Kumbaya, Bitches!

Sandra Staub
Unter den Nägeln
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5 min readAug 24, 2019
Ein typisches Influencer-Bild, bei dem alles gestellt ist: Ein Planer, ein goldener Kuli, eine goldene Tasche. Photo by Emma

‘Wenn etwas so negative Vibes hat, dann gebe ich da keine Energie rein.’

‘Lass einfach mal die negativen Energien los, die brauchst Du doch nicht.’

‘Du musst einfach nur Strahlen, dann kommt der Erfolg von ganz allein!’

Wenn ich noch so einen Satz höre, muss ich auch was im Strahl.

Erst neulich begegnete mir so eine Kumbaya-Bitch bei IG, wo sie sich jetzt ja alle treffen. Keine Angst, auf Facebook hängen sie immer noch in Gruppen rum und erzählen sich den ganzen Tag vermutlich positive Gedanken und esoterische Zitate von toten Menschen auf Rosenfotos. Nachrichten gucken sie nicht, weil sie damit nicht klar kommen, dass diese Welt eine fucking Baustelle im Abriss ist. Da müsste man was tun, hui bäh. Nein, das will ich nicht. Ich will das gute Leben mit rosa Nagellack, sofort! Man erkennt sie übrigens auch gleich an der Angabe „Schule des Lebens“ oder „Spirit Angel“ in ihren Biografien. Das die esoterisch bis spirituell sind ist nicht mein Problem. Es ist deren. Das ist deren Weg in ihr Leben irgendeinen Sinn hinein zu zaubern. Wem es gut tut und Halt gibt, bitte gerne.

Was mich aber stört ist, dass diese Menschen mit offenbar ausgeprägter Harmoniesucht, immer perfekt sein wollen. So perfekt und makellos wie nur irgend menschenmöglich. So ideal geschminkt auf jedem Bild, auch um 6h morgens. So perfekt gestaltet in jedem Post, selbst wenn sie gerade eigentlich keine Zeit haben. So durchgestylt, vermutlich auch in ihrem restlichen Leben. Und ich gönne es ihnen aus ganzem Herzen, dass sie nur mit Dekozweigen und einem goldenen Engel auf ihrem Tisch essen. Manche werden halt leider davon ein Perfektionismus-Burnout bekommen.

Denn das sind auch die Kumbaya-Bitches, die dann anderen Leuten erklären, sie seien ja so erfolgreich, weil sie einfach positiv durchs Leben wandeln. Und wenn sie nichts Gutes zu sagen haben, dann würden sie schweigen. Daher ist es offenbar auch recht still bei denen, in ihren durchgestylten Single-Haushalten, wo sie zweimal am Tag Tagebuch schreiben und dann ein wenig mit ihrem Life-Coach arbeiten, damit sie wissen, was sie nachher in ihren Online-Kursen vertickern könnten. Ja, ich bin durchaus kritisch dem Online-Business gegenüber.

Aber keine Angst vor denen. Die kommen nie an den Start. Weil es gibt immer eine neue Trendfarbe. Eine neue App, die Du jetzt haben musst, damit dein IG Feed noch harmonischer aussieht. Eine neue Gurufrau, die Du gebucht haben musst, weil die die geilsten Strategien hat. Und wenn sie dann doch mal den Druck haben, schnödes Geld verdienen zu müssen, dann stürmen sie los und erklären uns, dass sie immer fröhlich sind. Immer. Mhm. Das heißt sie haben genauso viele originelle Gefühlsregungen wie ihre glattgebügelten IG Feeds und Stories. Null. Nada. Niente. Alles ist nur da, weil es geplant war. Alles kalendarisch. Nichts ist wirklich echt. Weil sie alles so perfekt vorbereitet haben und noch nicht an ihrem Perfektionismus erstickt sind. Gratulation.

Aber ich bin halt mal nicht jeden Tag fröhlich. Ich hab sogar Depressionen. Das kann sich so eine apricot-style Lady vermutlich gar nicht vorstellen. Da kann man nicht fröhlich in eine Kamera lächeln und so tun, als ob alles immer nur Sonnenschein wäre. Es regnet manchmal. Lange. Und dann ist es noch kalt dazu. Oder dass Beziehungen nicht nur das reine Glück sind. Oder wie sich ein Orgasmus anfühlt. Oder wie scheisse man sich fühlt, wenn ein Projekt gerade so richtig an die Wand fährt. Oder wie man sich fühlt, wenn man aufgekratzt ist, weil man gerade auf einem geilen Konzert war.

