Die nächste Revolution in der Musikbranche.

Wie Virtual Reality und Blockchain den Konzertmarkt verändern werden.

Joachim Senger
We are Exozet.
9 min readMay 23, 2018

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Was für ein Versprechen: kein Konzert mehr verpassen, keine hohen Ticketpreise, keine Anfahrts- und Übernachtungskosten, in keiner Schlange stehen, immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort sein — egal wo und wann auf der Welt. Und mehr noch: mit den Musikern auf der Bühne stehen, das Publikum aus ihrer Perspektive sehen, die Musik hautnah miterleben, noch dazu in einer Klangqualität, wie man sie noch nie gehört hat — all das will concertVR möglich machen. Ein Gespräch mit Sebastian Deyle, Geschäftsführer der Produktionsfirma Goodstuff-Media, und Frank Zahn, Gründer und CEO von Exozet, über die ganz reale Zukunft virtueller Live-Konzerte.

Was ist die Idee hinter concertVR?

Sebastian Deyle: Die Lehrbuchantwort ist: „concertVR soll der erste plattformübergreifende Marktplatz für hochwertigen VR-Inhalt aus dem Musik- und Entertainmentbereich auf Blockchain-Basis sein.“ Sehr hochtrabend ausgedrückt für: „Wir bieten VR-Inhalte in Top-Qualität an, für die du gerne Geld bezahlst.“

Es gibt ja jetzt schon viele VR-Inhalte im Internet, auf YouTube zum Beispiel, und die sind kostenlos. Was hebt concertVR davon ab?

Sebastian Deyle: Was auf YouTube läuft, das hat diesen User-generated-Status, wo man so denkt: „Das ist nett, aber da würde ich keinen Cent für ausgeben.“ Ich vergleiche das gerne mit LimeWire oder ähnlichen Peer-to-Peer-Plattformen, wo du dir Songs runtergezogen hast, meistens in ziemlich bescheidener Qualität, und du bist gerne zu iTunes gewechselt und hast dir gesagt: „Ich zahl dafür zwar 99 Cent, dafür weiß ich aber, das ist crystal-clear Quality und auch legal.“ Das wollen wir für den VR- und Konzertmarkt sein.

Was macht die Qualität aus?

Sebastian Deyle: Da stellt sich einmal die Frage nach der visuellen Qualität: Wie hoch ist die Auflösung der Aufnahmen? Und dann: Wie ist die Audioqualität? Wir haben Kameras, die in 8K filmen, und zwar in drei Positionen: „in the middle of the crowd“, „front row“ und „on stage“. Das heißt, du kannst eine von dreien wählen und während des Konzerts deine Position wechseln, wenn du das möchtest. Und du kannst dich frei entscheiden, wo du im Publikum stehen möchtest. Der Ton wird aus dem Mischpult abgenommen — alle Spuren einzeln und dann neu abgemischt. Wenn das ein Livestream ist, dann passiert das in Echtzeit. Und wenn es ein On-Demand-Konzert ist, also eine Aufzeichnung, dann wird das noch mal komplett abgemischt, bevor es in die Library kommt. Es gibt auch Mikrofone, die im Publikum stehen, die die Atmosphäre aufsaugen, sodass du wirklich eine Live-Atmosphäre hast, die auch noch mit „spherical sound“ funktioniert. Das bedeutet: Ich drehe meinen Kopf nach links, Sound kommt mehr von rechts — und umgekehrt.

Frank Zahn: Und dann ist es natürlich auch so, dass wir die gesamte User Experience sehr intensiv auf die Hardware anpassen. Wir haben ja nicht nur ein Device, auf dem das Ganze laufen soll, sondern möglichst viele. Es geht uns nicht nur um das Konzerterlebnis an sich, sondern auch darum, dass es Spaß macht, sich auf der Plattform zu bewegen, passende Konzerte zu finden und sich mit anderen auszutauschen. Das muss auch easy funktionieren und begeistern. Das ist unser Anspruch.

Es geht bei VR doch darum, das Konzerterlebnis möglichst authentisch nachzuempfinden. Die Nutzer sollen das Gefühl haben, dabei zu sein, obwohl sie es physisch nicht sind. Wie hat man sich das vorzustellen?

Frank Zahn: Es ist schwer, das theoretisch zu kommunizieren. Ich sage immer: Alle Leute, die noch nie Virtual Reality ausprobiert haben, denen kannst du es auch nicht erklären. Das ist vielleicht ein bisschen wie schwanger sein. Das kannst du auch niemandem erklären. Du musst es sein, um die Faszination zu spüren. Und das ist bei VR auch so. Wenn du dir einmal die VR-Brille aufgesetzt und ein Musikkonzert damit angeschaut hast, gut aufgenommen natürlich, dann merkst du, es ist etwas ganz anderes, als das auf einem Screen zu sehen, selbst auf der größten Glotze, die du dir vorstellen kannst. Es ist Da-Sein. Und nicht nur anschauen.

Aber die Restrealität weiß doch: Ich bin zu Hause.

