Im Interview: Jakob Kern — Landesdirektor in Syrien
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Der Schweizer Jakob Kern ist seit 2015 Landesdirektor des UN World Food Programme (WFP) in Syrien. Im Interview spricht er über seine Arbeit in Damaskus, seinen Werdegang bei WFP und sein Leben als moderner Nomade.
1. Was sind Ihre Aufgaben als WFP-Landesdirektor in Syrien?
Meine Aufgaben sind sehr vielseitig. Einerseits leite ich die größte und wohl komplexeste Hilfsoperation der Vereinten Nationen mit einem Jahresbudget von über einer halben Milliarde Euro, 350 Mitarbeitern und neun Feldbüros in vier Ländern, andererseits bin ich aber auch hautnah am Geschehen, wenn ich zum Beispiel einen Hilfskonvoi mit 50 Lastwagen und zehn UN-Mitarbeitern über eine aktive Kriegsfront in ein belagertes Gebiet leite. Dann geht es vor allem um gutes Einschätzen des Risikos und feinfühliges Verhandlungsgeschick an den diversen Checkpoints der Syrischen Armee und dann der Opposition nach Überqueren der Frontlinie.
2. Warum haben Sie sich entschieden, für die Vereinten Nationen (UN) zu arbeiten?
Ich bin mit 30 Jahren aus der Schweiz ausgewandert, nach Amerika, und habe seither immer als moderner Nomade gelebt, bis jetzt in über zehn Ländern auf vier Kontinenten. So kam es fast automatisch, dass ich irgendwann bei der UN landete. Es war einfach die beste Kombination meinen Lebensstil mit meinem Beruf zu verbinden. Dann ergab sich eines nach dem anderen. Eine Karriere als Landesdirektor in Syrien ist ja kaum ein Bubentraum und die Anforderungen können ja auch nicht durch ein Studium erlernt werden. Da braucht es vor allem viel Lebenserfahrung, eine gute Portion Risikobereitschaft und große Anpassungsfähigkeit an andere Kulturen.
3. Wie kamen Sie zu WFP?
Eher durch Zufall. Ich war Mitglied des Schweizerischen Korps für Humanitäre Hilfe und wurde vor 19 Jahren auf einen dreimonatigen Einsatz nach Liberia zu WFP entsandt, um eine 200 km lange Straße zu sanieren. Aus den drei Monaten wurden zweieinhalb Jahre, in denen ich auch meine Frau kennenlernte. Sie arbeitet ebenfalls für WFP als regionale Finanzchefin in Asien und lebt mit unseren zwei Buben in Bangkok. Nach zwei weiteren Jahren in Eritrea, ebenfalls zu WFP entsandt, diesmal als Chef der Hilfsoperation, wurde ich als Vize-Landesdirektor nach Nordkorea gerufen und als WFP-Mitarbeiter angestellt. Danach folgten 11 Jahre in Rom, unter anderem als Direktor der Informatikabteilung, bevor ich Ende 2015 nach Syrien bestellt wurde.
4. Was war bisher Ihre größte Herausforderung?
Mein Familienleben mit meinem Berufsleben zu kombinieren, damit keines der beiden zu kurz kommt. Dies ist nicht immer einfach, vor allem, weil uns vier Zeitzonen trennen. Nebst den regelmäßigen Rest & Recuperation (R&R) Urlauben, die mir alle vier bis sechs Wochen eine Woche zuhause ermöglichen, haben wir es zur festen Tradition gemacht, täglich miteinander zu essen — via Skype. Wir stellen unsere iPads auf den Tisch in Bangkok und Damaskus. Meine Familie isst das Abendessen, ich einen späten Lunch. So haben wir eine gute Familiendiskussion. An den Wochenenden mache ich Hausaufgaben mit den Buben und es kommt auch mal vor, dass der Jüngere sich in den Schlaf singen lassen will, alles per Skype.
5. Welchen Rat haben Sie für andere, die in einer internationalen Organisation arbeiten wollen?
UN-Jobs sind nicht einfach zu finden, deshalb ist es sehr wichtig, möglichst viel praktische Erfahrungen in verschiedenen Ländern zu erwerben, natürlich auch mindestens zwei UN-Sprachen zu beherrschen (z.B. Englisch und Französisch) und einfach eine gute Portion Lebenserfahrung zu sammeln. Austauschjahre, Volontärarbeit oder Praktika bei Internationalen Organisationen sind eine gute Einstiegsmöglichkeiten, um sich bekannt zu machen. Es gibt aber auch viele Länder, die Junior-Professional-Stellen bei solchen Organisationen finanzieren oder eben an die UN entsenden, so wie dies bei mir der Fall war. Mit anderen Worten: Hebe dich von der Konkurrenz ab, um dann bei der Auswahl auch wirklich oben auf der Liste zu stehen.