Statusbericht nach 8 Wochen kollektivem Homeoffice
Es sind diese ruhigen Momente am frühen Morgen, wenn das Laptopdisplay noch dunkel ist, frische, kühle Luft durch die weit geöffneten Fenster strömt, man in der Stille der Stadt dem Krach der Tiere lauscht und für einen Moment – mit der heiß gebrühten Tasse Espresso in der Hand, den Blick aus dem Fenster schweifend – im Reinen mit sich selbst zu sein scheint.
So oder so ähnlich beginnt bei kinderlosen Millennials wahrscheinlich die achte Woche im Homeoffice, die diese verträumte Szene im Anschluss unter den Hashtags #achtsamkeit #meditation #homeoffice #dankbarkeit auf Instagram posten, um sich ihre tägliche Dosis Dopamin von ihren likenden Followern abzuholen.
Auf der anderen, der dunklen Seite des Corona-Lebens startet der Tag gegen 5 Uhr morgens in kriegsähnlichen Zuständen mit zwei kleinen, schreienden Energie-Vampieren und einem dreistelligen Ruhepuls, der die Smartwatch rot blinkend am aktuellen Lebensstil seines Trägers verzweifeln lässt. Das Konzept Homeoffice + Kinderbetreuung will auch nach 63 Tagen noch nicht so richtig funktionieren.
Wer erwartet, dass Eltern produktiv arbeiten und gleichzeitig ihre Kinder betreuen, hat entweder das Prinzip der Arbeit oder das der Kinderbetreuung nicht verstanden. Man jongliert mit der To-do-Liste, dem Telefon, den vollen Windeln, dem Homeschooling und dem Haushalt durch den Tag, um die Wünsche aller Protagonisten zu befriedigen, in der Hoffnung, es ihnen irgendwie recht zu machen. Die eigenen Bedürfnisse müssen sich ganz weit hinten anstellen.
Und so lässt sich festhalten, dass der Lockdown – und das damit verordnete Homeoffice – für jeden bei überdosis ganz individuelle kleinere oder größere Auswirkungen im Positiven wie im Negativen hat, in der es vor allem eine kräftige Portion Demut und Empathie für sein Gegenüber und der Gesellschaft als Ganzes braucht, um an dieser Situation gemeinsam und menschlich zu wachsen.
Wir meistern diese herausfordernde Zeit im Team größtenteils so unaufgeregt und souverän, dass es manchmal schon ein bisschen unheimlich wirkt. Gerade deshalb möchten wir aber auch nicht in das verzweifelte Marketing-Moloch auf LinkedIn springen, in dem Unternehmen bis zum Hals in der Scheiße steckend so tun, als ob sie im Corona-Homeoffice gerade die normalste Zeit ihres Lebens hätten und ihr Geschäftsmodell vollkommen immun gegen die aufkommenden wirtschaftlichen Herausforderungen wäre. Getreu dem Motto “The Show Must Go On” posten sie fleißig Screenshots von lachenden Kollegen im Video-Call und den 46. Leitfaden, wie man erfolgreich von zu Hause aus arbeitet und dabei ganz einfach sein Unternehmen digital transformiert.
Wie es sich im Homeoffice anfühlt
Nach acht Wochen Remote Work merken wir, dass uns bei überdosis allen der zwischenmenschliche Austausch und die vielen Situationskomiken im Büro fehlen. Diese kleinen magischen Momente, in denen wir gemeinsam über Banalitäten lachen, lassen aus unserem Büro eine nicht enden wollende Klassenfahrt werden. Das können Video-Calls und TeamSpeak-Server nicht kompensieren.
Für manche im Team bedeutet Arbeiten im Homeoffice, nicht mehr wie gewohnt mental und emotional mit seinen Aufgaben abschließen zu können, weil der Arbeitsweg als natürliche Barriere wegfällt und berufliche Situationen nun tief in das bisher schützende Habitat eindringen.
