Im Interview: Claudia Ah Poe — Senior Food Security Advisor in Rom

Katharina Dirr
Kontext
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4 min readJun 18, 2019

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Vor dem Beginn eines jeden Projekts des UN World Programme (WFP) ist eine Frage entscheidend: Wie ist die Ernährungssituation in einem Land? Claudia und ihr Team liefern detaillierte Antworten darauf. Im Interview erzählt sie nach über 16 Jahren bei WFP und Einsätzen in den schwierigsten Krisengebieten von ihrem Werdegang und ihrer Leidenschaft für ihren Job.

1. Was sind Ihre Aufgaben als Senior Food Security Advisor in Rom?

Mein siebenköpfiges Team und ich unterstützen Länder- und Regionalbüros von WFP dabei, die Ernährungssituation vor Ort zu analysieren. Unsere Arbeit ist die Grundlage für Projekte des UN World Food Programme (WFP). Wir erheben sämtliche Informationen zum Zugang und zur Verfügbarkeit von Nahrungsmitteln: Wie viele Menschen können sich nicht ausreichend ernähren? Warum leiden sie Hunger? Wer sie sind? Wo leben sie? Was muss getan werden, um ihr Leben zu retten oder ihre Existenzgrundlage zu verbessern? Wir führen diese Studien in enger Zusammenarbeit mit nationalen Regierungen, anderen UN-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen und akademischen Institutionen durch. Ein wichtiger Bereich ist die Beratung von Regierungen vor Ort, Gebern und dem Management von WFP bei der Prioritätensetzung begrenzter Ressourcen, um die Bedürfnisse der am stärksten gefährdeten und benachteiligten Bevölkerungsgruppen bestmöglich zu erfüllen.

Der Kontext, in dem wir arbeiten, hat sich in den letzten Jahren stark verändert, da immer mehr Menschen an Hunger und Unterernährung leiden, weil Konflikte, Vertreibung und Klimakatastrophen ansteigen. Innovationen, wie die Verwendung von Satellitenbildern, und die Anwendung neuer digitaler Lösungen werden immer wichtiger in unserer Arbeit. Gleichzeitig beschäftigen wir uns zunehmend mit Urbanisierung und den Zusammenhängen zwischen Ernährungssicherung und Migration. Dabei arbeiten wir eng mit den UN-Partnern FAO, UNICEF, UNHCR und IOM zusammen, um diese neuen Herausforderungen anzugehen.

2. Warum haben Sie sich entschieden, für die Vereinten Nationen (UN) zu arbeiten?

Bereits während meiner Studienzeit konzentrierte ich mich auf Entwicklungsthemen und arbeitete für eine NGO in Mexiko im Bereich der ländlichen Entwicklung. Nach einer Stelle als wissenschaftliche Assistentin für das Center for Development Research (ZEF) in Bonn, nahm ich an einem 1,5-jährigen Postgraduiertenprogramm für Entwicklungspraktiker und -experten aus der ganzen Welt teil. Diese Gruppe repräsentierte in gewisser Weise die Vereinten Nationen im kleinen Format. Zu diesem Zeitpunkt entschloss ich mich, in einem multikulturellen Umfeld arbeiten zu wollen. Für meine Feldforschung reiste ich nach Samoa, wo ich mit dem UNDP in Berührung kam. Ein Jahr später nahm ich bei der UN-Organisation eine Stelle als Consultant an.

3. Wie kamen Sie zu WFP?

Das Postgraduiertenprogramm, das ich besuchte, beinhaltete eine Hospitanz beim Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Damals deckte das BMZ sowohl das humanitäre als auch das Entwicklungsportfolio ab. Ich hatte die Gelegenheit am Positionspapier “Entwicklungsorientierte Nothilfe” mitzuwirken. Dies war meine erste direkte Begegnung mit WFP. Als eine der operativsten Organisationen innerhalb der UN-Familie, unterstützt WFP die am stärksten gefährdeten Bevölkerungsgruppen der Welt. Als ich die Ausschreibung für das Beigeordneten Sachverständigenprogramm sah, entschied ich mich für eine Bewerbung. Als Junior Professional Officer bei WFP im Bereich Operations war ich zwar in Rom ansässig, verbrachte aber die meiste Zeit in Ländern wie Afghanistan, Laos, Aserbaidschan und Nicaragua. 2005 wechselte ich in eine reguläre WFP-Stelle.

4. Was war bisher Ihre größte Herausforderung?

Herausforderung gehören zum WFP-Alltag. Von 2005 bis 2009 arbeitete ich in Liberia — nach dem jahrzehntelangen Bürgerkrieg. Die Infrastruktur war zerstört, die Bevölkerung traumatisiert. Dennoch gab es einen Keim der Hoffnung. In den Jahren vor Ort hatte ich die Gelegenheit, Hand in Hand mit der neuen Regierung und anderen Partnern an Strategien und gemeinsamen Programmen zur Bekämpfung von Hunger und Mangelernährung zu arbeiten. Die Friedensmission in Liberia gehört heute zu den Erfolgsgeschichten der UN. Für mich war es eine große Bereicherung, Teil dieses Teams zu sein, und mit den Menschen vor Ort in dieser kritischen Übergangszeit zu arbeiten.

Von 2013 bis 2016 war ich in unserem Regionalbüro in Kairo tätig, das für rund 40 Prozent der weltweiten WFP-Operationen zuständig ist. Dazu zählen große Krisenherde wie die in Syrien, im Irak, in Libyen, Jemen und der Ukraine. Ich leitete ein Team, das verantwortlich war, Monitoring-Systeme in diesen schwierigen Konflikten mit begrenztem humanitärem Zugang zu etablieren.

Meine letzte große Herausforderung war die Rohingya-Krise. Als 2017 der Flüchtlingsstrom von Myanmar nach Bangladesch ausbrach, war ich in der Frühphase vor Ort, um eine groß angelegte Studie mit mehreren Partnern zu leiten.

5. Welchen Rat haben Sie für andere, die in einer internationalen Organisation arbeiten wollen?

Die Arbeit für die UN ist äußerst bereichernd, kann aber auch sehr anspruchsvoll sein. Ein gesundes Gleichgewicht zwischen Beruf und Privatleben wird manchmal zur Herausforderung. Ich habe zwei Söhne und das Glück, das mein Mann auch für WFP arbeitet. Ein Berufseinstieg bei WFP bedeutet, Mobilität und die Bereitschaft, in schwierigen Regionen zu arbeiten. Leidenschaft für die Arbeit und die Mission, die schwächsten und bedürftigsten Menschen zu unterstützen, sind wichtige Bestandteile für eine erfolgreiche Karriere bei WFP. Wichtig sind auch Ausdauer und ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben.

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Katharina Dirr
Kontext
Editor for

Communications Officer at the UN World Food Programme (WFP) in Berlin.