Fahren ohne Ticket: Ist das überhaupt umsetzbar?

Thomas Kieschnick
upday DE
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3 min readFeb 14, 2018

Die Passage eines Briefes der Bundesregierung an Brüssel sorgt für Aufregung: Demnach erwägt Deutschland, ÖPNV kostenfrei anzubieten, zunächst in ausgewählten Städten. Das Vorhaben wird kontrovers diskutiert. Was sind die Argumente für freies Fahren mit Bus und Bahn, was spricht dagegen? Und welche Erfahrungen haben andere Städte in Europa gemacht? upday behält den Überblick.

Bald kostenfrei? Eine Straßenbahn rauscht in Frankfurt über den Main. Foto: Frank Rumpenhorst/dpa

Worum geht’s?

Die Bundesregierung steht unter Druck. Weil die Stickoxide in deutschen Städten die Grenzwerte deutlich überschreiten, drohen eine EU-Klage und Fahrverbote für schmutzige Diesel. Um die EU-Kommission milde zu stimmen, legte Deutschland nun einen Maßnahmenkatalog vor. Ein Punkt: Es wird erwogen, den ÖPNV kostenlos zu machen. Mittlerweile sah sich das Umweltministerium zu einer Art Dementi gezwungen. Beendet ist die Diskussion damit aber nicht.

Das Argument dafür scheint denkbar simpel: Wenn mehr Menschen Bus und Bahn nutzen, fahren weniger Schmutzdiesel durch die Stadt. Doch hat sich die Bundesregierung da nicht verrechnet?

Ganz neu ist die Idee übrigens nicht. Bereits 2015 forderte die damalige Fraktion der Piratenpartei im Berliner Abgeordnetenhaus, den Berliner Nahverkehr kostenfrei anzubieten. Der Vorschlag der Partei wurde deutlich überstimmt. Jetzt schreiben sich die Piraten auf die Fahnen, die ersten gewesen zu sein:

Pro und Contra

Warum für die Nutzung von Bus und Bahn zahlen, wenn man auf öffentlichen Straßen kostenfrei zum Zielort gelangen kann? Die Pläne der Bundesregierung sollen dieses Argument zahlreicher Auto-Pendler nun entkräften und den ÖPNV aus öffentlicher Hand finanzieren. Zu Recht, kommentiert “Süddeutsche.de.” Denn öffentliche Straßen und deutsche Autobauer wurden bislang mit Milliarden finanziert. Eine Lösung für Verkehrskollaps und Luftverschmutzung brachte dies aber nicht.

Für die “WELT” sind die Pläne des Bundes zu kurz gedacht. Busse und Bahnen könnten das gestiegene Passagieraufkommen in den Großstädten schon jetzt kaum stemmen. Wäre die Benutzung kostenlos, müssten sich künftig noch mehr Menschen in überfüllte U-Bahnen quetschen. Und ohne die Einnahmen aus den Ticketverkäufen würde das notwendige Geld für Investitionen in marode Schienennetze und moderne Verkehrsmittel fehlen. Fraglich ist auch, ob die Stadtluft durch die Maßnahme überhaupt besser wird.

Welche Erfahrungen haben andere Länder?

Ganz so revolutionär sind die Pläne der Bundesregierung nicht. In einigen europäischen Ländern gibt es bereits Kommunen, in denen keine Tickets mehr für Straßenbahn, Bus und Metro gekauft werden müssen. Als erste europäische Großstadt führte das estnische Tallinn 2013 einen kostenlosen Nahverkehr ein. Mit Erfolg: Der ÖPNV verzeichnete deutliche Zuwachsraten, das Angebot wird nun sogar auf Regionalzüge ausgeweitet. “FAZ.NET” war zu Besuch.

Andere Pilotprojekte in Europa und den USA wurden schon wieder eingestellt . Im belgischen Hasselt konnten Busse von 1997 bis 2014 kostenfrei genutzt werden. Die Fahrgastzahlen schnellten um ein Vielfaches nach oben. Doch am Ende blieb das Finanzierungsproblem. Eine ähnliche Erfahrung machten auch Seattle und Portland in den Vereinigten Staaten.

Freiheit für Schwarzfahrer?

Rund 5000 Menschen sitzen gegenwärtig in Deutschland in Haft, weil sie “schwarz gefahren” sind. Die Benutzung öffentlicher Nahverkehrsmittel gilt in Deutschland als Straftat (Erschleichen einer Dienstleistung). Das Gesetz stand in den letzten Monaten in der Kritik, denn die Strafe gilt als überzogen und die Inhaftierten kosten jedes Jahr Steuermillionen. Der kostenfreie ÖPNV könnte hier Abhilfe schaffen.

Weil er kein Ticket für sein Fahrrad in der Berliner U-Bahn löste, saß ein Autor von “VICE” für sechs Wochen im Knast. In der JVA Plötzensee gab es sogar einen ganzen Flügel, in dem nur Schwarzfahrer unterkamen. Wie sich ein Gefängnis-Aufenthalt wegen einer Lappalie anfühlt, lest ihr hier:

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Thomas Kieschnick
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