Sebastian Deyle: Da würde ich mich nicht täuschen. Man sagt natürlich: „There is nothing like the real thing.” Aber mit VR sind wir schon verdammt nah dran. Eine Frage, die am Anfang von der Branche kam, war: „Kannibalisiert das nicht den Verkauf der normalen Tickets? Werden wir da nicht vor leeren Hallen spielen?“ Natürlich nicht. Dieses Gefühl, da drin zu sein, angerempelt zu werden, die Hitze und das Ganze mit Freunden zu erleben, das ist einzigartig, und das soll es auch bleiben.

Was ist dann aber das Besondere von concertVR?

Sebastian Deyle: Es ist eine Addition, die sehr nah dran ist am normalen Erlebnis. Sehr viele Menschen wollen gern aufs Konzert gehen, können es aber nicht. Dazu muss man nämlich einige Faktoren erfüllen: Du musst es dir leisten können. Das kostet ja inzwischen zum Teil weit über oder gar mehrere 100 Euro. Du musst in der Nähe wohnen. Und das Konzert darf nicht ausverkauft sein.

Und diese drei Probleme löst convertVR?

Sebastian Deyle: All die, die gern hingehen würden, das ist ein riesiger Kreis von Menschen, die holen wir jetzt ab und sagen: „Schau mal, das ist günstiger und bequemer, es gibt keine Probleme mit Zeit und Raum, und es ist niemals ausverkauft.“ Du kannst eine Million Tickets verkaufen, wenn die Nachfrage dafür da ist. Deshalb ist das ein Gewinn für die Veranstalter, für die Musiker und für die Fans.

Was macht Goodstuff-Media und was macht Exozet im Hinblick auf concertVR?

Sebastian Deyle: Wir bei Goodstuff-Media hatten die Idee. Wir haben uns gefragt: „Für welches VR-Erlebnis würden wir Geld ausgeben wollen? Wofür brennen wir?“ Die Antwort war schnell gefunden: „Für Konzerte!“ Und dann haben wir concertVR eineinhalb Jahre lang selbst entwickelt, auf einem eher experimentellen Level. Aber irgendwann war uns klar, dass wir das allein nicht schaffen, dass wir professionelle Hilfe brauchen. Und da kam als Entwicklungspartner Exozet ins Spiel.

Frank Zahn: Und wir machen den Rest. (lacht) Nein, tatsächlich entwickeln und bauen wir bei Exozet die technische Plattform und die Applikationen — und das ist ein ordentliches Paket: von den Blockchain-Technologien, die dahinter liegen, über das Asset-Management bis hin zur App-Ebene. Für die verschiedenen Devices — ob das die Sony Playstation ist oder Samsung, Apple, Google — bauen wir eigene Applikationen, immer mit dem Anspruch, die perfekte User Experience und Usability zu finden.

Zeichnet Goodstuff-Media die Konzerte selbst auf?

Sebastian Deyle: Das Geschäftsmodell von concertVR ist es, eine Plattform zu sein, auf der die Inhalte vom Künstler, vom Rechteinhaber, von der Plattenfirma — wer auch immer Vertragspartner sein sollte — zum Verkauf angeboten werden. Wir machen keine Content-Produktion. Es wird zwar die Möglichkeit geben, dass die Urheber oder Rechteinhaber eigenen Content hochladen, aber nicht unkontrolliert. Wir wollen kein YouTube sein. Es muss unseren Qualitätsstandards entsprechen.

Warum braucht man eine Blockchain-Technologie dafür?

Frank Zahn: Wir verbinden hier zwei sehr zukunftsorientierte Technologieansätze. Auf der einen Seite VR und auf der anderen Seite Blockchain. Das ist die transparenteste Technologie, die man da einsetzen kann. Das andere war, dass wir Kryptowährungen, neue Payment-Formen, die wir da draußen sehen — ob es nun Ethereum ist oder Bitcoin — wunderbar einsetzen können. Die Akzeptanz von Kryptowährungen hebt uns ab und weist in die Zukunft.

Sebastian Deyle: Dabei spielt auch die Kosteneffizienz eine Rolle. Du schaffst es, durch die Blockchain bei Abrechnungsmodalitäten mit Künstlern oder Rechteinhabern die Mittelsmänner zu eliminieren. Der Künstler wird besser entlohnt als vorher. Und was die Akzeptanz von Währungen angeht, ist es so, dass man mit all den vorhandenen Währungen — ob jetzt krypto oder konventionell — in der App unsere eigene Währung erwerben kann: CVT, den sogenannten concertVR-Token, den man dann für Konzerte oder Mitschnitte einsetzen kann.

In welchem Stadium befindet sich das Projekt?

Sebastian Deyle: Wir wollen in der Finanzierung so weit sein, dass wir das global vermarkten können. Um das zu gewährleisten, ist zum einen die technische Entwicklung maßgeblich. Dafür ist Exozet verantwortlich. Und auf der anderen Seite sind wir gerade dabei, Kooperationen mit Rechteinhabern einzugehen, also Content zu beschaffen.

