Covid-19: ein «Black Elephant», kein «Black Swan»!

Wir haben kein Problem in der Risikofrüherkennung, aber in der Sensibilisierung von Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit und in der Umsetzung von Theorie in konkrete Praxis

Andreas M. Walker, Dr.
weiterdenken
14 min readMay 6, 2020

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Seit ein paar Wochen stellen Medien, Politik und Öffentlichkeit die Frage, ob die Krise, die durch den Virus Corona Covid-19 ausgelöst worden ist, ein «Black Swan» sei.

Ein «Black Swan» ist ein seltenes, unerwartetes oder unvorhergesehenes Ereignis, das eine unerwartet grosse Tragweite und einen übermächtigen Einfluss auf die aktuelle Situation hat. Im Extremfall kann es sogar zu einem Systemwechsel führen. Einerseits waren die konkrete Bedrohung durch den Virus Corona Covid-19 und das «Pandemiejahr 2020» bis Winterende 2020 für die Medien, viele Politiker und die breite Öffentlichkeit tatsächlich überraschend. Andererseits sind Seuchen, also Infektionskrankheiten von epidemischem ja gar pandemischem Ausmass, aber in den letzten siebenhundert Jahren zahlreiche Male mit katastrophalem Ausmass in Europa aufgetreten. Ebenso befassen sich die Fach- und Krisenstellen des Bundes, der Armee, der Kantone und der Universitäten seit knapp zwei Jahrzehnten in Analysen, Planungen und Stabsübungen mit dem Risiko einer neuen Pandemie. Dies ist in der allgemeinen Wahrnehmung in Medien, Politik, Öffentlichkeit, Wirtschaft und Bildung aber weitgehend ignoriert worden. Corona Covid-19 war also kein «Black Swan» im engeren Sinne, sondern ein «Black Elephant», also ein zwar zuvor durchaus erkanntes, aber ignoriertes Restrisiko, das aus der Konzeption des «Porzellanladens» verdrängt worden ist. Wir haben also kein Problem in der Risikofrüherkennung, sehr wohl aber in der konkreten Frühwarnung, in der stufengerechten Sensibilisierung der Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit und in der Umsetzung der theoretischen Erkenntnisse aus Übungen und Analysen für die konkrete Praxis.

  1. Definition: Black Swans, Wild Cards, Black Elephants
  2. Black Swans und Wild Cards sind selten — Seuchen in Europa sind nie selten gewesen
  3. Das Risiko einer neuen Pandemie war nicht unerwartet, wurde aber vielfach ignoriert
  4. Corona Covid-19 verändert unsere aktuelle Normalität und wird unsere Paradigmen beeinflussen
  5. Fazit
  6. Weiterführende Gedanken
  7. Weiterführende Links
  8. Zum Autor
  9. Quellen

1. Definitionen: Black Swans, Wild Cards, Black Elephants

Was ist ein Black Swan?

Nassim Nicholas Taleb verwendete erstmals 2001 und dann 2007 in der breiten Öffentlichkeit wahrgenommen den Begriff des «Black Swans»¹.

Seither ist diese Metapher weit verbreitet und allgemein akzeptiert. Er wird insbesondere in der aktuellen Managementliteratur verwendet, obwohl eine eigentliche Definition des Begriffes in der Fachwelt der Krisenfrüherkennung und der Zukunftsexperten nie wirklich stattgefunden hat.

Allgemein versteht die Öffentlichkeit unter einem schwarzen Schwan:

  • ein seltenes, unerwartetes oder unvorhergesehenes Ereignis
  • das eine unerwartet grosse Tragweite und einen übermächtigen Einfluss auf die aktuelle Situation bzw. die bisherige Normalität hat,
  • dieses Ereignis kann im Extremfall sogar zu einem Paradigmenwechsel bzw. Systemwechsel führen bzw. traumatische Auswirkungen haben. Bisherige Annahmen, Vereinbarungen und Regeln gelten nachher nicht mehr.

Der «Black Swan» wird also häufig für ein neuartiges und einmaliges Restrisiko verwendet, das im vornherein nicht erkennbar ist. Deshalb ist eine Vorbereitung oder Abwehr nicht möglich.

