Probleme im Flugzeug. Kurz hinterm Cockpit.

Sandra Staub
Unterwegs durch die Welt
5 min readNov 5, 2015

Nach langer Zeit sitze ich wieder einmal in einem Flugzeug. Business Class. Einen Sitz schräg hinter mir sitzt ein Mitmensch in seinen 60ern. Vermutlich war er noch zu jung, als die 68er loslegten. Aber er fühlt sich immer noch jung. Das zeigt sein hippes Halstuch, die coolen Wildlederschuhe und die lässige Jeans. Kaum hat er seinen Sitz eingenommen, palavert er los. Quatscht zwei Damen neben ihm voll. Was er jetzt nicht tolles in Barcelona gemacht hat. Für wen er nicht aller arbeitet. Er ist ja wer, sagt jeder Satz. Ich bekomme ein Glas Wasser gereicht. Der Herr hinten, schiebt eine Meldung über das Establishment und dass sich "die" doch immer noch alles rausnehmen, was ihnen einfach gefällt. Ich muss grinsen. Eigentlich möchte er gerne hier vorn sitzen. Tut er aber nicht. Aber reden darf er ja unbegrenzt. Es ist im Flugpreis enthalten. Also redet er weiter. Mein Umweltrecht auf Ruhe, hört auf zu existieren.
Wir starten. Noch während wir im Steigflug sind und das Anschnallzeichen leuchtet, steht er plötzlich auf. Die Chefstewardess erklärt ihm, dass er jetzt noch nicht aufstehen könne. Er insistiert, er müsse aufs Klo. Jetzt. Sofort. Umgehend. Sie erklärt ihm nochmal - dieses Mal auf Englisch - dass das nicht geht. Der Mitsechziger hat offenbar ein Prostata-Thema. Sie lässt ihn nach einigen Sekunden des Diskutierens auf die Toilette. Er kommt nach gut einer Minute heraus, schnauzt die beiden Stewardessen an, die immer noch angeschnallt dasitzen. Ich versuche es zu ignorieren. Schreibe weiter.
Drei Schritte weiter, setzt er sich auf seinen Platz. Parlavert. Regt sich im unfreiwilligen Gespräch mit den Damen neben ihm darüber auf, dass ja niemand mehr denken würde. Alle sind nur noch ferngesteuerte Ameisen. Er der Letzte, der schon immer selbst gedacht hätte. Sowas könne man ja nicht machen. Wenn jemand aufs Klo muss, dann muss er. Redet sich in Rage. Offenbar ein Dinosaurier der Denkkultur. Inzwischen haben sich die Stewardessen von den Sitzen gelöst, den Vorhang vorgeschoben, angefangen den Getränkewagen vorzubereiten. Die Damen neben dem Echauffierten stimmen ihm vorsichtig zu. Ja, alles würde immer schlimmer werden. Mir ist das Grinsen vergangen. Jetzt stört der Typ echt etwas. Ich will mich hier konzentrieren. Etwas arbeiten. Geht nicht bei dem Lautstärke-Pegel. Gerade Sätze sind da kaum möglich. Inzwischen erzählt er von seinen großen Errungenschaften an der Universität in Berlin. Er sei ja noch ein Aufrührer gewesen. Er hätte ja noch was bewirkt. Und er ist froh, dass es so war. Er, der als kleiner Tiroler Habenichts mit unglaublichem Intellekt in die große Stadt kam. Alle in der Business Class sehen sich schön langsam genervt an. Ein Geschäftsmann neben mir gibt auf. Versucht nicht mehr, die Mail fertig zu schreiben, an der er gearbeitet hat. Er bestellt sich ein Wasser. Danach einen Gin. Lächelt mit Kopfschütteln und schlägt eine Zeitschrift auf. Die Damen hinten scheinen schön langsam Geschmack an der Radiosendung zu finden, der sie offenbar zuhören müssen.
Meine Gedanken schweifen ab. Ich kann mich nicht mehr auf seine Gesprächsdichte konzentrieren. Alle 10 Sätze sind andere die Bösen. Agenturen sind alle korrupt, weil sie nur ihre eigenen Freunde bevorzugen. Selbstständig sein ist alles doof weil es nur Selbstausbeutung ist. Behörden wollen ihm persönlich das Leben schwer machen. Ich kann es ihnen nachempfinden und stelle mir für eine Minute vor, wie es sein wird, wenn wir dann landen. Das Gepäck abholen. Die zwei Damen werden dann vermutlich schon einen Sicherheitsabstand einhalten. Sich aufs Klo flüchten und erst mal 10 min abwarten, bis er weg ist.
Dann wird er jemand anders anquatschen. Wieder zustimmendes Nicken einfordern. Dann sich sicher die Loader schuld, dass er so furchtbar lange warten muss. Dass es einer der härtesten Jobs ist, ist ihm vermutlich egal. Dann wird er seinen Koffer vom Band nehmen und ein Taxi nehmen. Jemand von seinem Kaliber fährt doch nicht mit der S-Bahn. Nein, er wird sich ein Inländer-Mercedes-Taxi nehmen und nach Hause fahren. In seine tolle Wohnung in der Maxvorstadt in München. Und dann wird er mit dem Aufzug nach oben fahren, in den 5. Stock mit Traumaussicht und dann wird er alleine sein. Und niemand wird ihm mehr zuhören. Tagelang. Vielleicht wochenlang. Sein Fernseher und seine Stereoanlagen werden die Stille übertünchen. Er wird sich nur denken können, was er die letzten Stunden vom Stapel gelassen hat. Aber niemand wird ihn anrufen. Niemand wird ihn treffen. Niemand will seine Texte hören.
Bis er wieder einen Flug nimmt. Irgendwo hin fliegt und darauf hofft, dass jemand im Sitz neben ihm so freundlich ist und ihn seine Weltanschauung mitteilen lässt. Nein: Jemand der ihm nicht ins Gesicht sagt, dass es nett wäre, wenn er eben mal für zwei, drei Stunden die Klappe halten könnte. Jemand der ihm nicht klipp und klar sagt, dass er mal in sich hinein hören sollte um festzustellen, dass ihm eigentlich Freunde und Gesprächspartner fehlen. Jemand, der Bock hat auf ihn und seine Themen von “als ich damals mit Gottschalk gearbeitet habe” und so. Ich hätte es ja gemacht. Aber was hab ich "von da vorne" ihm schon zu sagen.

