Hetzjagd oder nicht? Neue Debatte über Chemnitz

Hans Evert
upday DE
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3 min readSep 7, 2018

Haben in Chemnitz rechte Demonstranten “Hetzjagd” auf Migranten betrieben? Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) verneinte dies in seiner Regierungserklärung. Verfassungschutzpräsident Hans-Georg Maaßen schürt die Debatte mit Bemerkungen über ein Video nun weiter.

Chemnitz: Rechte Demonstranten stehen vor dem Karl-Marx-Monument. Foto: Jan Woitas/dpa

Wie der Begriff in die Debatte kam

Einer der ersten, die von Hetzjagd sprachen, war Regierungssprecher Steffen Seibert am 27. August, zwei Tage nach der ersten rechten Demonstration in Chemnitz:

„Solche Zusammenrottungen, Hetzjagden auf Menschen anderen Aussehens, anderer Herkunft, oder der Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin.“ (Steffen Seibert am 27. August)

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) lehnte in seiner Regierungserklärung den Begriff ab.

“Es gab keinen Mob, es gab keine Hetzjagd und es gab keine Pogrome in dieser Stadt.” (Michael Kretschmer am 5. September)

In der selben Rede sprach Kretschmer auch davon, dass der Rechtsextremismus die “größte Gefahr für die Demokratie” sei.

Der erste, der dem Begriff Hetzjagd prominent widersprach, war der Chefredakteur der Chemnitzer “Freien Presse”. Es wurde “Menschen über kurze Distanz nachgestellt”, schrieb Torsten Kleditzsch am 30. August. “Insofern wäre der Begriff ‘Jagdszene‘ noch gerechtfertigt.”

Was Maaßens Äußerungen brisant macht

Dass Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, nun auch sagt, es habe keine Hetzjagd gegeben, wirft Fragen auf. Maaßen widerspricht damit zum einen der Verlautbarung der Bundesregierung in Person ihres Sprechers Steffen Seibert. Zum anderen geht Maaßen noch einen Schritt weiter und legt nahe, jenes Video, auf das bisher als Beleg für Hetzjagden verwiesen wurde, sei womöglich eine Fälschung.

Das Video wurde von einem — vermutlich — Antifa-Blog verbreitet und zigfach geteilt und angesehen:

Wörtlich sagt Maaßen über das Video:

“Nach meiner vorsichtigen Bewertung sprechen gute Gründe dafür, dass es sich um eine gezielte Falschinformation handelt, um möglicherweise die Öffentlichkeit von dem Mord in Chemnitz abzulenken (Hans-Georg Maaßen am 7. September)

Ist das Video eine Fälschung?

“T-Online” hat das Video analysiert — und kommt zu dem Schluss: Eine gezielte Fälschung sei nur “schwer vorstellbar”.

Sollte dies so sein, hätte Maaßen ein Problem, weil er dann als Chef einer Ermittlungsbehörde schlicht Unsinn erzählt hätte. Politiker aller Parteien – außer der AfD – dringen jetzt auf eine Erklärung von Maaßen, einige fordern seinen Rücktritt.

Hetzjagd oder nicht: Was genau ist in Chemnitz passiert?

120 Ermittlungsverfahren leitete die Generalstaatsanwaltschaft Dresden nach den Ausschreitungen in Chemnitz ein. Unzweifelhaft haben rechtsextreme Demonstranten gepöbelt, gedroht und den Hitlergruß gezeigt. Problematisch für die Polizei: Vor allem die Vorfälle von der Zusammenrottung am Sonntag (26. August) nach dem Stadtfest, auf dem Daniel H. erstochen wurde, lassen sich nur schwer ermitteln. Die “Stuttgarter Zeitung” mit einer ausführlichen Übersicht:

“Jagdszenen” oder doch “Hetzjagd”, lohnt die Diskussion darüber? Unbedingt, meint Jens Voss von der “Rheinischen Post”. “Denn die Sprache ist eine Göttin: unser Weg in die Wahrheit. Die Sprache ist aber leider auch ein Hure: nutzbar für jedes schmutzige Ziel.”

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Hans Evert
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