Eigentlich ist der «Schwarze Schwan» eine Metapher. Der Begriff wurde ursprünglich in England als Beschreibung für Dinge oder Ereignisse verwendet, die es nicht gab — denn damals wurde angenommen, dass es keine schwarzen Schwäne gab.

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Normalerweise leben bei uns weisse Schwäne, diese kennen und erkennen wir. Wir wissen, wie wir mit weissen Schwänen umgehen müssen. Dass es schwarze Schwäne gäbe, passt nicht zu unserem bisherigen, lokalen Muster. Wir haben zwar gehört, dass es schwarze Schwäne gäbe, aber da wir nie welche gesehen haben, rechnen wir nicht damit, dass jemals schwarze Schwäne auftauchen könnten. Entsprechend bereiten wir uns auch nicht darauf vor, wie wir denn mit schwarzen Schwänen umgehen müssten.

Erstaunlicherweise tauchten in der Schweiz 2008 plötzlich schwarze Schwäne auf dem Thuner, dem Genfer und dem Neuenburger See auf, die vor Jahren aus Australien importiert worden waren. Deren behördliches Verbot führte zu einem beachtlichen medialen und regionalpolitischen Echo.

Was ist eine «Wild Card»?

In den Zukunftsdisziplinen verwendeten wir schon seit längerer Zeit den Begriff der «Wild Card».² Das Copenhagen Institute for Futures Studies definierte bereits 1992 «A wild card is a future development or event with a relatively low probability of occurrence but a likely high impact on the conduct of business”.³

Die “Wild Card” ist ebenso eine Metapher wie der «Black Swan». Wir finden sie im Monopoly-Spiel, sowohl als «Property Wild Card», also als ausserordentliche Platzhalter-Karte innerhalb eines ordentlichen Sets, aber auch als «Action Card», also als Ereignis-Karte, die zufällig den normalen Spielverlauf mit besonderen Ereignissen durchbricht.

Im Sport verhilft die «Wild Card» besonders ausgewählten Spielern zur Teilnahme an einem Turnier ausserhalb der normalen Qualifizierungsregeln.

Im Kartenspiel ist die «Wild Card», etwa beim Poker, eine zusätzliche Karte mit Sondereigenschaften, die häufig auch als «Joker» bezeichnet wird. Und im Tarot wird «der Narr» als Wild Card bezeichnet, er steht meistens für das Versagen und Scheitern.

Im Rahmen von Strategiespielen und Table Top Übungen für militärische oder zivile Führungsstäbe ist eine «Wild Card» ein ausserordentliches Ereignis, das die Übungsleitung bzw. Regie verwenden kann, um den normalen, vorhersehbaren Übungsverlauf mit einem überraschenden Zusatzereignis zusätzlich zu erschweren, eskalieren zu lassen oder in eine andere, unerwartete Richtung zu lenken. Je nach Übungsanlage kann die «Wild Card» ein Restrisiko sein, das die Übungsteilnehmenden bei einer sauberen Analyse im vornherein evaluieren und sich darauf vorbereiten konnten.

Black Swans und Wild Cards werden häufig synonym gebraucht

Aufgrund der Ähnlichkeit der Definitionen, der zugrunde liegenden Metaphern und der Wirkung von Black Swans und Wild Cards ist es nicht überraschend, dass die beiden Begriffe bzw. Metaphern sehr häufig synonym verwendet werden.

Was ist ein «Black Elephant»?

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John A. Sweeney, der Deputy Director des Center for Postnormal Policy and Future Studies an der East-West University in Chicago, USA, führte 2016 an einem Workshop der Future for Advanced Research and Studies (FARAS) den Begriff des «Black Elephant»⁴ ein: Der „Black Elephant» ist etwas, das eigentlich wahrscheinlich oder klar ist, aber aus irgendeinem Grund sehen es die Menschen nicht bzw. reagieren nicht darauf, obwohl die Anzeichen dafür, dass so etwas passieren könnte, offensichtlich waren.