Einsamkeit ist grausam. Sie macht auch nicht vor den coolen Leuten halt. Oder vor denen, die mal cool waren oder glaubten cool gewesen zu sein.

Kurz vor der Landung macht der den gleichen Tanz nochmal. Er will aufs Klo. 3 Minuten vor der Landung. Steilflug. Quasi Steilvorlage. Dann während wir noch am Rollfeld sind, steht er nochmal auf. Will aufs Klo. Wird ausfallend gegenüber den Stewardessen. Ich denke kurz an eine Notlandung wegen eines renetenten Rentners. Schiebe sie gedanklich zur Seite. Er erklärt ihnen, dass sie nicht mehr fliegen werden, wenn er jetzt nicht sofort aufs WC kann. Vermutlich hat er sich verquatscht während des Flugs. “Sis is rediculus! Sis is a dumb rule. I du no follow rules.” schimpft er. Als ich endlich das Flugzeug verlasse, muss ich mir Luft machen. Dieser impertinente, geltungssüchtige Mensch in geriatrischer Vorstufe hat alle, die vorne saßen und auch alle, die an Bord gearbeitet haben, genervt. Bodenlos genervt. Einfach nur mit seiner “Persönlichkeit”. Auch der Geschäftsmann etwas weiter neben mir, hat jetzt Gesprächsbedarf zu diesem Vorfall. Stehen zusammen. Scherzen, während wir auf unsere Koffer warten. Der Nervbolzen geht zum Wachmann und fragt ihn vermutlich, ob er seinen Koffer früher bekommen könne. Er hätte ja so einen harten Flug gehabt.

Wir waren alle zu freundlich. Zu nett. Keiner hat es dem Quatschkopf ins Gesicht gesagt. Nächstes Mal, mache ich das.

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Sandra Staub
Unterwegs durch die Welt

💻 Ex-Journalistin, Bloggerin, Autorin 👩‍💻 Social Media Contents & Funnel Marketing 🤓