Genug Arbeit für Idealisten

Alexandra Polič
#wegoyugo jpr13
Published in
3 min readOct 29, 2015

Entscheidungen in Bosnien werden nicht immer zugunsten des Volkes gefällt. Deshalb hat sich das “Centar za istraživačko novinarstvo” in Sarajevo dem investigativen Journalismus verschrieben. Über die Reise an einen Ort, an dem die Aufklärungsarbeit schwerer wiegt als das Geld.

von Alexandra Polič und Benjamin Barteder

“Gabrielle Moreno Locatellii 11” lautet die Adresse, an der wir in 50 Minuten ankommen sollen. 27 Minuten Gehweg sagt uns das Navigationssystem voraus. “Nur nicht die zweite Brücke passieren”, warnt uns die Rezeptionistin des Marriott Hotel in Sarajevo. “Das ist zu nah, ich fahre euch nicht”, erklärt uns der Taxifahrer auf Bosnisch. “Google!”, rät uns ein Polizist. “Immer geradeaus” deutet uns eine Passantin. “Hierher!”, winkt uns Chefredakteurin Renata Radić-Dragić in ihre Richtung, nachdem sich unsere hilfesuchenden Blicke treffen. Eine Stunde später als geplant betreten wir das Redaktionsgebäude von CIN.

Die CIN-Redaktion bekam kürzlich den Srđan-Aleksić-Preis überreicht. Ⓒ Jessica Braunegger

Auch der Journalismus ist manchmal eine Odyssee. Die beiden Journalistinnen Milica Brčkalo und Wevewa Ghurilović wandern derzeit — bildlich gesprochen — von Tür zu Tür ihrer Interviewpartner, um an Informationen aus erster Hand für ihre Geschichten zu gelangen. Sie sind zwei von insgesamt 20 Journalistinnen und Journalisten, die heute bei CIN beschäftigt sind. Sieben von ihnen nehmen an einem Tisch Platz, um von ihren beruflichen Herausforderungen und der Zukunft des Journalismus in Bosnien zu erzählen.

“Die besten Geschichten sind jene, in denen wir soziale Ungerechtigkeiten aufzeigen können.”

Die Geschichte von CIN begann mit Hilfe aus dem Ausland. Zwei amerikanische Journalisten, die als Medienberater für lokale Projekte zuständig waren, gründeten das Zentrum. Sie hatten die Idee, ein Center für investigativen Journalismus aufzubauen, das als Trainingszentrum für Journalisten fungieren sollte. Nach einem Jahr fiel die Entscheidung, das Center als solches beizubehalten. Vergangene Woche jährte sich diese Entscheidung bereits zum elften Mal. In diesen Jahren haben die Publikationen von CIN Ex-Premierminister Nedzad Branković gestürzt, korrupte Netzwerke am Energiemarkt ausgehoben und illegale Privatisierungen aufgedeckt. “Die besten Geschichten sind jene, in denen wir soziale Ungerechtigkeiten aufzeigen können”, sagt Azhar Kalamujić und bezieht sich dabei auch auf die Arbeitslosenquote von über 40 Prozent in Bosnien und Herzegowina.

Boris Mrkela übersetzt die Ansichten von Redakteur Azhar Kalamujić. Ⓒ Marion Kirbis

Dass bei CIN Idealismus trotzdem gelebt werden kann, liegt daran, dass das Unternehmen eine Non-Profit-Organisation ist. Die Storys bekommen internationale und nationale Abnehmer wie Der Spiegel, The Guardian oder Oslobođenje unentgeltlich, solange sie die Quelle nennen. Die Kosten dafür werden durch Fördergelder, unter anderem von der EU, gedeckt.

Werbung gibt es auch beim Online-Auftritt keine, Anzeigenkunden oder Politiker muss hier niemand zufriedenstellen. Auch wenn das unter Umständen in fehlender Auskunftsbereitschaft resultiert; so geschehen bei Ex-Premier Branković, als CIN ihn einige Jahre nach seinem Rücktritt kontaktierte, um an Informationen für einen neuen Fall zu gelangen. “Are you kidding me?”, hieß es dann, bevor in der Leitung das Freizeichen ertönte.

Die besten Geschichten finden ihren Weg in das zweisprachige Print-Produkt. Ⓒ Jessica Braunegger

Bosnier vertrauen Menschen, die Uniformen und Anzüge tragen: eine Vorstellung, die sich im sozialistischen Jugoslawien in den Köpfen verfestigt hat und bis heute anhält, erklärt die Redaktion. Doch CIN deckt auf, was Menschen in Machtpositionen versuchen zu verheimlichen. Mit ihrer Arbeit wollen sie vor allem Menschen erreichen, die Entscheidungen treffen, das Land verändern können. Die Organisation stellt sich damit einer Aufgabe, die auch in Zukunft nicht an Bedeutung verlieren wird. Denn obwohl immer weniger Geld vorhanden ist, bleibt die Korruption ein ständiger Begleiter der Medienwelt. Die Odyssee des Investigativjournalismus in Bosnien ist somit noch lange nicht abgeschlossen.

--

--

Alexandra Polič
#wegoyugo jpr13

Austrian journalist in constant progress. Currently discovering Chile.