Deniz Yücel — ein Jahr und zwei Tage in türkischer Haft

Stefan Homann
upday DE
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4 min readFeb 16, 2018

Um 14.30 Uhr am Freitag öffneten sich vor Deniz Yücel endlich die Gefängnistore. Hinter dem “Welt”-Korrespondenten liegen 367 Tage in türkischer Untersuchungshaft — fast nur unter strenger Isolation. Eine Zeit, die auch die deutsch-türkischen Beziehungen schwer belastete. Wie geht es jetzt weiter? upday mit den wichtigsten Storys, Analysen und Reaktionen.

Endlich frei! Deniz Yücel nach seiner Entlassung in Istanbul. Foto: Can Erok/DHA-Depo Photos/AP/dpa

Am 14. Februar 2017 wurde Deniz Yücel festgenommen, nachdem er sich selbst der Polizei zu einer Befragung gestellt hatte. Der Vorwurf der Behörden: „Propaganda für eine Terrororganisation“ und „Aufstachelung des Volkes zu Hass und Feindseligkeit“. Am Freitagmittag schrieb seine Frau Dilek auf Twitter: „Endlich!!! Endlich!!! Endlich!!!! Deniz ist frei”. Sein Anwalt Veysel Ok postete ein Foto, wie die beiden sich in die Arme schließen — zum ersten Mal seit einem Jahr VOR den Mauern des Gefängnisses Silivri bei Istanbul.

Bis zuletzt gab es keine Anklage gegen Deniz Yücel. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete nun, die Staatsanwaltschaft habe schließlich doch noch eine offizielle Anklageschrift vorgelegt und darin bis zu 18 Jahre Haft gefordert. Das Gericht habe sie angenommen und Yücel danach aus der U-Haft entlassen. Eine Ausreisesperre wurde nicht verhängt. Das heißt: Deniz Yücel darf die Türkei verlassen.

Die Erleichterung ist groß. In die Reaktionen mischen sich auch Mahnungen, die vielen weiter in der Türkei aus politischen Gründen inhaftierten Menschen nicht zu vergessen.

“Ich freue mich natürlich für ihn, ich freue mich für seine Frau und die Familie, die ja ein sehr, sehr schwieriges Jahr der Trennung aushalten mussten.”
Angela Merkel (CDU), Bundeskanzlerin

“Das ist ein guter Tag für uns alle”,
Sigmar Gabriel (SPD), Außenminister

„Wir freuen uns und sind unendlich erleichtert, dass Deniz Yücel nach mehr als einem Jahr in Haft endlich frei sein wird. Ich möchte allen danken, die mit unermüdlicher Energie für ihn da waren und sich für seine Freilassung stark gemacht haben — seinen Kollegen, seinen Freunden, der Bundesregierung und dort vor allem Sigmar Gabriel.”
Dr. Mathias Döpfner, Vorstandsvorsitzender der Axel Springer SE

Festnahme, Untersuchungshaft, Überstellung ins Hochsicherheitsgefängnis — lange Zeit gab es keine positiven Nachrichten im Fall Deniz Yücel. Erst im Dezember wurde er aus der Isolationshaft verlegt. Die Bundesregierung setzte sich jedoch sofort für den deutsch-türkischen Journalisten ein, bezog auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für ihn Stellung. “Deutsche Welle” dokumentiert die Ereignisse in einer Chronologie.

Die entscheidenden Gespräche dürften aber auf anderer Ebene geführt worden sein. So hatte Außenminister Sigmar Gabriel immer wieder auf eine Beschleunigung des Verfahrens gedrungen. Der türkische Premierminister Binali Yildirim machte noch in dieser Woche im Interview mit den “Tagesthemen” Hoffnung auf eine baldige Freilassung. Kanzlerin Angela Merkel hatte die Inhaftierung Yücels als “Bürde” für die deutsch-türkischen Beziehungen bezeichnet. Beim Besuch Yildirims im Kanzleramt zeichnete sich dann allerdings eine Annäherung ab:

“Schmutzige Deals” für seine Freilassung jedenfalls hatte Deniz Yücel vehement abgelehnt. Er wolle seine Freilassung nicht „mit Panzergeschäften (…) befleckt wissen”, auch wolle er nicht gegen Gülen-Anhänger ausgetauscht werden, nach denen die Türkei fahndet. Außenminister Gabriel hatte gesagt, Deutschland habe eine große Zahl von Rüstungsexporten in die Türkei nicht genehmigt. Und dabei wird es auch bleiben, “solange der Fall Yücel nicht gelöst ist”.

Unter dem Hashtag #FreeDeniz setzten sich viele Unterstützer für Deniz Yücel ein. Das Fachmagazin “medium” widmete auch ihnen den Preis “Journalist des Jahres 2017”, den es Deniz Yücel verlieh. Die Jury sprach von einem “beharrlichen Kampf für das Recht auf freie Meinungsäußerung und für die vollständige Freilassung der in der Türkei zu Unrecht inhaftierten Kollegen und Kolleginnen”.

Eine von ihnen war die Journalistin Mesale Tolu, die ebenfalls sieben Monate inhaftiert war. Bei “SPIEGEL ONLINE” beschreibt sie, warum Journalisten es in der Türkei so schwer haben, warum ihre Arbeit der tägliche Ausnahmezustand ist — und warum sie meint, dass Willkür, Schikane und Einschüchterungsversuche hinter dem Verfahren gegen Deniz Yücel stecken.

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