Das gibt es in ihren Feeds nicht. Nein! Das war nicht geplant, das kommt nicht vor. Alles ist immer perfekt und läuft ideal. Denn so war ihre Strategie. So war es geplant. So wird es gemacht. Reine Kunstfiguren, ohne einen Makel.

Und ich sag Dir: Das ist der größte Bullshit, den sich diese Menschen den ganzen Tag selbst vorlügen und dann was von „authentisch leben“ faseln und an ihre Pinterest Pinnwände schreiben lassen, von einer Grafikerin, die in Indien lebt und für 3 Euro pro Stunde arbeitet.

Das sie glücklich sind, wenn ihre Wohnung aussieht wie ein verlassenes Hotelzimmer? Ich habs auch gern mal aufgeräumt. Aber wo gelebt wird, fällt nun mal Dreck runter. Wo gearbeitet wird, gibt es mal Misserfolge. Ich erzähle solche Dinge meinen Freundinnen und Freunden. Gehe lange spazieren, und heule mich bei Mama aus. Weil das menschlich ist.

Das sie glücklich sind, wenn sie ihre Videos 25x drehen müssen, damit es auf jeden Fall perfekt aussieht und sie sich nie versprechen? Klar sollte man vorbereitet sein, wenn man arbeitet, aber dann würde ich nicht wegen jedem kleinen Versprecher gleich verzweifelt alles neu machen.

Das es sie zufrieden macht, wenn ihnen die Leute zujubeln für ihre positiven Vibes? Ja, kapiere ich. Das sind genau die anderen Perfektionisten, die sich alle gegenseitig Vorbild sind. Die eine mit dem weißen Feed applaudiert der mit dem pinken Feed und die vom gelb-pinken Feed applaudiert beiden und der mit dem apricot-Farbenen Feed.

Merken die überhaupt was? Sie feiern die Gleichförmigkeit und wundern sich, warum sie alle auf die gleichen Marken stehen und zur Yogalehrerinnen-Ausbildung rennen. Warum sie dreimal im Quartal zum Reiki oder zur Ostheopathie müssen, und sich nur noch von bunten Smoothies ernähren wollen. Warum sie auf jedes stylishe Accessoire im gleichen Maße hereinfallen und warum sie alle nur das gleiche Denken: ‘Positive Vibes und alles ist besser. Ich muss unbedingt auf diese tolle Weiterbildung zur Waldorf-homöopathischen Kräuterpädagogin!’ Nebenbei: Sie sind auch die perfekten Werbe-Opfer. Woher ich das weiß? Nun, sagen wir mal, ich darf aus berufsethischen Gründen keine Firmennamen nenne, aber ich hab schon einiges verkauft an die Ladies.

Bitte, mögen sie weiterhin so denken und zufrieden sein. Aber wenn sie anfangen zu predigen, wie denn das richtig gute Leben ginge, dann darf ich anmerken, dass ich nicht so gleichförmig bin und daher auch nicht auf diese gleichförmig stumpfen Rezepte anspringe.

Ich hab gute wie schlechte Tage. Ich möchte auch auf Social Media meine guten und schlechten Tage haben dürfen. Ich möchte sagen dürfen, wenn ich heute einen Tag habe, an dem ich von allem genervt bin. Ich möchte auch sagen können, das ich einen geilen Tag hatte. Ich möchte nicht auf Social Media sein, wenn mir nicht danach ist. Ich möchte auch sagen dürfen, dass ich gerade eine Krise in meinem Projekt überwunden habe und wie ich das gemacht habe. Denn daraus kann man lernen, wer ich bin. Und vielleicht kann sogar jemand daraus lernen, wie ich es gemacht habe und es dann bei sich selbst so ähnlich anwenden.

Toxische Personen sind solche, die Dir den ganzen Tag erklären, wie Du zu sein hast und warum sie dich nicht lieben können. Depressive Personen, sind Menschen, die vielleicht mal einige Tage oder Wochen, vielleicht sogar Monate nicht lachen können. Aber das heißt nicht, dass sie schlechtere Menschen sind. Wer Emotionen hat, darf sie haben und muss kein Roboter sein. Auch auf Social Media.

Und wer mich jetzt nicht mehr mag: Keine Angst, ich mochte Dich vorher schon nicht mehr. Kumbaya, Bitches!

Photo by Emma Matthews on Unsplash

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Sandra Staub
Unter den Nägeln

💻 Ex-Journalistin, Bloggerin, Autorin 👩‍💻 Social Media Contents & Funnel Marketing 🤓