Modernes Webdevelopment — mach dich nicht verrückt

sascha fuchs
webdevs.xyz
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5 min readOct 26, 2016
Image from AJ Yorio

Als ich 1992 mit dem World Wide Web angefangen habe, da war die Welt noch einfach gestrickt. Ein Browser und rudimentäres HTML. Der Zauber bestand aus Text mit einigen Links, den Hyperlinks. Nerds der 90er waren halt einfach zufrieden zu stellen. Später wurden Layouts mit Tabellen erstellt, Webworker nannten sich Webmaster. 1994 fing es an das man Style vom Rest der Seite abgekoppelt hat, dank CSS. 1996 verbreitete sich Javascript über Netscape und IE3, damals aber mehr in der Rolle von „Popup Öffnern“ und einigen Effekten. Die Welt war einfach, man hat das beste draus gemacht, man hat auch geflucht und man hat auf neuen „Spielkram“ gehofft. So richtig hat man damals aber auch nicht ahnen können wohin das alles noch führen wird.

Ich schätze mal bis 2010 haben die meisten ihr CSS noch in einem Rutsch runter geschrieben. Einige haben da schon Precompiler wie Sass oder Less genutzt (ich selbst seit 2009). Javascript führte trotz AJAX noch ein Nischendasein, da es vom allgemeinen Dogma „Webseiten müssen ohne Javascript funktionieren!“ ausgebremst wurde (das war aber kein all zu großes Drama, die logische Funktionalität hat man ja mit Server Side Languages kompensiert).

Mit der Verbreitung vom HTML5 änderten sich aber die Spielregeln. Javascript wurde zu einer der tragenden Säulen und hat man sich mehr und mehr ausgetobt an unterschiedlichen Scripte wie Slider, Lightboxen, Modals und Co. Ja die Javascript Welt wurde mächtig, sogar noch mächtiger als man herausfand wie man Javascript auf der Server-Seite verwenden kann.

Aber so tief will ich jetzt gar nicht rein, ich selbst komme aus dem Frontend. Es war cool, sogar richtig cool. Endlich kann man sich austoben ohne ständig diese Angst im Nacken zu haben „Was ist wenn der Nutzer Javascript deaktiviert?“. Dann hat der Nutzer halt Pech wenn er das macht, Screenreader und die Suchmaschinen kommen mit Javascript ja klar, also hält uns nichts mehr auf. Oder doch? Vielleicht doch unser Ego?

Als Frontendler vermeidet man Berufsbeschreibungen wie „Programmieren“. Eigentlich schaut man ja auf zu den großen Programmierern der C oder Java Szene — oder schauen die auf einen runter. Man beschreibt seinen eigenen Job mehr mit „Coden“, den Begriff Programmieren vermeidet man. Man macht sich klein, vielleicht weil man den eigenen Job nicht so krass komplex ansieht. Vielleicht war es eine Frage der Zeit bis man die Methoden der „großen“ adaptiert hat, vielleicht wollte man aber dem eigenen Job mehr Substanz verleihen.

Über den Sinn eines Git-Workflows braucht man nicht zu streiten — gibt aber bestimmt immer noch welche die „fummeln“ an der Produktivseite mit FTP herum. Wir brauchen auch nicht über den Sinn der Modularisierung zu diskutieren. Es gibt viele Methoden und Prinzipien, die ihren Sinn haben. Aber es gibt auch immer mehr Themen die führen am Job vorbei.

Der Frontend Bereich explodiert förmlich mit neuen Frameworks, Methodologien, Tools, Gadgets, Ideen und Ansätzen die alles besser machen wollen. Gefühlsmässig sind wir dabei noch am Anfang, da die Quote der „Neuerungen“ jedes Jahr eher zunimmt. Klar das sorgt auch für den Spaß in unserem Job, für mich ist das sogar der ausschlaggebende Punkt — es tut sich was. Nichts ist schlimmer als Stillstand.

