Chemnitz, Pegida, Wutbürger: Sachsens rechtes Problem

Hans Evert
upday DE
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3 min readAug 28, 2018

Typisch Sachsen heißt es, nachdem ein rechtsradikaler Mob durch Chemnitz zog. Rechte Probleme gibt es in der Tat zuhauf. Sachsen ist Geburtsstätte von Pegida, mächtigstes AfD-Bundesland und Heimstatt gewalttätiger Nazi-Gruppierungen. Was ist los mit dem Bundesland?

Demonstranten der rechten Szene zünden Pyrotechnik und schwenken Deutschlandfahnen in Chemnitz. Foto: Jan Woitas/dpa

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) sah sich am Dienstag genötigt, etwas eigentlich Selbstverständliches öffentlich zu äußern. “Der sächsische Staat ist handlungsfähig. Und er handelt.”

Mit Blick auf die Ereignisse in Chemnitz stimmt das nicht uneingeschränkt. Am Sonntag tobte ein rechter Mob durch die Stadt, nachdem auf dem Stadtfest ein Mann erstochen wurde (hier gib es den aktuellen Stand der Ermittlungen). Einen Tag später gab sich die Polizei vorbereitet und dennoch kam es wieder zu Unruhen, ausgehend von einer rechten Demonstration im Stadtzentrum.

Sascha Aurich schreibt in der “Freien Presse” aus Chemnitz:

Tage wie diese offenbaren die Krise, in der sich Sachsen befindet.

Ist Sachsen der Kampf gegen Rechts entglitten?

Ist der Rechtsradikalismus dem Staat in Sachsen teilweise entglitten? Wird das Problem nicht ernst genommen? In dem Bundesland gibt es zumindest seit den frühen 90er-Jahren eine unheilvolle Tradition.

Das Parteiensystem erodiert

Kommendes Jahr, im September, wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) kam vergangenes Jahr zu seinem Amt, weil sein Vorgänger Stanislaw Tillich den Hut nahm, nachdem die AfD bei der Bundestagswahl in Sachsen stärkste Kraft geworden war.

Screenshot/Quelle: Statistisches Landesamt Sachsen

Kretschmer selbst verlor 2017 sein Bundestagsdirektmandat an einen Kandidaten der AfD. Noch ist gut ein Jahr Zeit, doch aktuelle Umfragen prognostizieren der AfD in Sachsen herbe Verlust.

Ist Sachsen ein “Failed State”?

Zögerliche Staatsmacht, selbstbewusster Pöbel: Die Vorfälle in Chemnitz fügen sich in ein Bild, dass viele im Rest des Landes längst von “den Sachsen” haben. Zu recht? Ganz so einfach ist es nicht, argumentiert Antje Hermenau, langjährige Spitzenpolitikerin der Grünen in Sachsen.

Ferndiagnosen aus dem Westen über ungebildete oder benachteiligte Ostdeutsche oder einen „failed state“ Freistaat Sachsen sind so hilflos wie schädlich.

Sie schreibt über einen schleichenden Vertrauensverlust in das Funktionieren des Staates, der längst auch anderswo spürbar wird. “Die Geschäftsgrundlage für ein freiwilliges Einfügen in die Demokratie scheint für immer mehr Bürger offenbar zu entfallen.”

Der Historiker Volker Weiß urteilt weniger gnädig über Sachsen. Er sieht einen Kontrollverlust des Staates, ein jahrelanges Wegsehen von Landesregierung und Polizei als Hauptursache:

Zum Einen gibt es in Sachsen eine radikalisierte Basis von AfD und Pegida, die mittlerweile so selbstsicher ist, dass sie glaubt, die Regeln zu diktieren. Dann gibt eine Exekutive, die offensichtlich ihren Aufgaben nicht gewachsen ist.

Ein Psychogramm der Sachsen

Ähnlich wie die Bayern, pflegen die Sachsen im Vergleich zu anderen Bundesländern einen großen landsmannschaftlichen Stolz, der sich aus Tradition speist: Kultur, Bergbau, deutsches Zentrum der industriellen Revolution. Ein Reporterteam der “Zeit” widmete sich 2016 der Seele der Sachsen. Eine Erkenntnis: “Das, was man gesellschaftliche Mitte nennt, Rentner, Handwerker, Unternehmer, ist in Sachsen keineswegs ein Bollwerk gegen den Rechtsextremismus.”

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Hans Evert
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