Chemnitz: Sachsens hässliches Antlitz
Samstagnacht kam ein 35-Jähriger bei einem Messerangriff auf dem Stadtfest ums Leben. Tags darauf zogen hunderte Rechte pöbelnd durch die Straßen von Chemnitz. Die Polizei ist überrumpelt, die Bundesregierung spricht von einer “Hetzjagd”. Was braut sich in Südwestsachsen zusammen?
Was bisher bekannt ist: Am Montagnachmittag ordnete das Amtsgericht Chemnitz Haftbefehl gegen zwei junge Männer aus Syrien und Irak wegen gemeinschaftlichen Totschlags. Sie werden verdächtigt, am Sonnabend einen 35-jährigen Deutschen auf dem Chemnitzer Stadtfest durch Messerstiche tödlich verletzt zu haben. Ermittlungen zu Motiv und Tathergang dauern noch an, so die Polizei.
Die Tathintergründe sind weiterhin unklar. Dennoch machten im Netz noch am Samstag Gerüchte die Runde, die in Chemnitz auf fruchtbaren Boden fielen. Wie etwa die Meldung, dass der Auseinandersetzung auf dem Stadtfest die sexuelle Belästigung einer Frau voranging. Das dementierte die Polizei Sachsen:
Am Sonntag zogen der Polizei zufolge bis zu 800 Menschen durch die Chemnitzer Innenstadt. Sie sollen Parolen wie “Ausländer raus” und “Wir sind das Volk” skandiert, ausländisch aussehende Menschen verfolgt sowie Polizisten mit Flaschen attackiert haben. Die Polizei hatte zunächst Schwierigkeiten, die Situation unter Kontrolle zu bringen. Am Sonntagnachmittag brachen die Organisatoren das Stadtfest vorzeitig ab, fünf Stunden vor seinem geplanten Ende.
Videos zu den Szenen, bei denen mutmaßlich Rechtsextreme Jagd auf Menschen machten, die sie als Fremde ausmachten, kursieren auch im Netz.
Politiker reagieren mit Entsetzen auf die Szenen. Chemnitz’ Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) verurteilte die Entwicklungen aufs Schärfste. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) bezeichnete die rechte Stimmungsmache als “widerlich”. Und Regierungssprecher Steffen Seibert sprach von einer “Hetzjagd”: “Solche Zusammenrottungen oder den Versuch, Hass auf den Straßen zu verbreiten, das nehmen wir nicht hin.“
Ein Mob gegen Zuwanderer: Viele Beobachter erinnern die Bilder aus Chemnitz an vergangene Vorfälle, die sich häufig ebenfalls in Sachsen abspielten. So schreibt Mathias Meisner im “Tagesspiegel”:
Der rechte Aufmarsch am Sonntag, noch bevor viel zum Tötungsdelikt klar war, erinnerte viele an die Ausschreitungen gegen Ausländer 1991 in Hoyerswerda, 1992 in Rostock-Lichtenhagen sowie die gewalttätigen Proteste gegen Flüchtlinge 2015 im sächsischen Heidenau.
Tatsächlich belegen Zahlen, dass Chemnitz eine Hochburg rechter Straftaten ist. Während die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Straftaten in den vergangenen Jahren im Bundesland Sachsen abnahm, erhöhte sie sich in Chemnitz zwischen 2015 und 2017 von 150 auf 191 Delikte.
Wer steckt hinter der rechten Stimmungsmache? Dem Aufruf der AfD zur Spontankundgebung am Sonntag folgten etwa 100 Personen. Drahtzieher der offen gewaltsamen Randale sind hingegen offenbar rechte Ultra-Fußballfans der Gruppierung “Kaotic Chemnitz”. “11 Freunde” zur Geschichte der Chemnitzer Hooligan-Szene.