WM in Russland: Kann man das guten Gewissens gucken?
Die Kriege in der Ukraine und in Syrien, Wladimir Putins Provokationen gegen den Westen, die Unterdrückung kritischer Stimmen: Mit Russland hat die Fußball-WM 2018 einen fragwürdigen Gastgeber. Doch nicht nur die Politik des Gastgebers stößt vielen auf, auch der Fußballweltverband FIFA wird seit Jahren von Korruptionsaffären erschüttert. Wie vertretbar ist die WM aus moralischer Sicht?
Boykott — ja oder nein?
Im April riefen 60 Europaabgeordnete aus 16 Ländern dazu auf, sich dem Boykott von Großbritannien und Island anzuschließen, die keine Regierungsvertreter zur Fußball-WM nach Russland schicken werden. Damals erschütterte die Skripal-Affäre das Verhältnis zwischen Moskau und London. In dem Schreiben der Abgeordneten hieß es unter anderem:
“Der Giftgasanschlag in Salisbury ist nur das neueste Kapitel von Wladimir Putins Verhöhnung unserer europäischen Werte.”
Der britische Außenminister Boris Johnson ging sogar so weit, eine WM-Visite mit dem Besuch der Olympischen Spiele in Hitler-Deutschland zu vergleichen. Jenseits solcher Polemik gibt es viele Faktoren, die für einen Boykott sprechen.
Wie der DFB um Haltung ringt
Deutschland ist Titelverteidiger und einer der Favoriten auf den Titel, das Turnier in Russland dementsprechend wichtig für den DFB. Zugleich versucht der Fußballverband den Spagat zwischen vielbeschworener Konzentration aufs Sportliche einerseits ohne dabei andererseits die politischen Umstände zu ignorieren. DFB-Chef Reinhard Grindel steht wie kein zweiter für diesen Zwiespalt. “Wie viel Kritik an den Zuständen in Russland kann er sich erlauben? Wie viel Nähe wirkt anbiedernd?”, schreibt Stefan Herrmanns im “Tagesspiegel”.
Ausbeutung beim Bau der WM-Stadien
Beim Bau des Stadions in Sankt Petersburg wurden Arbeiter aus Nordkorea ausgebeutet. Internationale Organisationen sprechen von „Sklavenarbeit”. Die Arbeiter sollen teilweise in Unterkünften ohne Wasser, Heizungen oder sonstige sanitäre Anlagen untergebracht gewesen sein, ohne Verträge gearbeitet und nicht oder nur spät bezahlt worden sein. Auf den russischen WM-Baustellen soll es mindestens zwölf Tote gegeben haben.
WM ignorieren oder mitfiebern?
In einem Kommentar für “Zeit Online” schreibt Fußball-Reporter Steffen Dobbert, warum diese WM die erste seit 1990 ist, die er boykottieren wird.
Mir ist die Lust am Fußballfest vergangen. Aus zwei Gründen: Die Fifa als WM-Organisator hat ihre Glaubwürdigkeit verloren, und Russland sich als WM-Gastgeber diskreditiert.
Neben der russischen Rolle im Syrien-Krieg sei es vor allem der Krieg in der Ukraine, in dem bislang mehr als 10.000 Menschen starben, der es ihm unmöglich mache, die Fußball-WM in diesem Jahr mit Freude zu verfolgen. Sportliche Großereignisse, so der Autor, würde Präsident Wladimir Putin regelmäßig als Propaganda-Bühne nutzen.
Die Probleme, die ein WM-Gastgeber Russland heraufbeschwört, ignoriert auch Peter von Becker im “Tagesspiegel” nicht. Er findet, Politiker sollten nicht zur WM reisen und dadurch Präsident Putin aufwerten. Aber genießen sollten wir das Turnier dennoch, schreibt er. Denn das Spiel sei “ schöner, aufregender und letztlich größer als die dahinter oder daneben stehenden Funktionäre.”
Und wie sauber ist eigentlich die Fifa?
Gleich mehrere Korruptionsaffären erschütterten die Fifa in den vergangenen Jahren. Zehn der 24 Mitglieder der Exekutive des Verbands stehen mittlerweile unter dem Verdacht der Korruption. In einem Bericht des New Yorker Bundesstaatsanwalts Michael J. Garcia, der als Vorsitzender der ermittelnden Kammer der Ethikkommission ab 2012 die Vorwürfe untersuchte, finden sich viele Hinweise auf Korruption. Die Fifa veröffentlichte den Report nur auf Druck.