Redaktionsorganisation: Kann PR vom Journalismus lernen?

Anita Haak
Wandel in Kommunikation und Marketing

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Medienneutralität. Plattformunabhängiges Publizieren. Integrierte Kommunikation. Schlagworte, die man kennen sollte, wenn man sich heute mit der PR beschäftigt. Im Journalismus lautet die Herausforderung „Crossmedia”. In beiden Feldern kommt es zu Umstrukturierungen der Organisationsformen, etwa die Einrichtung von Newsrooms. Doch wie sieht es in der Realität aus? Wie arbeiten journalistische Redaktionen heute? Welche Veränderungen und Konzepte gibt es in den Kommunikationsabteilungen der Unternehmen? Wir berichten über die Erfahrungen zweier Experten zu diesem Thema.

Marie-Christine Schindler ist diplomierte PR-Beraterin mit langjähriger Erfahrung. Sie war sowohl in einer PR-Agentur als auch in der Lehre tätig. Die Co-Autorin des Bestsellers „PR im Social Web“ ist nun selbständige PR-Beraterin in Zürich.

Klaus Meier ist Professor für Journalistik an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und hat zahlreiche Studien und Forschungen zu Newsrooms in Redaktionen durchgeführt.

Stichwort Newsroom. Worum geht es?

Ein Newsroom ist zunächst ein großer Arbeitsraum, in dem Redakteure und PR-Schaffende arbeiten und alle Medienkanäle zusammenlaufen. Newsroomkonzepte fanden schon lange bei Tageszeitungen großen Anklang, da so ressortübergreifend gearbeitet werden konnte. Man begann, das Blatt als Ganzes zu sehen und in Teams themenübergreifend zu arbeiten. Heute spielt die Vielfalt der Medien und deren Konvergenz eine immer größere Rolle.

In Unternehmen ist die Organisation der PR typischerweise zielgruppenorientiert und auf die entsprechenden Kanäle fixiert. Bislang gab es einzelne Teams, die für die Kommunikation mit der Zielgruppe verantwortlich waren, beispielsweise für Media Relations, Investor Relations oder Mitarbeiterkommunikation. Mit der Entwicklung zahlreicher neuer Medienkanäle stoßen diese Strukturen an Grenzen, und es geht nun darum, Themen als Content zentral zu bündeln und spezifisch über die Kanäle an die Zielgruppen zu publizieren.

Marie-Christine Schindler

“Rücken wir ein paar Tische zusammen und stellen Monitore davor! ist reiner Aktionismus.”

Ist da Strategie drin?

Kommunikation läuft in vielen Unternehmen auf zwei Schienen, sagt Marie-Christine Schindler. Auf der einen Seite wird an der klassischen PR festgehalten, auf der anderen Seite wird durchaus die Notwenigkeit erkannt, die alten Strukturen aufzulösen, um den sich verändernden Anforderungen der Medienarbeit gerecht zu werden. Kommt sie als Beraterin in Unternehmen, schaut sie sich die internen Machtstrukturen an, analysiert die Situation und die Historie der bisherigen Kommunikation. Das Unternehmen muss sich die Fragen stellen: Was ist unsere eigene Identität? Was sind unsere Ziele? Wofür stehen wir? Darauf aufbauend werden dann die Themen gesetzt. Diese Grundlagen müssen in den Köpfen der Mitarbeiter reifen, um eine Umstrukturierung erfolgreich zu machen. Man kann weder einen Hebel von heute auf morgen umlegen, noch top-down die Ziele vorgeben. Es braucht vor allem Zeit, und die Idee muss von allen PR-Akteuren getragen werden. „Rücken wir ein paar Tische zusammen zusammen und stellen Monitore davor” ist reiner Aktionismus und führt allein nicht zum Erfolg, meint Schindler. Es gilt, die Mitarbeiter davon zu überzeugen, sich zu beteiligen. Dafür braucht es eine klare Strategie. Allerdings, so sieht es Schindler, „ist nicht überall Strategie drin, wo auch Strategie drauf steht”. Ein gutes Konzept kann entstehen, wenn viele Mitarbeiter ins Boot geholt werden und Synergien ausgenutzt werden. Themenübergreifende Bearbeitung im Team steht im Fokus. Die Besinnung auf das Wesentliche der PR ist essentiell: „Bei Öffentlichkeitsarbeit geht es darum, gegenseitige Interessen in Einklang zu bringen.”