Das Ziel ist, mit einem großen Live-Konzert zu starten. Das wird im Januar 2019 sein, und bis dahin wollen wir schon 20 Konzerte in unserer Library haben, die voraufgezeichnet sind. Wir reden mit allen großen Plattenfirmen und haben gerade einen Vertrag mit der GWVR gemacht, der Gesellschaft zur Wahrnehmung von Veranstaltungsrechten, die zustimmen muss, dass man ihre Veranstaltungen auf diese Art auswertet. Das ist ein Deal, auf den wir sehr stolz sind, weil weder Google noch Facebook das haben und jetzt große Strafen rückwirkend zahlen müssen. Das wird uns nicht passieren. Dann läuft gerade noch der ICO, die Hauptverkaufsphase.

Frank Zahn: Wir haben drei große Baustellen: die Blockchain-Technologie, alles, was wir im Bereich Asset-Management-Technologie machen, also Verwaltung von Videos, und die Applikationen, die auf den Devices laufen. Wenn du dir den MVP anschaust, das Minimum Viable Product, also den Prototyp gewissermaßen, dann sieht das schon rund aus. Aber wir können noch nicht sagen, dass wir alle Plattformen in allen Ländern bespielen können.

Sebastian Deyle: Frank hat mal gesagt: „Wir haben ein MVP, aber wir brauchen ein MLP: ein Maximum Loveable Product.“ Es muss nicht nur funktionieren, man muss es lieben.

Was sind die größten Herausforderungen bei der Umsetzung?

Frank Zahn: Eine große Herausforderung im Blockchain-Bereich ist Geschwindigkeit. Diese Technologie ist super transparent und sehr kostengünstig, aber sie ist teilweise sehr langsam. Du möchtest nicht stundenlang auf etwas warten. Wir wollen das Beste, was es zur Zeit am Markt gibt, integrieren. Die Nutzer sollen begeistert sein. Der Content ist geil, das wissen wir, aber das ganze Nutzererlebnis vom Installieren der App bis zur Social-Media-Einbindung muss so sein, dass du sagst: „Das nutze ich gerne, das macht Spaß!“

Sebastian Deyle: Von der ganzen Ansprache her hat es diesen Ton: „Welcome to the concertVR-Family. Become a part of it! Join the revolution!“ Dieses Rockstar-Feeling.

Auf Konzerte geht man ja gern mit Freunden. Wie setzt ihr den sozialen Aspekt um?

Sebastian Deyle: Das ist mein Lieblings-Feature in der App. Das ist ein wichtiger Punkt. Wenn es Nachteile von VR gibt, dann, dass es dich isolieren kann. Ich bin jemand, der es hasst, zu joggen, weil ich mich dabei isoliert fühle. Irgendwann habe ich mir eine Lauf-App runtergeladen. Die postet auf Facebook, wann du wo läufst, und wenn jemand dann auf „Gefällt mir“ drückt, dann hörst du live und in Echtzeit im Kopfhörer: „Go, go, go!“ Du merkst, dass die Welt daran teilhat und läufst noch ein bisschen schneller. Ein Audioimpuls beim Konzert ist nicht ideal, deshalb haben wir das visuell gelöst. Wenn Frank zum Beispiel gerade Helene Fischer schaut …

Frank Zahn: … ausgerechnet …

Sebastian Deyle: … und ich finde das toll, dann sieht er eine kleine Bubble mit meinem Facebook-Profil. Freunde können über einen Link direkt dazukommen. Das ist auch ein gutes Tool für den Künstler, dann ist plötzlich ganz Facebook voll mit …

Frank Zahn: … Helene Fischer …

Sebastian Deyle: … oder Lady Gaga. „Oh cool, das läuft jetzt gerade live?“

Frank Zahn: Virtual Reality ist ja die höchste Form der Abkapselung von der Welt. Wenn du deine VR-Brille aufsetzt, siehst du nichts mehr. Und mit Kopfhörern hörst du auch nichts mehr. Das gilt aber nur für die reale Welt. In der virtuellen kannst du etwas gemeinsam mit anderen unternehmen, spielen zum Beispiel, oder eben ein Konzert besuchen. Facebook investiert gerade Milliarden Dollar in VR — über Oculus und andere — weil sie genau erkannt haben, das hat eine soziale Dimension von ungeahnten Ausmaßen.

Sebastian Deyle: Stichwort: Augmented Reality, also die erweiterte Realität. Dass wir uns hier von Angesicht zu Angesicht unterhalten könnten, obwohl du vielleicht gerade in München sitzt oder in Hamburg oder in London. Das geht ja jetzt schon über die Microsoft HoloLens, auch wenn das noch in der Betaphase ist. Das wird das nächste große Thema sein. Diese Faszination, bei einem einzigartigen Event live dabei zu sein mit Tausenden anderen auch, überall auf der Welt. Das ist ein olympischer Gedanke. Das ist „Unite the world”.

Frank Zahn: Irgendwann wird es so sein, dass der Artist im Olympiastadion in die Menge ruft: „Ich begrüße die 70.000, die hier sind, und unsere 700.000 Fans auf concertVR da draußen.“ Und wenn du merkst, du bist nicht alleine, da sind viele, das gibt dir einen enormen Schub, dadurch entsteht noch einmal eine ganz neue Power. Eine echte Revolution!

Mehr Infos: concertvr.io

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