Illustration des ehemaligen Jugoslawiens. © Lisa Maria Klaffinger

Nation Branding ohne Nation

Warum Bosnien und Herzegowina nicht an seinem Image bastelt

Pia Unger
Published in
6 min readNov 19, 2015

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Wie sich ein Land nach außen hin darstellt und wie es außerhalb seiner Grenzen wahrgenommen wird, ist abhängig von vielen Faktoren. Die Geschichte einer Nation beispielsweise prägt ihre Bevölkerung. Handelt es sich um eine alte Nation, die Kriege überdauert und Konflikte überstanden hat, spiegelt sich das zumeist in der Bevölkerung wider. Nationalstolz kann nicht erschaffen werden. Er muss zumindest teilweise vorhanden sein, damit Nation Branding, der Versuch, mit Marketingtechniken ein bestimmtes Staatsimage zu schaffen, überhaupt Sinn macht. Denn die Bevölkerung ist es, die das kreierte Bild nach außen hin weiterträgt und widerspiegeln sollte. Nach innen gerichtetes Nation Branding zielt daher darauf ab, die Bewohner des eigenen Landes zu einen, Selbstbild und Nationalstolz zu stärken. Erst dann macht das Branden nach außen hin Sinn.

Brüderlichkeit und Einheit
Länder wie die Ex-Jugoslawiens blicken auf eine außergewöhnliche Geschichte zurück. Was einst vereint und gleich war, ist heute in viele einzelne Staaten zerfallen. Eine Tatsache, die nicht nur geographisch, sondern auch für die Menschen dieser Staaten gilt. Zu Zeiten Jugoslawiens war das Selbstbild der Menschen ein anderes als nach dem Zerfall: „Es gab diese Dualität, dass man sich einerseits als Serbe, als Mazedonier oder als Slowene identifizierte, und gleichzeitig als Jugoslawe und Bürger oder Bürgerin Jugoslawiens”, so der Universitätsprofessor und Balkanhistoriker Dr. Florian Bieber über die Gründe für den damals ausgeprägten Nationalstolz in der jugoslawischen Bevölkerung. “Die allgemeine Assoziation zu Jugoslawien war ja positiv, weil Jugoslawien zumindest im Vergleich zu den anderen kommunistischen Staaten erfolgreich zu sein schien. Man durfte reisen, zumindest ab den 60er-Jahren — das heißt, die Alltagserfahrung war keine negative. Zumindest war sie besser als in Bulgarien, Rumänien oder Ungarn. Und so gab es das Gefühl, dass man etwas Besseres, etwas Besonderes sei“ erklärt Bieber weiter.

Univ.-Prof. Dr. Florian Bieber ©Univ.-Prof. Dr. Florian Bieber

Im Gegensatz zu anderen sozialistischen Staaten dieser Zeit funktionierte das Nation Branding offenbar besser und war für die Bevölkerung erfolgversprechend. Aber auch Propaganda trug laut Bieber in dem autoritären Staat wesentlich zur Entwicklung des Selbstbildes der Bevölkerung bei: „Es gab einerseits Repressionen gegen jene, die das System offen infrage stellten, und andererseits die Förderung der eigenen Botschaft. Es gab verschiedenste Mechanismen. Für jene Jugoslawen, die als Gastarbeiter beispielsweise in Österreich und Deutschland lebten, gab es jugoslawische Klubs. Man versuchte sicherzustellen, dass diese sich nach wie vor mit Jugoslawien identifizierten“ Bieber betont allerdings auch, dass die damals herrschende Einheit keine absolut freiwillige war. Minderheiten kämpften immer wieder gegen das System an und wurden anschließend von der Regierung unterdrückt. Die Mehrheit der Bevölkerung bekannte sich jedoch, unabhängig von der jeweiligen Ethnie, zu Jugoslawien. Einheit und Brüderlichkeit, der Leitspruch des Staates, waren vor allem einer Person zu verdanken: Tito.

O.Univ.-Prof. Dr.phil. Karl Kaser ©O.Univ.-Prof. Dr.phil. Karl Kaser

„Die Figur Titos war der zentrale Punkt der Propaganda — Er hat Charisma ausgestrahlt. Er war von der ganzen Bevölkerung anerkannt und respektiert. Er war überall präsent, sein Bild hing an jeder Wand. Nicht ohne Zufall haben die Probleme nach seinem Tod begonnen — es war ein gewaltiger Schock für die Bevölkerung.“
Universitätsprofessor Dr. Karl Kaser sieht in Tito die Seele Jugoslawiens. Dieser sei die Leitfigur gewesen, die den autoritären Staat am Leben und zusammengehalten hat. Nach seinem Tod nahm die Einheit unter der Bevölkerung stetig ab, und der Druck, sich zu (s)einer Ethnie zu bekennen, wurde immer größer. Auch Titos Erbe, wonach die Teilrepubliken sich in der Präsidentschaft abwechselten, konnte den sozialistischen Staat nicht aufrechterhalten.

Der Zerfall des Tito-Staats
Politische Unsicherheiten und stetig steigende Spannungen sorgten in der Bevölkerung nach Titos Tod für Unbehagen. Das Selbstbild der Menschen änderte sich innerhalb kürzester Zeit. Jugoslawien trat in den Hinter- und die verschiedenen Ethnien in den Vordergrund. „Das Entscheidende ist ja, dass man sich in Jugoslawien durchaus als Serbe, Slowene oder Kroate fühlen konnte, das ging ja auch vorher schon. Nur wurde es jetzt stärker als anti-jugoslawisch interpretiert, während es vorher durchaus kompatibel war“, so Bieber.