Auch in der journalistischen Redaktion muss sich die Arbeitsorganisation verändern. Hinter den Kanälen stehen verschiedene Zielgruppen, und die Redaktion muss entscheiden, welche Themenmischung mit welcher Sprache und Stilistik bedient wird. Gerade im Online-Bereich kommt es zur themenorientierten Konferenzstruktur und Redaktionsplanung, dabei müssen Qualitätsaspekte berücksichtigt werden: Was ist unsere Geschichte hinter dem Thema? Wie gehen wir die an? Was wollen wir wissen? Klaus Meier sieht die Medienneutralität in der Recherche und in der Planung. In der Umsetzung muss die Medienspezifik der einzelnen Kanäle berücksichtigt werden. Hier soll der Newsroom die Arbeitsweise unterstützen: Hinter dem Konzept des Newsrooms steht, so Meier, „das Ziel, dass man mehr Teamarbeit möchte, dass man weniger Einzelkämpfer hat und Synergien findet durch Zusammenarbeit.” Es sei eine Frage der Arbeitskultur, ob man sich die gemeinsame Planung auch bewusst macht. Dafür braucht es auch in den Redaktionen die Ideen und Vorschläge der Mitarbeiter, die sich dann mit der Leitidee „Newsroom” besser identifizieren können.

Change-Management als Schlüssel für den Wandel

Wie bringt man eine Redaktion oder eine Kommunikationsabteilung dazu, ein Konzept umzusetzen? In diesem Zusammenhang spielt das Change-Management eine wichtige Rolle, also die Gestaltung des Organisationswandels. In den PR-Abteilungen fand das bisher weniger statt und wird nun aus anderen Bereichen übertragen. Nach Schindler gehört es zum Wandel, dass die Mitarbeiter sich „räumlich verschieben“ sollten, damit eine Veränderung im Kopf stattfinden kann. Deshalb sind Newsrooms so wichtig. Meier spricht in diesem Zusammenhang noch einmal explizit über Mitarbeiter: „Man versucht, möglichst viele Mitarbeiter mitzunehmen. Deren Sorgen vor räumlicher und organisatorischer Veränderung werden bewusst aufgenommen und in das Konzept eingearbeitet.“ So werden die konzeptionellen Ideen von der Mitarbeiterschaft mitentwickelt und nicht von oben herab entschieden. Dies führt auch zu einer besseren Akzeptanz des Konzepts innerhalb des Teams, wie auch zur besseren Gewöhnung an neue Arbeitsweisen, die damit einhergehen. Viele müssen durch die Einführung eines Newsrooms neue Aufgaben erledigen — ein neuer Arbeitsalltag entsteht. Hinzu kommen fachlich neue Anforderungen: Ein PR-Akteur muss seine Kompetenzen immer weiterentwickeln. So sind in den letzten zehn Jahren etwa Beispiel die Bereiche Online und Social-Media, sowie Technologie und Multimedialität stark in den Fokus gerückt. Der Alltag des Einzelnen ist dadurch hektischer, aber auch vielfältiger geworden, findet Schindler.

Klaus Meier

“Wenn Budgetkürzung die Hauptvorgabe ist, dann ist das Konzept Newsroom von Anfang an zum Scheitern verurteilt!”

Was sagen die Skeptiker?