2. Black Swans und Wild Cards sind selten —
Seuchen in Europa sind nie selten gewesen

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Im 21. Jahrhundert haben wir uns in Europa daran gewöhnt, dass Krankheiten kaum noch ein Problem sind, sondern dass Gesundheit unser höchster Wert geworden ist, auf den wir quasi wie ein öffentliches Gut oder ein Service Public einen Anspruch haben. In einer selbstverständlichen Erwartungshaltung haben wir uns an die grossen Fortschritte in Medizin, Ernährung und Hygiene in den letzten zweihundert Jahren gewöhnt und gehen davon aus, dass wir auch bei neuen Krankheitsbildern vom Staat bzw. dem öffentlichen Gesundheitswesen geschützt werden.

Zwischen 1346 und 1353 raffte die Pest, auch als schwarzer Tod bezeichnet, rund 25 Millionen Menschenleben dahin. Seither ist sie in Europa sechs Mal in geringerem Ausmass wieder aufgetreten.

In fünf Seuchenwellen im 15. und 16. Jahrhundert zeigte der sehr ansteckende und meist tödlich ausgehende «englische Schweiss» epidemische Folgen in Grossbritanien.

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Pocken, Syphilis, Polio, Typhus, Diphterie, Cholera, Fleckfieber und das hämorrhagische Fieber sind weitere Infektionskrankheiten, die in der Neuzeit mehrere Male auch in Europa als länderübergreifende Seuchen wüteten.

Die Geschlechtskrankheit AIDS/HIV forderte seit 1980 36 Millionen Tote.

Fünf Mal forderte der Influenza-Virus in pandemischem Ausmass das öffentliche Gesundheitswesen Ende des 19. und weit bis ins 20. Jahrhundert hinein heraus:

1889–1890 / Influenza-Virus A/H3N8 “Russische Grippe”:
weltweit 1 Million Tote

1918–1920 / Influenza-Virus A/H1N1 “Spanische Grippe”:
weltweit 50 Millionen Tote

1957–1958 / Influenza-Virus A/H2N2 “Asiatische Grippe”:
weltweit 1–2 Millionen Tote

1968–1970 / Influenza-Virus A/H3N2 “HongKong-Grippe”:
weltweit 1 Million Tote

1977–1978 / Influenza-Virus A/H1N1 “Russische Grippe”:
rund ¾ Million Tote

Dieser Rückblick in knapp 700 Jahre Medizingeschichte zeigt uns leider, dass der länder- ja gar kontinentenweite Ausbruch von Infektionskrankheiten gar nicht als selten bezeichnet werden kann. Es zeigt uns eher, wie kurzfristig unser Erinnerungshorizont, wie lückenhaft unsere historischen Kenntnisse und wie naiv unsere Erwartungshaltung gegenüber der sofortigen Lösung medizinischer Herausforderungen geworden sind.

Insbesondere zeigt uns dieser Rückblick, wie ungeeignet unser mediales und betriebswirtschaftliches und Denken geworden ist, um gesellschaftliche und medizinische Krisen erfassen zu können.

3. Das Risiko einer neuen Pandemie war nicht unerwartet, wurde aber vielfach ignoriert

Wenn ich mir als einer der Fachleute der Krisenfrüherkennung in der Schweiz nun die Frage stelle, ob das Risiko einer neuen Pandemie unerwartet oder unvorhergesehen war, dann muss ich darauf klar mit «NEIN» antworten.

Dieser Aspekt bedeutet demnach, dass Corona Covid-19 aus Sicht der Fachleute kein «Black Swan», sondern ein «Black Elephant» war.

Zwar hatte vor Ende 2019 kaum jemand «Corona Covid-19» oder das Jahr 2020 als «Pandemiejahr» im Fokus und auch kaum jemand hatte vor Ende 2019 im Sinne einer Frühwarnung konkret und explizit gewarnt, aber bei Fachleuten der Früherkennung, des Krisen- und Risikomanagements und in der Sicherheitsbranche in der Schweiz ist das verheerende Potential einer neuen Pandemie seit bald 2 Jahrzehnten ein Thema, wie die nachfolgende Zusammenstellung zeigt:

1995 /Vorbereitung
Gemäss BAG bereitete sich die Schweiz seit 1995 systematisch auf Influenza-Pandemien vor.

