Wie man Verantwortung le(h)r(n)t

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DIE VERANTWORTLICHEN
3 min readDec 2, 2018

Der aus dem Altgriechischen stammende Begriff ‘Pädagogik’ kann in seiner Wortherkunft unterschiedlich gedeutet werden. In einigen Schriften wird er von ‘pais again’, was übersetzt „Führung des Knaben beziehungsweise des Kindes vom Haus zur Übungsstätte“ heisst, abgeleitet. Für andere ist die Verbindung zum Begriff ‘paidagõgiké’ und die Ergänzung ‘téchnê’, aus der sich „Erziehungskunst“ als Deutung erschliesst, entscheidend. Pädagogik ist eine Wissenschaft, die fundierte Erkenntnisse zum Thema Erziehung liefert. Im Buch Pädagogische Grundbegriffe von Dieter Lenzen wird der Pädagogikbegriff als „die Lehre, Theorie und Wissenschaft von der Erziehung und Bildung des Menschen in unterschiedlichen pädagogischen Feldern“ definiert.

Der Verantwortung kommt im Wertespektrum der personenorientierten Erziehungslehre eine beachtliche Bedeutung zu. Sie kann als fundamentaler Bezugsrahmen für alle Werte betrachtet werden. Jede Form von Verantwortung geht von der Voraussetzung aus, dass sich jedes Individuum in Beziehung zu anderen verhalten und begreifen soll, das heisst als „Mensch-in-Gemeinschaft“. Somit wird der einseitige Fokus auf die individuellen Interessen und Bedürfnisse begrenzt.

Es ist erwiesen, dass die Entwicklung der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen, im Wesentlichen von den in der Umwelt gemachten Erfahrungen, abhängt. Förderung von verantwortungsethischem Verhalten ist in Verbindung zu einer Mehrzahl von Strukturbedingungen und Umfeldeinflüssen wie auch von Beziehungsqualitäten und Wert- beziehungsweise Zielvorgaben zu betrachten. Die Entwicklung von Verantwortlichkeit als signifikanten Wert einer Persönlichkeit ist jedoch für die an einem Bildungsprozess beteiligten Akteure nicht direkt planbar. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, die beiden Determinanten eines jeden pädagogischen Prozesses, zum einen die Personen mit ihren Werten und Haltungen, zum anderen die Strukturen als allgemeine Voraussetzung für ein selbst- oder vorgestaltetes Tun, als bestimmende Momente zu deuten. Die Formen des indirekten und des impliziten Lernens gelten als elementar für den Erwerb von Verantwortlichkeit in der frühen Kindheit. Dabei verweist ‘Implizites Lernen’ auf aus gelebten Beziehungen hervorgegangene unbewusste Lernprozesse, welches dazu beitragen kann, dass sich Verhaltensdispositionen, die für die Verantwortung fundamental sind, entwickeln. ‘Indirektes Lernen’ bezieht sich auf jene (ebenfalls größtenteils unbewusste) Lernprozesse, welche durch die pädagogische Aufmachung der Umwelt animiert werden. Es kann dazu beitragen, dass Verantwortung quasi eingeübt wird.

Die beiden Formen gehen vor allem aus der Erfahrung von Zuspruch und Verbundenheit in den gelebten Beziehungen zu Erwachsenen hervor, sowie aus der Erfahrung von Gegenseitigkeit in den Beziehungen zu Gleichaltrigen. Aus der Identifizierung mit und der Imitation von Rollenvorbildern wie auch aus der Erfahrung von Autonomie und Gemeinsinn durch Mitwirkung und die Einübung von sorgsamen Betragen hervor. Sie bilden die motivationale Basis, auf der verantwortungsvolles Fühlen, Überlegen und Handeln zur Entfaltung kommen kann. Nur auf diesem Fundament aufbauend, kann der dritte Weg des Lernens, das intentionale Lernen, gelingen. Er verweist auf strategische und bewusste Lernprozesse, welche durch direkt gesteuerte Massnahmen der Erziehung freigesetzt werden. Sie können jedoch auch selbstinitiiert erfolgen, zum Beispiel durch Aufforderung, Verantwortung zu übernehmen durch Aufklärung und Dialog. Alleinig bei dieser Lernform wird Verantwortung ausdrücklich zum Thema beziehungsweise Inhalt des Lernens. Bei der gezielten Herausforderung bewussten Lernens von Verantwortung besteht allerdings das Risiko, dass diese als moralischer Aufruf oder gar als Druck wahrgenommen wird und folglich der eigene Wille, Verantwortung zu übernehmen, eher geschwächt als gestärkt wird. Das kann dadurch vermiedet werden, dass die Zumutung von Verantwortung in eine Praxis des Engagements und der Partizipation in konkreten Projekten eingegliedert ist, und speziell dadurch, dass die impliziten Lernprozesse darauf ausgerichtet sind, die Betroffenen ein Gefühl von Zusammengehörigkeit und die Anerkennung ihrer Person empfinden zu lassen.

Erziehung zur Verantwortung setzt eine gewisse Freiheit wie auch Freiräume, das heisst Entscheidungsräume voraus. Ohne sie entwickeln sich Verantwortungsfähigkeit und -bereitschaft nicht (weiter). Dabei bleibt die Verantwortung ein pädagogisches Projekt oder Ziel und ist somit keine abzurufende Haltung. Sie ist ein verhältnismäßiges, an die bisher gesammelten Erfahrungen und allgemeinen Voraussetzungen gebundenes, personales Vermögen. Verantwortungsübernahme lässt sich nicht durch Aufforderung erreichen — sei selbstverantwortlich! — sondern hat in der dialogischen Reflexion von Erfolg und Niederlage seines eigenen Handelns in selbstbestimmten Freiräumen ihren Nährboden. Eine solche Verantwortlichkeit eignet man sich einerseits durch Wissen und Reflexivität, andererseits durch Mit- und Selbstbestimmung, das heisst im Handeln und aufgrund der Erfahrung der Selbstwirksamkeit unter anderem in der politischen Gestaltung der Mitwelt, an. Demnach tangiert die Verantwortungsbefähigung in der Pädagogik insbesondere das Thema der Begleitung (Coaching, Tutoring und Mentoring) und steht in starker Verbindung zu einer fortgeschrittenen Reflexionskultur getreu der Metareflexion oder des Feedbacks.

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