Wer zu Hause keinen eigenen Schreibtisch hat, teilt sich im ungünstigen Fall den Küchentisch mit im Essen manschenden Kindern zwischen schleudernder Waschmaschine und monoton summender Dunstabzugshaube als Arbeitsplatz – der Burn-out lässt grüßen.
Überrascht sind wir, dass die Produktivität betreffend der Arbeitszeit bei den meisten von uns nicht leidet, sondern steigt. Das passt so gar nicht zu den Vorurteilen, die man dem Homeoffice gegenüber sonst pflegt, lässt uns aber auch darüber philosophieren, welche Auswirkungen es auf das Verhältnis zur Arbeit im Allgemeinen hat.
Die asynchrone Kommunikation über Slack funktioniert bei uns wunderbar. Allerdings war der Messenger schon seit jeher das meistgenutzte Kollaborationstool im Team.
Netter Nebeneffekt von Remote Work: Jetzt, wo man sein Anliegen nicht mehr gedankenlos über den Monitor zum Sitznachbarn herüberwerfen oder schnell zu ihm an den Schreibtisch tippeln kann, gewinnt das ganze Team seine Zeitautonomie zurück.
Die neue Normalität
Schon mit dem gemeinsam gefassten Entschluss, das Büro ins kollektive Homeoffice zu schicken, stand auch die Frage im Raum, wie lange diese Situation in dieser Form Bestand haben würde. Mit jeder Diskussion darüber, wie und wann wir alle in unser Büro zurückkehren würden, stieg Stück für Stück das Bewusstsein dafür, dass es diesen einen richtigen Zeitpunkt nicht geben wird, weil die Entscheidung darüber so individuell ist, wie die Menschen, die sie betrifft. Manche haben es schon nach zwei Wochen nicht mehr zu Hause ausgehalten, andere haben sich mit der Zeit daran gewöhnt und einige können und wollen noch lange im Homeoffice bleiben.
Wenn es also das eine Datum, ab dem alle glücklich und mit gutem Gefühl wieder im Büro arbeiten, nicht gibt, stellt sich zwangsläufig die Frage, ob man es nicht jedem selbst überlassen sollte, für sich zu entscheiden, wann er wieder aus dem Homeoffice zurückkehren möchte. Damit verbunden ist auch die Diskussion, ob unsere Prozesse und unsere Unternehmenskultur dafür ausgelegt sind, dass ein kleiner oder großer Teil des Teams noch länger von zu Hause aus arbeitet, während der andere bereits wieder im Büro ist.
Ist das vielleicht sogar der Punkt, an dem wir uns dafür entscheiden, die Arbeit von unterwegs mit der Arbeit im Büro gleichzustellen? Sollte es uns in Zukunft einfach egal sein, von wo aus das Team für überdosis arbeitet? Was passiert, wenn manche für längere Zeit oder permanent im Homeoffice bleiben möchten? Welche Auswirkungen hat das auf unser Team, auf unsere Werte und Vorstellungen von Arbeit? Welche Chancen hat dieser Schritt und tastet man sich in kleinen Iterationen daran oder wagt man gleich den großen Sprung?
Wollen wir den Schritt gehen? Ja, nein, vielleicht?
Diese Entscheidung möchten wir nicht einfach aus dem Bauch heraus übers Knie brechen, vor allem weil sie das ganze Team betrifft. Wir wollen uns gemeinsam an diese Gedanken in einem Remote-Workshop herantasten. Jede Stimme ist wichtig! Vor allem muss jeder die Zeit bekommen, diese Idee und die damit verbundenen Auswirkungen für sich selbst reflektieren zu können.
Wir haben keine Ahnung, wo dieses Experiment enden kann, aber wir wären auch nicht überdosis, wenn wir es nicht einfach mal ausprobieren würden. Wir halten euch auf dem Laufenden zu diesem Thema!
Falls ihr dazu eine Meinung, Erfahrungen oder Fragen habt, immer her damit. Wir freuen uns auf den Austausch mit euch :-)