2003 / SARS-CoV
Das Bundesamt für Gesundheit BAG verbot die Einreise von Personal aus China, Hongkong, Vietnam oder Singapore an die Baselworld, die weltweit führende Uhren- und Schmuckmesse.

2003–2005 / SFU 2005
Unter der Leitung der Bundeskanzlei übten der Bundesrat und die Krisenorgane der Bundesverwaltung an einer zweitätigen strategischen Führungsübung inklusive diversen Vorbereitungsveranstaltungen, was der Ausbruch einer Pandemie in der Schweiz bedeuten könnte. «SARS» und die «Spanische Grippe 1918–1920» bildeten die Grundlagen der Überlegungen zum Scenario. Vertretungen der WHO, der Nachbarländer, der Kantone, der Wirtschaft und der Medien wurden als Beobachter oder als Übungsmarkeure eingeladen. Der Autor dieses Artikels war im Autorenteam des Scenarios und im Projektteam der Übung eng involviert.

2004 / Influenza-Pandemieplan Schweiz 2004
Das BAG publiziert den «Influenza-Pandemieplan Schweiz 2004».
Unter der Leitung der Eidgenössischen Kommission für die Pandemievorbereitung und -bewältigung EKP entstand 2004 der erste schweizerische Influenza-Pandemieplan.

2006 / Influenza-Pandemieplan Schweiz 2006
Das BAG publiziert den «Influenza-Pandemieplan Schweiz 2006, überarbeitete Version.

2006 - 2007 / Influenza-Virus H5N1
Im Sinne der Arbeiten an den Pandemieplänen Schweiz 2004 und 2006 und der Erkenntnisse aus der SFU05 beschäftigen sich die Fach- und Krisenstellen des Bundes und der Kantone mit dem Influenza-Virus H5N1 unter dem Namen asiatische Vogelgrippe.

2006–2011 / Stab SiA
Der Stab Sicherheitsausschuss SiA des Bundesrates erstellt Lagedarstellungen, Analysen und Vorsorgeplanungen für die Bewältigung von Krisensituationen. Die Pandemie wird als eine dieser Krisen behandelt.

2007 / Pandemieplan, Handbuch für die betriebliche Vorbereitung
BAG und seco publizieren: «Pandemieplan, Handbuch für die betriebliche Vorbereitung», 2007 1. Auflage, 2015 2. Auflage, 2019 3. Auflage

2007 / LÜKEX 2007, Deutschland
An der LÜKEX 07 waren elf Bundesressorts, das Bundeskanzleramt, das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung und sieben Länder (Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Thüringen) beteiligt. Daneben nahmen Behörden, Hilfsorganisationen, Verbände und ca. 50 Unternehmen und Organisationen der Wirtschaft teil. Eine Schweizer Delegation, so auch der Autor dieses Artikels, nahm offiziell als Beobachter teil, nachdem auch Deutschland an der SFU05 Beobachterstatus hatte.

2006–2020 / Betriebliche Vorbereitung
Bundesämter, kantonale Verwaltungen und zahlreiche private Betriebe erstellen aufgrund der Erkenntnisse der SFU05, der Vorlagen von BAG und SECO und der asiatischen Vogelgrippe H5N1 (und später der mexikanischen Schweinegrippe H1N1) eigene Krisenhandbücher zum Umgang mit einer zukünftigen Pandemie. In den folgenden Jahren werden die Vorlagen des BAG mehrmals aktualisiert. Der Autor dieses Artikels hat dabei diverse Ämter und Betriebe beraten.
Auf Seite der Privatwirtschaft vertraten viele Firmen die Ansicht, dass es sich um ein Sicherheitsrisiko handle, deshalb sei der Staat für die Vorsorge und Verhinderung zuständig.
Ämter von Bund und Kantonen aktualisieren ihre Planung mehrmals aufgrund der neuen Vorgaben des BAG und der eigenen Erfahrungen in entsprechenden Krisenübungen.
Ob und wie sehr die privatwirtschaftlichen Betriebe diese Planungen überhaupt erstellen, aktualisieren und üben, ist unbekannt.

