Bayern: Politisches Erdbeben bis nach Berlin?

Thomas Kieschnick
upday DE
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4 min readOct 12, 2018

Der CSU droht bei der Landtagswahl eine historische Klatsche. Wie eine künftige Landesregierung aussehen kann, ist völlig offen. Klar scheint nur, dass es in Bayern eine Machtverschiebung geben wird – und das hat auch Auswirkungen auf Angela Merkel.

Trachtenträger bei der Bundestagswahl 2017 im bayerischen Wössen. Foto: Sven Hoppe/dpa

2013 war die Welt für die CSU in Bayern noch in Ordnung: Unter dem Spitzenkandidaten Horst Seehofer erreichten die Christsozialen stattliche 47,7 Prozent — absolute Mehrheit, Alleinherrschaft. Fünf Jahre später prophezeien die Meinungsforscher der CSU ein Ergebnis von weniger als 34 Prozent — auch wenn noch fast die Hälfte der Wahlberechtigten angibt, unentschlossen zu sein. Seit Wochen werden Schuldige für die desaströsen Zahlen gesucht. Angela Merkel? Horst Seehofer? Markus Söder? Oder gar die Zugezogenen?

Erschüttert das Bayern-Beben auch die Hauptstadt?

Der Urnengang in Bayern wird auch im politischen Berlin aufmerksam verfolgt. In den letzten Monaten war es der CSU-Politiker Horst Seehofer, der mehrfach den Koalitionsfrieden brach (Maaßen-Affäre, Migrations-Masterplan, etc). Wird die CSU für Seehofers Bundespolitik abgestraft? Oder setzt eine Wahlniederlage vielmehr Kanzlerin Angela Merkel weiter unter Druck?

Eine Wahlschlappe für die CSU könnte Angela Merkel am Ende sogar nutzen. “Angela Merkel käme es sehr zu Pass, sollte die Schwesterpartei einen herben Dämpfer abbekommen”, schreibt der “STERN”.

Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) sieht hingegen Angela Merkel insgesamt geschwächt. Der Ausgang der Bayernwahl dürfte zu Erschütterungen führen, auch wenn Schäuble bundespolitisch zunächst keine Konsequenzen sieht.

Schäuble erwartet “größere Veränderungen” und will sogar einen Rückzug Merkels nicht ausschließen. Konsequenzen dürfte es aber erst nach der Wahl in Hessen am 28. Oktober geben.

Die Grünen auf Rekordkurs

Bayern ist aber nicht (mehr) nur die CSU. In den letzten Umfragen kratzen die Grünen an der 20-Prozent-Marke. Im konservativen Bayern gilt die Partei mittlerweile als “anschlussfähig”. Sicherlich: Die Grünen profitieren von einer erstarkten Partei im Bund und dem Frust der liberalen und konservativen Wähler mit Union und SPD. Doch die beiden bayerischen Spitzenkandidaten Ludwig Hartmann und Katharina Schulze haben einen starken Wahlkampf geführt.

Bayern ist anders…

Was vielen Bundesbürger als Binsenwahrheit gilt, manifestiert sich seit Jahrzehnten bei den Landtagswahlen. Dass die Union in Bayern als CSU antritt und seit 60 Jahren — mit einer Ausnahme — stets die absolute Mehrheit einholte, ist gemeinhin bekannt. Doch darüber hinaus gibt es weitere Besonderheiten:

  • DIE LINKE saß noch nie im Münchner Maximilaneum, dem Sitz des bayerischen Landtags. Aktuelle Umfragen sehen die Partei jedoch bei 4,5 Prozent. Warum die “Krümelpartei” nun doch die bayerische Politik aufmischen könnte, lest ihr HIER .
  • Freie Wer? Die FREIEN WÄHLER zogen erstmals 2008 in den bayerischen Landtag ein und sind bislang in keinem anderen Landesparlament vertreten. 2018 könnte die Partei hinter den Grünen drittstärkste Kraft werden. Der Grund: Viele konservative Wähler wurden durch die harschen Töne der CSU in der Migrationsdebatte vergrault, schreibt ZEIT ONLINE.
  • Fünftstärkste Kraft, einstelliges Wahlergebnis: Dieser Albtraum könnte für die SPD in Bayern am Sonntag wahr werden. Stark waren die Sozialdemokraten in Bayern nie, doch diesmal droht eine Halbierung der 20,6 Prozent bei der Landtagswahl 2013. Warum es für die SPD 2018 in Bayern besonders schwierig ist, lest ihr HIER .
  • Als sicher gilt, dass die AfD in den bayerischen Landtag einzieht — es wäre das 15. Landesparlament in Deutschland. Laut Umfrage könnte die Partei drittstärkste Kraft werden, auch wenn sie mit 14 Prozent leicht unterhalb des Bundestrends liegt. Insbesondere im Osten Bayerns hat die AfD viele Unterstützer. DIE WELT hat hat vor Ort Ursachenforschung betrieben.
  • Von der Regierungsverantwortung bis 2013 aus dem Parlament, jetzt der Kampf mit der Fünfprozent-Hürde und vielleicht sogar Koalitionsverhandlungen: Tatsächlich ist die Entwicklung der FDP in Bayern ähnlich zu der der Bundespartei. Auch ihre jüngsten Erfolge hat die FDP einem jungen, charismatischen Politiker zu verdanken: Martin Hagen, der “Bayern-Lindner”. Süddeutsche.de hat ihn porträtiert.

CSU könnte sogar aus der Regierung fliegen

Theoretisch wäre es möglich, dass die CSU am Sonntag sogar aus der Regierung fliegt. Eine Koalition aus Grünen, Freien Wählern, SPD und FDP dürfte aber auch in der kommenden Woche nur von besonders spitzfindigen Kommentatoren diskutiert werden. Doch mit wem soll die CSU koalieren, wenn die absolute Mehrheit flöten geht? Eine Regierungsbildung mit den Grünen dürfte schwierig werden. Ein Bündnis mit Freien Wählern und FDP birgt Instabilität. ‘Zeit Online’ hat alle Szenarien durchgespielt:

Welche Themen die Wahl entscheiden…

Auch wenn man es sich im Jahr 2018 kaum noch vorstellen kann: Die Flüchtlings- und Asylpolitik war keineswegs das einzige Themen im bayerischen Landtagswahlkampf: Bezahlbarer Wohnraum in den Ballungsgebieten, Flächenfraß und Umweltschutz, Kosten für Kita und Pflege. Die Positionen der Parteien hat der Bayerische Rundfunk zusammengefasst:

Bayerische Idylle im TV— Wo sich alle Parteien einig sind

“Das ist wirklich jämmerlich.” (Verena Lueken, FAZ-Filmkritikerin)

Bayern ist schöner, besser, lebenswerter. Durchweg alle Parteien haben in ihrem Wahlkampf an die bayerische Identität appelliert. In den TV-Spots werden alle Stereotype bedient: Berge, Wiesen, Seen, Bier, Blasmusik, und und und… Die Film-Kritiker der ‘Frankfurter Allgemeinen Zeitung’ haben sich die Videos einmal ganz genau angeschaut.

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Thomas Kieschnick
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