Ullrichs tiefer Fall: Was bleibt von einer Legende?

Eva Tepest
upday DE
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4 min readAug 8, 2018

Der ehemalige Radprofi Jan Ullrich ist bis heute für Millionen Menschen ein Idol — dabei macht er seit Jahren mit Negativschlagzeilen auf sich aufmerksam. Ein weiterer trauriger Höhepunkt erfolgte nun auf Mallorca: Dort randalierte Ullrich auf dem Anwesen des befreundeten Schauspielers Til Schweiger — und wurde zwischenzeitlich festgenommen. Kriegt Ullrich noch die Kurve?

Jan Ullrich beim Verlassen des Gerichtsgebäudes in Palma de Mallorca. Foto: Kay Kirchwitz/STARPRESS/dpa

Eklat auf Malle: Im Suff brach Jan Ullrich auf das Grundstück von Freund und Nachbar Till Schweiger ein, randalierte und bedrohte einen Besucher des Schauspielers. Schweiger rief die Polizei, die den bisher einzigen deutschen Tour-de-France-Sieger zwischenzeitlich festnahm. Der zeigt sich ernüchtert. Noch diese Woche will er eine Therapie beginnen.

Es ist der bisherige Tiefpunkt für den Mann, der sich vor rund zwanzig Jahren in die Herzen einer ganzen Nation radelte. Bei seiner zweiten Tour de France wird Ullrich zum Helden — die entscheidende Etappe in Andorra ist Radsportgeschichte. Sein Toursieg löst in Deutschland einen Radsportboom aus.

Für Ullrich ist damit der Karriere-Höhepunkt bereits erreicht. Denn bald darauf taucht ein Mann auf, der in den nächsten Jahren unbesiegbar sein wird: Lance Armstrong gewinnt die Tour sieben Jahre in Folge — von 1999 bis 2005. Ulrich bleibt der ewige Zweite — und damit durchaus zufrieden. Die beiden begegnen sich immer sportlich-fair. Nach dem Zwischenfall auf Mallorca bot Armstrong nun sogar an, dem deutschen Ex-Rivalen im Privatjet zur Hilfe zu eilen.

Dem US-Amerikaner wurden 2012 alle seine Tour-Siege wegen Dopings aberkannt. Dem gingen jahrelange Enthüllungen voran, die schließlich auch Ullrich, unmittelbar vor dem Start der Tour 2006, des Dopings überführten. Den Radsport stürzten die vielen Skandale in eine tiefe Krise — Armstrong aber kann in den USA weiter von seinem Status als Sportheld profitieren.

Für den Rostocker hingegen ging es im Zuge der Doping-Enthüllungen, die er jahrelang bestreiten sollte, bergab. Nach seinem Rücktritt aus dem Profiradsport am 26. Februar 2007 machte er vornehmlich durch Alkohol- und Drogenabstürze auf sich aufmerksam. Fahrerflucht nach einem unter Alkoholeinfluss verursachten Unfall hatte er schon 2002 begangen. Danach werden seine Abstürze immer tiefer: 2014 baut er den nächsten Unfall, rast in der Schweiz bei überhöhter Geschwindigkeit und mit 1,8 Promille und Valium im Körper in zwei Autos; zwei Menschen werden verletzt. Flüchtet schließlich nach Mallorca, wo er weiter exzessiv Drogen und Alkohol konsumiert. Bis ihn seine Familie verlässt und er mit einem Besenstiel bewaffnet in den Garten von Schweigers Finca einbricht.

Wie konnte es zum tiefen Fall Ullrichs kommen? Er selbst rechtfertigt seine Eskapaden damit, dass er an ADHS leide — chemische Drogen würden ihm helfen, mit seiner Krankheit umzugehen. Die Sport-Psychologin Marion Sulprizio sieht das anders: Ullrich habe den Verlust des Profisports nie überwunden.

Ob Ullrich nun in Ungnade fällt? Bisher taten all seine Eskapaden seiner Beliebtheit kaum einen Abbruch. Der junge Mann mit dem Goldohrring hat sich offenbar einen nostalgischen Platz im Herzen vieler gesichert, die Sonnenstunde um Sonnenstunde damit zubrachten, ihm bei langwierigen Bergetappen zuzuschauen. Das glaubt zumindest Johannes Ehrmann, der sich bei “ZEIT ONLINE” erinnert — an die langen Sommer mit Ulle.

Was haben wir alle an Lebenszeit an ihn verloren, an Ulle, unseren strampelnden Superhelden, wie viele kostbare Stunden an heißen Julitagen im abgedunkelten Wohnzimmer. Während draußen Menschen zum See fuhren, Eis essen gingen, sich verliebten, ja: lebten!, lagen wir apathisch herum und sahen der ewig gleichen Superzeitlupe zu, die eine Tour-Etappe darstellt. Alpen, Pyrenäen, Zentralmassiv, egal, endlose Anstiege im Peloton, rasende Abfahrten und Ortsdurchquerungen, dann schon der nächste Pass.

Archivbild: Jan Ullrich nach dem Tour-Sieg 1997 bei seinem Empfang in Bonn (28.07.1997). Foto: Bongarts/Getty Images

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Eva Tepest
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Mobile Editor bei Upday Deutschland, evatepest.de, Twitter @EvaTepest