2009- 2010 / Influenza-Virus H1N1
Im 2009 — 2010 beschäftigte uns der Influenza-Virus H1N1 unter dem Namen mexikanische Schweinegrippe. Aufgrund des Flugverkehrs verbreitet sich der Virus sehr schnell über die Kontinente. Die Definition der verschiedenen Pandemiephasen und das aktive Ausrufen der Phasen durch die WHO, die aber so in der Schweiz und für die Schweiz noch nicht ersichtlich, ruft Missverständnisse und kontroverse Diskussionen aus.

2012 - 2016 / Epidemiengesetz EpG
Das Epidemiengesetz (SR 818.101) tritt nach einem fakultativen Referendum 2016 in Kraft.

2013 / Risikobericht 2012
Im Jahr 2013 publizierte das Bundesamt für Bevölkerungsschutz BABS den ersten Risikobericht zu möglichen Katastrophen und Notlagen in der Schweiz, den «Risikobericht 2012». Das BABS schreibt, dass das Szenario Pandemie erwartungsgemäss ein verhältnismässig grosses Schadenspotential aufweist.

2014 / SVU 2014
Die Sicherheitsverbundsübung 2014 (SVU 14) basiert auf dem Szenario „Pandemie und Strommangellage“ und greift somit die Fragestellungen der SFU05 und SFU09 in kombinierter Weise auf. Dies war 17 Jahre nach der letzten Gesamtverteidigungsübung die erste nationale Übung. Generell stellt der Bericht fest, dass die Bundesstellen, Kantone und weiteren involvierten Partner in der Lage sind, die zur Bewältigung einer Krise notwendigen Mittel koordiniert einzusetzen.

2015 / Nationale Gefährdungsanalyse
Das BABS publiziert das «Gefährdungsdossier Epidemie / Pandemie» als Teil der nationalen Gefährdungsanalyse

2018 / Influenza-Pandemieplan Schweiz
Das BAG publiziert den aktuell gültigen Influenza-Pandemieplan Schweiz, in 5. Auflage seit 2004

2019 / Risikoanalyse Schweiz
«Katastrophen und Notlagen Schweiz — Katalog der Gefährdungen» als Teil der Risikoanalyse «Katastrophen und Notlagen Schweiz» des Bundesamtes für Bevölkerungsschutz BABS umfasst rund 100 Gefährdungen und Ereignisse, die in der Schweiz stattfinden können. Die Gefährdung «Epidemie/Pandemie» wird im «Bereich Gesellschaft» behandelt.

Nassim Nicolas Taleb schreibt übrigens selbst, «dass eine globale Pandemie … klar und deutlich als weisser Schwan figuriert — als ein Ereignis, das mit Gewissheit irgendwann eintreffen wird. Solche Pandemien sind unvermeidlich, sie resultieren aus der Struktur der modernen Welt».⁵

4. Corona Covid-19 verändert unsere aktuelle Normalität und wird unsere Paradigmen beeinflussen

Photo by CDC on Unsplash

Aktuell erleben wir alle, dass der Bundesrat gestützt auf die Expertise seiner Fach- und Krisenstellen und auf das Epidemiengesetz bereit ist, Entscheidungen zu fällen und Massnahmen umzusetzen, die die Vorstellungskraft von Medien, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit noch im Februar 2020 weit übertroffen hätten. Derartige über Monate dauernde und weitgehende und umfassende Massnahmen und Wirkungen im politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhalten sind wohl kaum von jemandem erwartet worden. Wir erleben im 2020 offensichtlich die grosse Tragweite von Corona Covid-19 als Krise und deren übermächtigen Einfluss auf die aktuelle Situation bzw. die bisherige Normalität. Der Schweizerische Bundesrat hat am 16. März 2020 die Situation als «ausserordentlichen Lage» gemäss Epidemiengesetz eingestuft. Die «ausserordentliche Lage» ist die dritte und höchste Stufe zur Krisenbewältigung.

