japanischen Flughafentoiletten bescherte NTT mit vergleichsweise wenig Budget hohe Markenbekanntheit unter Touristen. ©Verena Voetter

Katja Friedrich, die bei NTT Data das Industry Marketing und die digitale Kommunikation verantwortet, erklärt die Vorteile: „Wir haben gesehen, dass unsere witzige Idee nicht nur für Gesprächsstoff sorgt, sondern auch bessere Response-Werte als beispielsweise eine teure Plakatkampagne im Flughafenumfeld erzeugt.“ Die Kampagne spreche gezielt und ohne nennenswerten Streuverlust Japan-Reisende an und sei dadurch sogar vergleichsweise günstig gewesen, betont sie.

Wie die Artonomisten die Bühne erobern

Ist das Kunst oder kann das weg? — Nach der Mittagspause sind die Zuhörer zunächst etwas verunsichert angesichts des Auftritts der Schweizer Frank und Patrik Riklin, die sich als Artonomisten bezeichnen. Mit ihrer Atelier für Sonderaufgaben machen sie Kunst im öffentlichen Raum — und über die sprechen in der Tat viele. Ihre geschickte Verknüpfung von Kunst und Kommerz schafft es immer wieder in die Medien. Egal ob es ihr Null-Stern-Bunkerhotel ist oder ihre Kampagne für einen Insektizidhersteller (kein Witz!), anlässlich der sie die Bewohner von Deppendorf dazu aufforderten, Fliegen zu retten (und die „Fliege Erika“ später unter viel Medienpräsenz in St. Gallen beisetzten). „Doch, wir meinen das ernst“, betont Patrik Riklin mehrfach und macht auf eine erfrischende Art deutlich, wie Storytelling selbst in abwegig erscheinenden Themenfeldern funktionieren kann. Die beiden Brüder prägten den Begriff des Content Macheting — eine Verbindung aus Marketing und einfach Machen, der sich wie ein roter Faden durch den restlichen Tag zog.

Markenkommunikation als künstlerisches Happening: Die Schweizer Artonomisten Frank und Patrik Riklin animieren zu „Macheting — Marketing einfach machen“. ©Verena Voetter

Nach der Kaffeepause standen dann noch Doing-Sessions zu Themen wie „Zukunft der Arbeit“ „Artificial Intelligence“ oder „Content Marketing“ auf dem Programm. Hier kamen die Teilnehmer der Konferenz gut und locker ins Gespräch und die Hands-on-Sessions bildeten einen gelungenen Kontrapunkt zu den ansonsten auf dem Podium stattfindenden Slots.

Künstliche Intelligenz: Jeder spricht von etwas anderem

Einen weiten Schritt in die Zukunft ging dann noch KI-Experte Rand Hindi, der die Schluss-Keynote zum Thema „Wie Künstliche Intelligenz Technologie verschwinden lässt“ hielt. Der französische Informatiker und Unternehmer gründete sein erstes Start-up mit 14 Jahren und gehört mit seiner Beratungsfirma zu den vom MIT jährlich gewählten 35 wichtigsten Innovatoren unter 35. Hindi machte deutlich, dass die Menschen eigentlich gar nicht nach Technologie streben, sondern vielmehr an der Intelligenz der Maschinen interessiert sind, am unscheinbaren Lösen von Problemen.

Künstliche Intelligenz war eines der übergreifenden Themen, hier in der Schluss-Keynote des französischen Ausnahme-Informatikers Rand Hindi. Seine Haltung: „KI führt im Optimalfall dazu, dass Technik nicht mehr wahrnehmbar wird und verschwindet.“ ©Verena Voetter

Doch auch wenn jeder mit dem KI-Begriff etwas anfangen könne, sei der Inhalt, mit dem diese beiden Buchstaben gefüllt werden können, so vielfältig, dass ein Diskurs darüber äußerst schwierig sei. Künstliche Intelligenz, das stehe für maßgeschneiderte Kommunikation mit dem Kunden, für intelligente Datenstrategien. „Im Optimalfall wird die Künstliche Intelligenz, genauer die Lernfähigkeit von Maschinen, im Laufe der Zeit sogar dazu führen, dass Technik für den Nutzer gar nicht mehr wahrnehmbar wird, sondern verschwindet.“

Kreative Eindrücke und das Bewusstsein fürs Bauchgefühl

Doch was ist es, das diese Veranstaltung so unverwechselbar macht und dazu beiträgt, dass schon früh die rund 250 Plätze belegt sind? Es ist diese Mischung aus der Erwartung auf das Unerwartete, wie man es von Burdas DLD-Konferenz kennt, aus kreativen Erfolgsgeschichten, wie sie anlässlich der diversen Werbe- und Digital-Events erzählt werden und Panels, die, ähnlich wie bei der Re:Publica den Austausch zu faszinierenden Zukunftstechnologien ermöglichen.

Und so bleibt der Zuhörer mit einer Vielzahl an kreativen Eindrücken zurück. Und auch wenn die meisten Kommunikationsfachleute und Werber nicht ab dem folgenden Tag sämtliche Zahlenfixiertheit und gelernte Workflows über den Haufen werfen werden, vermittelte die UBX17 doch eine Orientierung zum Bauchgefühl, zu unkonventionellen Wegen in Marketing und Markenführung und zum Hinterfragen gewohnter Strategien.

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Wir verbinden Marken und Unternehmen mit der vernetzten Gesellschaft.