Aber irgendwie ist es auch zu viel. Ich kann Neulingen nachfühlen, die jetzt panisch schreien „Was soll ich lernen? Wo fang ich an?“, da ich mich auch erst seit diesem Jahr intensiv mit Javascript beschäftige. Kaum hast du dir das eine angeschaut, wird die nächste Sau durchs Dorf getrieben, noch mal schneller, noch mal Geiler, noch mal Cooler — nur unterm Strich kochen alle nur mit Wasser. Wer nicht grade in Large Scale Projekten unterwegs ist, für den wird es technisch kaum ein Unterschied machen ob man Vue, React oder Angular als Javascript Framework verwendet — da entscheidet eher der eigene Geschmack und wie gut man damit zurecht kommt.

Nur wird nicht nur in Javascript ständig eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Auch der CSS Bereich ist davon betroffen, weniger funktionell, mehr theoretischer Natur. Wir fangen an zu Philosophieren über den Sinn einer neuen CSS Methodologie, die aus dem CSS noch bessere Objekte zaubert. Und so diskutieren wir immer öfter ob X nun ein Object, einen Component, Atom oder doch vielleicht ein Element ist. Das machen wir ziemlich häufig. Wir adaptieren Methoden aus Large Scale Projekten, die mit wesentlich mehr Budget zum Leben erweckt werden und das auch wesentlich mehr Helferlein besitzt die man unter einen Hut bekommen muss.

Die Welt besteht nur nicht nur aus Large Scale, der Großteil besteht aus einfachen Webseiten. Komplex kann es auch werden, aber in der Regel hält es sich im Rahmen. Natürlich ist es von Vorteil das ein oder andere von den ganz großen Projekten zu adaptieren. High Traffic jenseits der Millionen Views sind für viele Seiten eher Wunschdenken, und so ist die meiste Motivation dem eigenen Ego zuzuschreiben. Der Kunde wird dir nicht den Kopf tätscheln wenn du stolz verkündest, das du mit der neusten CSS Methodologie 20kb eingespart hast oder das du mit Webpack 2 noch mal 50kb am Javascript einsparen konntest. Es ist dein eigenes Ego das dir am Ende auf die Schulter klopft, den Chef vielleicht aber aus anderen Gründen.

Artist: Jorge Cham

Ich mach das ja selbst auch, mach mir meine Gedanken wie es besser geht, wie man noch mehr Performance heraus kitzeln kann und freue mir ein Loch ins Knie weil mein CSS noch mal kleiner geworden ist. Nur manchmal ignoriert man bewusst die Zeit die man dafür geopfert hat, es geht schon einiges an Zeit verloren alles Modular zu halten, die Struktur zu erstellen, das Naming so abstrakt wie möglich zu halten. Man muss die Vorgehensweise mal mit der Vergleichen die man vor fünf oder vier Jahren angewandt hat, da war man meist schneller am Ziel (wir reden hier wohlgemerkt nicht von der Zeit die man noch in der Freizeit dranhängt, nur um einige Ecken und Kanten im Projekt abzurunden).

Das heißt jetzt nicht das es vor fünf Jahren besser war, nur hat man damals nicht lang und breit über den Sinn eines Klassennamens diskutiert. Und so ist die Webwelt heute eben aufgefüllt mit Dramen, neuen Dogmen und einem häufigen lauten Aufstöhnen wenn der nächste „HotShit“ durch die Sozialen Netzwerke getrieben wird.

Auch wenn ich die Webwelt heute eher hektisch empfinde, ist es für mich der beste Job der Welt, denn hier kann ich bestimmen welche Mittel und Wege ich einsetze um ein Ziel zu erreichen. Das ist ein Luxus den man nicht in jedem Job hat. Mir macht es daher auch heute noch Spaß, vielleicht liegt das aber auch am Alter, da springt man nicht gleich bei jeder Neuheit sofort los, aber ich bin dennoch niemals träge. Dafür bin ich auch viel zu Neugierig.

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sascha fuchs
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Software Engineer, Nerd, Code Yoda, Gamer, Star Wars Geek