Wie die Zukunft aussieht, ob, wie schnell und wie geordnet die Rückkehr zum Normalfall aussehen wird, ist im Moment ungewiss und Thema zahlreicher Debatten und Szenarien.

Das von zahlreichen Volkswirten und Politikern erhoffte «V-Szenario» wäre eine solche schnelle Rückkehr in eine Normalität, wie wir sie Ende 2019 noch gekannt haben. Auch ich sehe das grosse Bedürfnis nach Rückkehr zu Normalität, doch zu viele Indikatoren lassen vermuten, dass die Zukunft nach Corona eine andere sein wird, als es die Vergangenheit vor Corona war.

Diese Gedanken sprengen jedoch diesen Text über die Fragestellung, ob Corona nun ein «Black Swan» oder eben doch ein «Black Elephant», sondern sollen in einem eigenen Aufsatz weitergedacht werden.

5. Fazit

Im Rahmen der diversen Gremien und Instrumente der Krisen-Früherkennung rangierte eine neuartige Pandemie seit schon bald zwei Jahrzehnten im Katalog der relevanten Risiken mit tiefgreifenden Auswirkungen für unser Gesundheits- und Wirtschaftssystem. Die zuständigen Fach- und Krisenorgane des Bundes und der Kantone sind mehrfach sensibilisiert worden, die Grundlagen sind mit dem Epidemiengesetz, mit dem Pandemieplan Schweiz und mit den Vorlagen für die Pandemiepläne für die Betriebe gelegt worden und die Bedrohung einer Pandemie wurde in Krisenübungen aufgegriffen.

Das Risiko einer Pandemie kann somit aus Sicht der Fach- und Krisenorgane nicht als «Black Swan» bezeichnet werden, auch wenn sich Medien, Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit dessen nicht bewusst waren. Vielmehr gilt es wohl, die Metapher des «Black Elephant» anzuwenden — das bekannte Risiko und die angemessene Vorbereitung wurde in breitem Masse ignoriert und verdrängt.

Der konkrete Virus Corona Covid-19 und die aktuelle Pandemie im Jahr 2020 war für viele eine Überraschung, viele fühlten sich nicht vorbereitet. Gegenüber der eher theoretischen Früherkennung hat die konkrete und praktische Frühwarnung nicht effizient und schnell funktioniert.

Es wird notwendig sein, nach Bewältigung der aktuellen Pandemie zu klären,

  • weshalb welche offenen Fragen und Pendenzen aus der Früherkennung, den diversen Krisenübungen und Planungen nicht aufgearbeitet worden sind und weshalb diese Diskrepanz zwischen theoretischer Erkenntnis und konkreter Vorbereitung nicht bewusst war,
  • weshalb der Transfer von der Früherkennung in die allgemeine Vorbereitung nicht gelang,
  • welches der tatsächliche Vorbereitungsstand und die Qualität der Frühwarnung bei den anderen theoretisch bekannten Risiken ist,
  • welche Erkenntnisse sich nun für die Didaktik und Übungsanlage zukünftiger Krisen- und Führungsausbildung ergeben und wie deren Umsetzung sichergestellt werden kann.

6. Weiterführende Gedanken

Der vorliegende Aufsatz ist ein Anfangspunkt eines Netzes von weiterführenden Gedanken, an denen ich aktuell arbeite:

Weshalb ist ausgerechnet Corona Covid 19 im 2020 derart zu einer Krise geworden und was hat dies mit der Überschneidung von Megatrends zu tun?

Auf welche Szenarien nach Corona sollten wir uns vorbereiten?

Wird nun Generation Greta zur Generation Corona?

War Corona die Ausnahme oder der Anfang einer neuen Pandemiewelle und was bedeutet das für Globalisierung, Grenzen und Nationalstaaten

Welches werden die neuen Paradigmen nach Corona Covid-19 sein

Warum reagieren wir Menschen so unterschiedlich auf Veränderungen, Bedrohungen und Herausforderungen? Welche Charaktertypologien können uns helfen, uns selbst und unsere Mitarbeitenden besser einzuschätzen und dann unsere Kommunikations- und Führungskultur entsprechend weiterzuentwickeln? Sei dies bei der Bewältigung der Folgen von Corona, sei dies bei der Weiterentwicklung der Digitalisierung, sei das allgemein der Umgang mit Zukunftsängsten und Zukunftshoffnungen.

