Bild: Ryan McGuire @Gratsiography

Humanität 2.0.

Ein Plädoyer wider die Entmenschlichung von Unternehmen.

Thomas Leppert
3 min readApr 2, 2016

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Unternehmen verändern Menschen und bedrängen sie häufig. Reflexion, Empathie und Sinn sind als Ausdruck einer neuen Humanität gefragt, um der Entmenschlichung entgegenzuwirken. Nicht als Maßnahme zur Leistungsoptimierung, sondern als moralisches Prinzip.

Wirtschaft muss menschlicher werden. Humaner. Kaum jemand, der an diesem Satz zweifeln würde, der schonmal einige Jahre in klassischen Unternehmen und Konzernen gearbeitet hat. Es kommt schon fast einer Metamorphose gleich, was wir morgens an den Toren unserer Arbeitgeber durchmachen: Ungläubig staune ich immer wieder über den Unterschied zwischen dem Kollegen und dem Privatmenschen. Über die Regeln im Job, die wir privat niemals akzeptieren würden. Über die Beschneidung von Freiheitsgraden, die wir zu Hause unseren Familien nie zumuten würden. Und über moralisches Fehlverhalten, für das wir uns unter Freunden schämen würden.

Immer mehr kommt es mir so vor, dass wir uns gezwungenermaßen in zwei Welten bewegen — die Sphäre des Privatmenschen und die des Berufsmenschen.

Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel. Aber ich frage mich: Warum muss das so unterschiedlich sein?

Warum entwickeln Organisationen, profitorientierte zumal, so sehr Regeln und soziale Zwänge, die der menschlichen Natur zuwider laufen? Die Antwort ist ernüchternd — weil sie von Menschen gemacht werden. Es steckt eben nicht nur die Nächstenliebe in uns, sondern eben auch das Unpersönliche, Fremd-Bestimmende ohne Empathie. “Was Du nicht willst was man Dir tu’, das füg’ auch keinem anderen zu” — den wohlmeinenden Leitsatz unserer Kindertage vergessen wir Menschen allzuhäufig, wenn wir im Job Regeln — ob formell oder informell — aufstellen. Es ist fehlende Empathie, die dazu führen kann, dass das Regelungsgefüge von Unternehmen an den Bedürfnissen von Menschen vorbei geht. Sind die Vorschriften, Regeln und Zielvorgaben erstmal da, entwickeln sie über die Jahre eine schwer zu stoppende Eigendynamik. Reflexion über die Angemessenheit von Normen und Regeln ist im Tagesgeschäft kaum erwünscht. Kommen finanzielle Interessen wie etwa der Gewinn eines Unternehmens hinzu, wird es für’s Mensch-Sein noch schwerer. Die Bedürfnisse des Unternehmens stehen irgendwann über denen der Menschen.

Burn-Out, Sinnkrise, innere Kündigung — die Folgen der Enmenschlichung von Organisationen kennen wir alle. Sie ergeben sich aus falschen Zielen und unreflektierten, mit zuwenig Empathie für den Nächsten erstellten Regeln und Zielen.

Was hilft? Reflexion. Empathie. Den Wettlauf um immer mehr unreflektierte Vorschriften, wie wir zu handeln und zu denken haben, können wir nur durch Reflexion durchbrechen. Auf den Prüfstand stellen, ob das eigentlich zu unseren Bedürfnissen passt. Zu denen der Mitarbeiter und Angestellten. Dabei hilft, sich in die Lage der anderen zu versetzen. Nicht immer muss der Einsatz von Empathie dann dazu führen, dass eine unbequeme Vorschrift abgeschafft wird. Anwesenheitspflicht statt Homeoffice kann in manchen Situationen Sinn machen, bürokratische Abläufe können auch durchaus notwendig sein. Aber:

Ich bin davon überzeugt, dass die Wiederbelebung des Kant’schen Imperativs unter Einsatz unseres Einfühlungsvermögens eine mächtige Waffe im Kampf gegen die Entmenschlichung sein kann.

Sinn. Sinn ist aber vielleicht das Wichtigste. Viel ist schon geschrieben worden über die sogenannte Generation Y und ihrem Anspruch nach sinnhafter Beschäftigung. Dieser Anspruch ist natürlich nicht auf eine bestimmte Generation beschränkt. Ohne die Sinnfrage ist menschliche Existenz nicht zu denken. Und auch nicht die Beschäftigung mit (Wirtschafts)organisationen. Was ist der Sinn eines Unternehmens? Gewinne machen? Seine eigene Existenz sichern? Solche Antworten hören wir allzu häufig. Zu selten hören wir aber: Den Menschen gut tun. Echte Bedürfnisse befriedigen. Wir haben häufig vergessen, worum es beim Wirtschaften wirklich geht. Ich bin davon überzeugt — am Ende geht es Menschen besser, wenn Ihr Handeln anderen nutzt und niemandem schadet.

Würden Unternehmen auf die Sinnfrage ihrer Existenz an Menschlichkeit und Menschenwürde orientierte Antworten finden, wären die Menschen in ihnen glücklicher.

Eine neue Humanität ist gefordert. Eine, die Reflexion, Empathie und Sinn gleichermaßen zum Gegenstand hat. Die die Förderung von Menschlichkeit und Menschenwürde zum Ziel hat. Und es wäre ein falsch verstandener Aufruf, wenn damit die Optimierung der Leistungsfähigkeit von Menschen verbunden wird. Humanität ergibt sich als moralisches Prinzip per se. Menschenfreundliches Handeln ist nicht utilitaristisch, es dient keinem Zweck. Sondern es ergibt sich aus der Würde des Menschen.

Dem moralischen Anspruch nach der Wahrung der Würde von Menschen muss auch das Handeln von Unternehmen gerecht werden.

Für sie gilt gleichermaßen der Satz, mit dem auch unserer Verfassung beginnt:

“Die Würde des Menschen ist unantastbar.” (Art. 1 Grundgesetz)

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Thomas Leppert
Wirtschaft & Soziales

Schreibt über Wirtschaft, Soziales und technologischen Wandel. Geschäftsführer Heldenrat GmbH in Hamburg. Trust me, I‘m a Chancemaker.