Unterstützt von einer medialen Propaganda der Angst wurde diese Entfremdung vorangetrieben. “Wir werden bedroht”, lautete die zentrale Botschaft, die verbreitet wurde. Der lokale Zusammenhalt unter der Bevölkerung wurde aufgelöst durch den Zwang, sich zu einer Ethnie zu bekennen. Oft geschah dies auch unter Druck von außen, durch militärische Interventionen beispielsweise. Urbane Gemeinden, die sich bis dahin keine Gedanken über ihre Zugehörigkeit gemacht hatten, mussten sich plötzlich entscheiden, wer sie waren. Was hier Familien und Freunde trennte, zerstörte schlussendlich auch Jugoslawien als Staat.

Wir sind keine Nation
Nach dem Zerfall Jugoslawiens waren verschiedene Nachfolgestaaten entstanden. Die Betonung der Unterschiedlichkeit innerhalb einer Bevölkerungsgruppe hatte sich also auch auf die geografischen Grenzen ausgewirkt. Wieder wandelte sich das Selbstbild der Menschen. Diesmal jedoch nicht als ein gemeinsames, sondern abhängig davon, in welchem Staat man nun lebte. „Heute besteht so ein Sinn des banalen Nationalismus, diese ständige Betonung von diesen banalen Unterscheidungsmerkmalen. Das ist heute weniger, dass man ständig bewusst sagt ‘wir sind anders als die Serben, anders als die Kroaten’, aber es sind kleine Details, die ihre Wirkung entfalten. Dass beispielsweise eine jüngere Generation von Kroaten kein Kyrillisch mehr lesen kann.“ Bieber sieht auch noch gegenwärtig Versuche, die staatliche Individualität zu betonen. Geschichtsbücher etwa erzählen heute verschiedene Versionen des Jugoslawienkrieges. Niemand will sich als Verlierer der Auseinandersetzungen sehen, und so wird das Gedankengut, die anderen seien „die Bösen“ gewesen, auch heute noch weitergegeben.

In Kroatien ist das Nation Branding geglückt. © Lisa Maria Klaffinger

Je nach Staat funktioniert heute die verkaufte Idee einer Nation unterschiedlich gut. Kroatien und Slowenien etwa haben es geschafft, unter anderem durch Nation Branding Ansehen als Urlaubsländer zu erlangen, während Bosnien und Herzegowina sowie Serbien am Versuch, sich in der Weltöffentlichkeit positiv darzustellen, scheitern. Nach wie vor spielen PR-Agenturen und Lobbying eine entscheidende Rolle im Versuch internationales Ansehen zu erlangen. Heute ist es etwa die Republika Srpska, die in England, Brüssel und den USA Lobbying betreibt, um ihre Eigenständigkeit innerhalb Bosnien und Herzegowina zu betonen.

“Denn wir wissen nicht, wer wir sind”
Bosnien und Herzegowina war das älteste Land Jugoslawiens. Es existierte bereits vor Serbien und Kroatien, und war immer ein Land der extremen Unterschiede gewesen. Es beheimatete schon immer viele Kulturen und verschiedene Völker mit den unterschiedlichsten Hintergründen. „Wir kamen nie zu diesem historischen Zustand, dass wir uns wie Bosnier gefühlt haben. Ich weiß nicht, wie man die Menschen nennt, die hier gewohnt haben, denn sie bezeichneten sich selbst nie als Bosnier“, so Vesna Vlašić Jusupović, Managerin der PR-Agentur McCann in Sarajevo. “Natürlich wäre Nation Branding für Bosnien und Herzegowina wichtig. Aber es ist sehr schwer, hier von Nation Branding zu sprechen, weil wir keinen Staat und keine Nation haben.” Die notwendige Einheit innerhalb der Bevölkerung fehle, um sich nach außen hin überhaupt als ein Land repräsentieren zu können.

Vesna Vlašić Jusupović, PR-Agentur McCann © Lisa Maria Klaffinger

In Bosnien und Herzegowina politisch etwas bewirken zu wollen, sei aufgrund der Konstitution, die keine Bosnische Nation vorsieht, kaum möglich. Politiker seien korrupt, alle noch aus der Zeit des Krieges und würden laut Vesna Vlašić Jusupović nur ihre eigenen Ansichten vertreten. Die Politik trenne das Land anstatt es zu vereinen, und auch seitens der Bevölkerung gäbe es kaum Anstalten, dies zu ändern. Ansichten und Einstellungen der älteren Generation würden an die Nachkommen weitergegeben und von ihnen ohne zu hinterfragen übernommen. Die Kluft zwischen den verschiedenen Gruppen werde immer tiefer. Orthodoxe seien hier automatisch Serben, Moslems Bosnier und Katholiken Kroaten. Ausnahmen sind laut ihr die Minderheit.

Am Beispiel Bosnien und Herzegowina wird besonders deutlich, weshalb Nation Branding bei der eigenen Bevölkerung beginnen muss. Denn sie ist es, die das zu vermarktende Bild nach außen hin stützen muss. Das Volk muss als Einheit funktionieren können und einen gewissen Nationalstolz haben, um PR-Maßnahmen zur Förderung eines bestimmten Bildes nach außen hin überhaupt erst glaubhaft zu machen.

Vesna Vlašić Jusupović zweifelt daran, dass sich an dieser Situation in absehbarer Zeit etwas ändern wird, denn: „Der Unterschied der internationalen Selbst-Repräsentation von Bosnien und Herzegowina zu anderen Ex-Jugoslawien-Staaten wie etwa Kroatien ist der, dass sie sich wenigstens repräsentieren. Wir repräsentieren uns gar nicht — wir wissen nicht, wer wir sind.“

Von Theresa Hartlauer, Lisa Klaffinger und Pia Unger

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