Diese Vielfältigkeit der Aufgaben und die permanente Ansprechbarkeit werden allerdings von einigen Mitarbeitern als Verschlechterung der Arbeitskultur empfunden. Zeitdruck, mehr Tätigkeiten, neue Aufgaben — diese Faktoren können überfordern und führen mitunter zu Anspannung und Konzentrationsschwäche. Jedoch ist dies kein Massenphänomen. Es betrifft Einzelfälle, auf die das Change-Management eingehen muss. Nicht nur durch die Mitarbeiter können Risiken entstehen. Hier sind sich beide Experten einig. Ein ebenso großes Risiko ist die falsche Strategie, sowie der falsche Grund für die Einführung eines Newsrooms. Das muss allen Beteiligten klar gemacht werden. Häufig kommt von Verlegern oder Geschäftsführern die Vorgabe, die Abteilung umzustrukturieren, da weniger Budget und Personal zur Verfügung steht: der Newsroom soll Geld sparen. Meier ist überzeugt: „Wenn das die Hauptvorgabe wäre, dann wäre das Konzept eigentlich schon von Anfang an zum Scheitern verurteilt.“ Auch darf dadurch der Blick für das Ganze nicht verloren gehen. „Man muss zwischendurch einen Schritt aus dem Getümmel machen und sich bewusst werden: Was wollen wir erreichen? Welche Themen wollen wir setzen?”, empfiehlt Schindler, „wenn man sich mit den vielen Kanälen und Möglichkeiten verzettelt, oder sich zu sehr auf neue Möglichkeiten einschießt, wie zum Beispiel, Snapchat oder Periscope, was ja letztlich immer wieder nur Kanäle und Anwendungen sind. Dann verlieren wir den Blick auf das Ganze und bewegen uns zu sehr vom Inhalt weg.”

Setzt ein Newsroom die Herausforderungen von plattformunabhängigem bzw. medienneutralem Publizieren um?

Es gibt kein Patentrezept für den Aufbau einer Redaktion oder einer Kommunikationsabteilung. Jedes Unternehmen muss eine Lösung für sich finden, die zu seinen Strukturen und seiner Unternehmenskultur passt. Vor der Umstrukturierung hin zu einem Newsroom hat sich eine Abteilung auf einen Kanal oder eine Stakeholder-Gruppe fixiert. Jetzt wird versucht, das Übergreifende zu stärken, wobei nicht immer während des kompletten Ablaufs durchgehend neutral gearbeitet wird. Meier sieht eher ein medienneutrales Recherchieren und Planen. Letztendlich werden in einem Newsroom die Themen plattformspezifisch erst dann aufbereitet: „Um es auf den Punkt zu bringen: Medienneutralität [als Begriff] heißt für mich eher (…) das Kind mit dem Bad ausschütten. Vorher hatten wir eine 100 prozentige Fixierung einer Redaktion auf einen Kanal. Jetzt forciert man das Übergreifende, aber das heißt nicht, dass von vorne bis hinten komplett neutral gearbeitet wird.”

tl;dr

Seit einigen Jahren wird das Newsroomkonzept in Redaktionen umgesetzt, und auch immer mehr Kommunikationsateilungen in Unternehmen setzen darauf. Gewünscht ist eine Strategie, um die verschiedenen Medienkanäle bestmöglich zu bespielen. Change-Manager beraten und begleiten Unternehmen bei dieser Umstrukturierung. Mitarbeiter müssen ihre Ideen und Ängste äußern, denn nur wenn diese berücksichtigt und eingearbeitet werden, ist das Konzept erfolgreich umgesetzt. Ein Patentrezept für Unternehmen ist unmöglich, da sehr viele individuelle Faktoren zu vielfältigen Konzepten führen.

Übrigens: Marie-Christine Schindler hat uns noch mehr Fragen beantwortet und schreibt auf ihrer Website darüber.

Originally published at www.pr-fundsachen.de on December 4, 2015.

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