6. Weiterführende Links

Photo by Matt Botsford on Unsplash

Radio-Interview, 4 Minuten
Grenzen und Vertrauenswürdigkeit fordern künftig heraus
https://radio.lifechannel.ch/leben/gesellschaft/im-brennpunkt/grenzen-und-vertrauenswuerdigkeit-fordern-kuenftig-heraus/

Radio-Talk, 53 Minuten
Corona — wie ein Virus die Zukunft beeinflusst
https://radio.lifechannel.ch/menschen/geschichten/talk/corona-wie-ein-virus-die-zukunft-beeinflusst/

TV-Talk, 60 Minuten
Was kommt auf uns zu?
https://www.bibeltv.de/mediathek/videos/was-kommt-auf-uns-zu-665928

7. Zum Autor

Dr. Andreas M. Walker
www.weiterdenken.ch, walker@weiterdenken.ch

Dr. Andreas M. Walker zählt zu den führenden Zukunftsexperten der Schweiz. Von 2009 bis 2018 war er Co-Präsident von swissfuture, der Schweizerischen Vereinigung für Zukunftskonferenz, und Mitglied der Präsidentenkonferenz der SAGW, der Schweizerischen Akademie der Geistes- und Sozialwissenschaften. 1995 promovierte Walker an der Universität Zürich mit einer Doktorarbeit über Methoden der Zukunftsforschung und gewann mit dieser Arbeit zwei internationale Awards.

Walker war Mitglied des Kernteams, das 2003–2005 die «SFU05», die strategische Führungsübung für den Bundesrat, und die Krisenorgane der Bundesverwaltung zum Thema «Ausbruch einer Pandemie in der Schweiz» vorbereitete und durchführte. In den Jahren 2006–2014 begleitete Walker diverse eidgenössische und kantonale Ämter, Betriebe aus der Privatwirtschaft und Berufsverbände im Erarbeiten und Testen des betrieblichen Business Continuity Planning angesichts eines Pandemierisikos. Seit 2006 ist er als Verwaltungsrat oder Beirat für Firmen aus der Gesundheits- und Hygienebranche tätig.

1995–2020 befasste sich Walker als Milizoffizier / Fachoffizier (Maj) / Of Strat Fhr Ausb mit der Früherkennung, Analyse und Entwicklung von Übungs-Szenarien zu neuartigen zukünftigen Krisen und Katastrophen als Übungsgrundlagen für die Führungs- und Krisenorgane des Bundes.

Vielen Dank an meine Kameraden und Freunde, die meine Entwürfe begleitet und verbessert haben und an der Diskussion der Krisenfrüherkennung und Krisenbewältigung teilnehmen.

8. Quellen

¹TALEB, Nassim Nicholas (2007) The Black Swan: The Impact of the Highly Improbable

²SWISSFUTURE (2007) Wild Cards, =swissfuture Magazin für Zukunftsmonitoring, Heft 2/2007

³BIPE Conseil, Copenhagen Institute for Futures Studies, Institute for the Future (1992) Wild Cards

https://futureuae.com/en-US/Activity/Item/133/security-and-intelligence-in-postnormal-times

⁵Nassim Nicolas Taleb & Mark Spitznagel (27.03.2020) NZZ: «Die Corona-Pandemie ist kein schwarzer Schwan: Warum 2020 nach Nassim Taleb nicht mit 2008 zu vergleichen ist» https://www.nzz.ch/feuilleton/kein-schwarzer-schwan-nassim-taleb-ueber-die-corona-pandemie-ld.1548877

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Andreas M. Walker, Dr.
weiterdenken

One of the leading Swiss Futurists, Sagacious Thinker, writing about the future, hope and everything inbetween… www.weiterdenken.ch